Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn
wie kommt es nach hier?“, fragte Ahren.
„Ich vermute, dass es während oder nach der Säkularisation* unter Napoleon Bonaparte nach Frankreich verbracht wurde“, antwortete Müschen an von Buschhagens Stelle.
„Was für ein Zufall, dass ausgerechnet uns das Bild hier in die Hände fällt. Ich glaube ja eigentlich nicht an göttliche Vorsehungen, aber das ist doch schon sehr merkwürdig.“ Ahren war sichtlich verunsichert. Die drei Männer schwiegen eine Weile und betrachteten ehrfürchtig das Gemälde.
„Ich meine, es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, das Bild nach Köln zurück zu bringen und es dem rechtmäßigen Besitzer zu übergeben oder seid ihr anderer Meinung?“, von Buschhagen sah seine Kameraden fragend an.
„Nein, sind wir nicht, oder Oskar“,
„Da stimme ich Kurt zu“, Ahren schüttelte den Kopf.
„Aber es gibt da ein Problem, und das ist der Krieg. Keiner von uns weiß, wie lange er noch dauert und wie es uns ergehen wird. Wir können weder das Bild noch die anderen Sachen mit uns herumschleppen“, fuhr von Buschhagen fort.
„Anton hat recht, Kurt, wir müssen uns etwas einfallen lassen“, Ahren blickte von Buschhagen fragend an.
Von Buschhagen ging nachdenklich einige Zeit in der Stube auf und ab, dann sagte er:
„Ich schlage vor, alles wieder in die Kiste zu packen, diese hier vor Ort zu verstecken, und erst wenn der Krieg vorüber ist, sie hier abzuholen und nach Köln zu überführen. Ich habe keine Ahnung, ob der Plan aufgeht, dazu müsste man in die Zukunft blicken können, aber ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.
Dabei sollten wir uns über eines im Klaren sein – das ist Unterschlagung von Kriegsbeute. Wir gehen ein sehr hohes Risiko ein, und wenn euch jetzt Bedenken kommen, nehme ich es euch nicht übel. Dann nehmen wir morgen die Kiste mit nach Pouilly, übergeben sie Rittmeister von Seidel, und wir sind aus allem raus.“
„Wir werden das Bild nach Köln bringen, dort wo es hingehört, und es ist meiner Meinung nach keine Kriegsbeute, sondern Eigentum der Kirche, des Klosters St. Andreas oder der Stadt Köln. Das werden wir schon herausfinden. Und übrigens, haben wir die Kiste niemandem weggenommen, sondern haben sie gefunden, Anton. Und genau so, wie du es vorgeschlagen hast, machen wir´s oder Oskar?“
„Auch da stimme ich dir zu, Kurt. Aber sollten wir zur Finanzierung der Rückholaktion nicht wenigstens ein paar Goldmünzen mitnehmen? Wenn sich jeder von uns fünf davon einsteckt, müsste das reichen.“ Von Buschhagen sah seine Kameraden ernst an.
„Auch das ist viel zu riskant. Was ist, wenn einer von uns verwundet wird und ins Lazarett muss. Dann wird irgendwer die Münzen finden, und wie wollen wir erklären, wie wir an französische Goldmünzen gekommen sind? Nein, Oskar, wenn der Krieg vorbei wäre und wir morgen den Rückmarsch antreten würden, dann könnten wir es riskieren, aber unter den gegebenen Umständen rate ich dringend davon ab.“
„Anton hat wieder mal recht“, pflichtete Müschen bei. „Und Oskar, das Geld werden wir schon irgendwie auftreiben, da bin ich mir sicher.“ Ahren war beruhigt.
„Es stellt sich jetzt nur noch die Frage, wo und wie wir die Kiste sicher verstecken können. Was haltet ihr davon, wenn wir sie hier in der Stube unter dem Dielenboden vergraben“, schlug von Buschhagen vor.
„Dazu brauchen wir viel Zeit und ich habe meine Zweifel, ob wir den Dielenboden wieder so hinbekommen, dass es nicht auffällt“, warf Müschen ein. „Oskar, wo würdest du hier auf dem Hof etwas sicher verstecken?“
„In der Jauchegrube“, entgegnete Ahren spontan. „Da wird niemand ein Versteck vermuten und deshalb dort auch nicht suchen. Um eine Jauchegrube macht jeder einen großen Bogen. Ich habe lange genug auf einem Bauernhof gelebt, glaubt es mir. Nach unserem Einrücken habe ich den Hof sofort inspiziert. Die Grube befindet sich neben den ehemaligen Ställen, wo auch sonst? Sie ist mit Holzbohlen abgedeckt und, obwohl der Hof schon längere Zeit verlassen ist, stinkt es dort immer noch erbärmlich. Also Restjauche ist noch vorhanden, jedenfalls ist der Gestank schon ziemlich abschreckend. Weitere Vorteile liegen auf der Hand. Das Versenken geht relativ schnell, viel schneller als zum Beispiel vergraben. Und wenn wir beim Abzug den Hof in Brand setzen, wird hier so schnell keiner mehr einziehen wollen.“
„Dein Plan ist genial Oskar, und obwohl ich mich mit dem Gedanken in Jauche wühlen zu müssen, nicht richtig anfreunden kann, sollten wir es so machen“, stimmte von Buschhagen naserümpfend zu. Ahren grinste seine beiden Kameraden an.
„Gut, dann schlage ich folgende Vorgehensweise vor: Da diese Kiste nicht mehr zu gebrauchen ist, müssen wir die Sachen in eine Munitionskiste umpacken. Wir nehmen eine von denen, die mit Zinkblech ausgeschlagen ist, denn die sind absolut wasserdicht, äußerst stabil und werden demnach auch ein längeres Jauchebad aushalten. Damit eine Bergung später, ohne in der Jauche fischen zu müssen, möglich ist, werden wir die Kiste an einem Zügel herunterlassen. Den Zügel werden wir an einer der Bohlen anbinden, welche die Grube abdecken, so dass man es nicht sieht. Die kaputte Holzkiste hier, werden wir vorher in der Grube versenken.
Ich hole jetzt zunächst die Munitionskiste, dann laden wir um. Wir müssen dann den Wachwechsel um zwei Uhr abwarten. Diesmal besuchst du, Anton, die neuen Wachen, wenn sie ihren Posten bezogen haben und verlässt mit ihnen unter einem Vorwand kurzzeitig den Hof. Kurt und ich brauchen ungefähr fünfzehn bis zwanzig Minuten, um die Kiste wie geplant zu verstecken. Dann sollten wir uns hier noch einmal kurz treffen, bevor wir uns beruhigt noch zwei, drei Stunden aufs Ohr legen.“ Müschen war verblüfft:
„Oskar, kannst du mir einmal erklären, wie du so spontan einen solch genialen Plan aus dem Ärmel schütteln kannst?“
„Mein Vorschlag ist eigentlich nicht neu. In unserer Familie erzählt man sich, dass mein Urgroßvater, als die Franzosen unter Napoleon das Rheinland besetzten, seine Wertsachen so vor den Besatzern versteckte. Und das hat hervorragend geklappt, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, denn die französischen Soldaten, die bei meinen Urgroßeltern einquartiert waren, hatten sich korrekt verhalten und nicht einen Silbergroschen mitgehen lassen. So, lasst uns endlich anfangen, ich möchte gerne noch etwas pennen.“
Kapitel 4
Paris, 23. August 1870
Ein Landauer rollte gemächlich in den Park des großbürgerlichen Hauses No. 17 in der Rue de Passy und stoppte direkt vor der Freitreppe. Durch das Pferdegetrappel und das Knirschen der Räder auf dem Kies aufmerksam geworden, trat eine schwarz gekleidete Frau an das Erkerfenster der ersten Etage. Was sie sah, ließ ihr Herz höher schlagen. Richard Fréchencourt entlohnte den Kutscher und winkte lächelnd seiner Mutter. Dann sah er der Kutsche hinterher, bis sie durch das schmiedeeiserne Parktor verschwunden war.
„Kommen Sie Philippe, gehen wir ins Haus.“ Als sie die erste Stufe der Treppe betraten, öffnete sich die Haustüre und ein Mann eilte die Treppe herunter, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Richard Fréchencourt hatte. Statur, Bewegungen und die Gesichtszüge glichen sich so sehr, dass man die beiden für eineiige Zwillinge hätte halten können.
„Richard, Philippe, wie ich mich freue euch zu sehen.“ Antoine Ouvrard umarmte zunächst seinen Bruder und begrüßte dann herzlich Philippe.
„Wie seid ihr denn aus Metz herausgekommen, Richard? Gestern sind drei deiner Männer hier eingetroffen, die berichteten, dass Metz vollkommen von den Deutschen eingeschlossen ist.“
„Das ist eine etwas längere Geschichte“, antwortete Richard Fréchencourt.
In der geräumigen Vorhalle eilte ihnen Giselle Fréchencourt entgegen. Als Tochter der höheren Gesellschaft hatte sie gelernt, keine Gefühle zu zeigen. Das gelang ihr nicht ganz, denn Richard erkannte an den geröteten Wangen und ihrem strahlenden Lächeln, wie sehr sich seine Mutter über sein Kommen freute. Er hauchte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange.
„Mutter, ich bin froh, wieder zu Hause zu sein“,