Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil


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sich erneut seine Pfeife, die er kurz darauf entzündete. Pfeffer indes war nunmehr, wie es schien, vollständig in den Bann des Dr. Bartholdy geraten und nachhaltig beeindruckt von seinem Gegenüber. Ganz weggewischt waren mittlerweile all die Zweifel, mit denen er das Haus betreten hatte. Und so kam es, dass er sich zu einem Ausdruck der Bewunderung hinreißen ließ, der einem Rick Pfeffer sonst nicht so leicht über die Lippen zu kommen pflegte.

      „Gert, Du bist ein Genie!“

      „Ach was Genie, Richard. Ich liebe das, was ich tue. Und genial muss man gar nicht sein, nein, nein. Weißt Du, hier in Deutschland schlägt sich die Bedeutung von Menschen in Titeln und Gehaltsgruppen nieder. Deswegen meine ganzen Auszeichnungen und der Doktor-Titel. Aber wenn Du wie ich mit einer Behörde arbeitest, als Amtsarzt, ich sage Dir, dann musst Du nicht genial sein. Gerade in der Politik und auf den Behörden kannst Du mit einer gewissen Kenntnis der Hierarchien und einem gesunden psychologischen Einfühlungsvermögen optimale Wirkungen erzielen. Die ganze Amtsbürokratie ist total subaltern. Da sind Aktenvermerke und Dienstanweisungen die beste Sprache, die die Mitarbeiter verstehen. Gib Befehle, und die Leute befolgen sie, weil Sie annehmen, dass nur der Befehle gibt, der dazu befugt ist. Das wird gar nicht hinterfragt. Wie bei einer Köpenickade, verstehst Du? Genau so mit meinen Gutachten. Wenn einer ein Gutachten vorlegt, dann fragt keiner, ob derjenige überhaupt dazu befähigt ist. Und wenn Du daneben liegst, ist es auch nicht per se falsch, sondern Du bist dann eben offiziell einer anderen medizinischpsychologischen Auffassung. So ist das! Die größten Erfolge sind für mich, wenn irgendein namhafter Gutachter zur selben Erkenntnis kommt wie ich, ohne mein Gutachten zu kennen. Dann weiß ich, dass ich den richtigen Beruf ergriffen habe. Man muss sich halt nur trauen!“

      „Weißt Du was, Gert? Du solltest das alles aufschreiben. Ja, Du solltest ein Buch darüber schreiben, halb Enthüllungs- halb Entwicklungsgeschichte. Das würde laufen wie geschnitten Brot, das schwöre ich Dir!“

      „Habe ich schon dran gedacht. Aber soll ich Dir was sagen? Mittlere Reife, Lesen und Schreiben gerade eben ausreichend!“, schmunzelte Briefke über den Tisch zu Pfeffer.

      „Im Ernst? Aber Du sprichst wie ein Professor!“

      „Ich habe mir vieles angewöhnt, und einige Sachen brauchst Du jeden Tag. Das ist im Grunde reines Auswendiglernen. Aber eins kannst Du mir glauben, ich bin froh, dass ich einen Beruf ergriffen habe, der sich viel darauf einbildet, dass seine Egiden alles immer nur so hinkritzeln. Schön geschmiert. Kein Mensch kann solche Rezepte lesen. Bei uns gilt die Devise: Je unlesbarer die Schrift, desto mehr Arzt bist Du. Und in der Klinik diktiere ich sowieso fast alles. Aber ein Buch? Na ja, meine Talente in allen Ehren, aber dazu wird es wohl nicht reichen.“ Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Weinglas, derweil Richard genannt Rick Pfeffer die zündende Idee kam.

      „Ich aber. Ich kann sowas!“

      „Was?“

      „Na schreiben! Ich war immerhin Chefredakteur, schon vergessen? Pass auf, wir machen das so: Wir treffen uns und unterhalten uns ganz normal, so wie jetzt. Nebenbei lasse ich das Diktiergerät laufen. Dann erzählst Du alles, genau so wie eben gerade, und ich mache dann hinterher einen fertigen Text daraus! Was hältst Du davon?“

      Briefke wirkte ehrlich angetan und ein sichtbarer Ausdruck der Begeisterung machte sich in seinem Gesicht breit!

      „Das ist die beste Idee des Tages!“

      Aber Pfeffer war sogar schon einen Schritt weiter. „Hast Du einen Stift und ein paar Blätter? Schnell, ich habe schon eine Idee!“

      Gert Briefke alias Dr. Clemens Bartholdy hatte beides schnell zur Hand und Pfeffer begann zu schreiben:

      „Die Abenteuer des Dr. Clemens Bartholdy! Vorwort: Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg! Auf Erfolg und lebendige Wirkung in den Menschen, der den Namen des Betruges gar nicht verdient, sondern nichts anderes ist, als die Ausstattung einer vorhandenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt anerkannt und gewürdigt zu werden. Und in diesem Sinne ist mein Tun eben doch die Wahrheit, so seltsam es klingen mag, zugegebenermaßen. Das Reich der Freiheit ist eben das Reich der Täuschung!“3

      Er reichte es Briefke über den Tisch. „Und?“, fragte Pfeffer, „Was sagst Du?“

      „Ich muss Dir das Kompliment zurückgeben, Richard!“

      „Welches?“

      „Nicht ich, Du bist genial!“

      „Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!“, sagte Pfeffer noch, bevor die beiden Genies vor Lachen laut losprusteten und sich abermals einschenkten. Und so ging es dann noch etliche Stunden weiter, in denen sich beide mit ihren jeweiligen Kabinettsstückchen zu überbieten suchten und in denen, während noch so manche Flasche Wein geleert wurde, mehrfach die geflügelten Sätze fielen, wonach eine Hand doch die andere wasche und man sich im Leben immer zweimal träfe.

      Jenes Buch im Übrigen sollte Richard genannt Rick Pfeffer später übrigens tatsächlich für Gert Briefke alias Dr. Clemens Bartholdy schreiben, doch diese Geschichte wollen wir ein andermal erzählen. Zumal Rick Pfeffer einige Tage später noch eine weitere, sehr wichtige Verabredung einzuhalten hatte.

       VII.

      Als Richard genannt Rick Pfeffer am darauf folgenden Dienstag erwachte, sich ankleidete und so tat, als würde er zur Arbeit gehen, fand er ein Päckchen Zigaretten in seiner Manteltasche, das dort eigentlich nicht sein sollte. Und dann auch noch Marlboro. Seine Marke war HB: Er betrachtete das Päckchen kurz und ließ es sogleich wieder schnell in seiner Manteltasche verschwinden, als er hinter sich seine Frau hörte. Er ging nun flugs aus der Haustür, sperrte seinen goldfarbenen Mercedes auf, fuhr etwa 100 Meter weit und hielt dann direkt wieder an, um das Zigaretten-Päckchen einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Hierbei fand er schnell unter der Zellophan-Folie einen gefalteten Kassiber auf welchem Name und Adresse einer Gaststätte nebst einer Uhrzeit standen. Darunter nur das Wort „Parkplatz“. Er blickte hoch zur kleinen Uhr, die in das mit Wurzelholz verblendete Armaturenbrett des Mercedes eingelassen war. Noch knapp zwei Stunden bis dahin. Er besah den kleinen Zettel mit der sachlichen Handschrift erneut. Er musste ihm wohl gestern von jemanden in der Kneipe zugesteckt worden sein, in der er mittlerweile seine Tage verbrachte, damit daheim nicht aufflog, in welcher Lage er sich befand. Offiziell – und damit war seine Frau gemeint – war er ja noch Grabredner. So wurde denn auch seine Verwunderung über die geheimnisvolle Zigarettenschachtel schamvoll abgelöst von der ihn nun beinahe täglich heimsuchenden Plage der mittleren Verzweiflung über seinen wenig zielführenden Zustand des Dahinschweifens, der nur durch eine unpräzise Mischung aus dunkler Ahnung und kindlicher Gespanntheit unterbrochen wurde, wenn er an die Worte von Oberleutnant Müller dachte, er solle dem BND schon bald einen „Gefallen“, tun, und „aktiv“, werden. Pfeffer freute sich über das geheimnisvoll klingende Spionage-Deutsch und dachte fortwährend darüber nach, um was für einen Gefallen es sich wohl handeln möge. Allein, der Gedanke aktiviert zu werden, löste in ihm schon das wohlige Gefühl aus, nun nicht länger tatenlos seine Zeit in Brasserien und Wirtshäusern vergeuden zu müssen. Auch wenn er den gelegentlichen Schluck über den Durst so gar nicht scheute, ärgerte es ihn, dass er im Grunde seit seiner Demission beim Weser-Land-Blatt überhaupt nichts Sinnvolles mehr getan hatte. Er fühlte sich ungebraucht und schlicht jedem Nutzen entrissen. Die Episode mit seinem alten Freund Briefke war ihm da eine willkommene Abwechslung gewesen, doch auch dieses Aufeinandertreffen hatte ihm klar gemacht, dass er wieder loslegen, eben aktiviert werden müsse. Briefke hatte ihr Gipfeltreffen ebenfalls sichtlich genossen und die beiden hatten sogar schon wieder telefoniert, nur Stunden, nachdem Pfeffer nach seiner Reise zu Hause angekommen war, aber dennoch: Briefke war immerhin Arzt, er hatte zu tun und wurde gebraucht, während Pfeffer wieder in der Kneipe landete und die Zeit totschlagen musste.

      Er war also im Grunde guter Dinge und höchst erregt, als er seinen Wagen auf jenem Parkplatz eines Großkrämers parkte, auf welchem er seinen neuen weißen Mercedes abgestellt hatte, umstieg und weiterfuhr, nur um eine halbe Stunde später auf einem anderen Parkplatz zum Stehen zu kommen. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass er noch etwa eine Stunde Zeit bis zum Treffen hatte und er beschloss,


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