Malefizkrott. Christine Lehmann

Malefizkrott - Christine Lehmann


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worauf sind sie neidisch? Auf das Buch?«

      »Kann ich mir auch nicht vorstellen!«, sagte Lola, schnell bereit, sich zu unterwerfen. »In meiner Klasse interessiert das null.«

      »Bei Wittwer liegt es inzwischen in Stapeln herum!«, trumpfte Michel auf.

      »Ach, kontrollieren Sie das?«

      »Kontrolle wäre das falsche Wort. Es interessiert mich.«

      Ich stellte mir vor, wie der filigrane Mann mit gegen den Wind gestelltem Haar Buchhandlungen stürmte. Wenn er sein Töchterchen nicht fand, nahm er sich die Buchhändlerin zur Brust. Haben Sie die Schrader? Ganz neu auf dem Markt. Malefizkrott. Nicht? Lesen Sie keine Zeitung? Was für ein unternehmerisches Konzept haben Sie eigentlich? Die Buchhändlerlizenz im Lotto gewonnen? Da kann ich mir künftig den Weg zu Ihnen ja sparen und gleich bei Amazon bestellen. Und die Buchhändlerin fing an zu schwitzen. Ich kann es Ihnen bis morgen bestellen. Das aber konnte Schrader nicht akzeptieren, dann hätte er seinen Namen nennen müssen. Schrader. Ach, sind Sie der Ehemann? Nein, der Vater. Was ’n Stress! Erst mit dem Schreiben, dann mit dem Bibbern und Beten, dass es ein Erfolg wird und die Charts stürmt. Und wenn nicht? Kann man dann noch in den Spiegel gucken? Schämt man sich?

      »Und bei Amazon«, setzte der Vater hinzu, »steht es auf dem Verkaufsrang dreißigtausend! Falls Ihnen das was sagt!«

      Ich kannte einen, der versucht hatte, den Verkaufsrang-Algorithmus von Amazon zu hacken. Immerhin wusste ich, dass sich bei dem Rang, wenn er so blieb, insgesamt vielleicht zweitausend Bücher im Jahr verkaufen würden. Nicht eben viele für das gierige Glitzern in den Augen des Vaters.

      »Wie hoch ist denn die gedruckte Auflage?«

      Michel Schrader lächelte verkniffen. »Yggdrasil ist ein kleiner Verlag. Und ein Debütroman ist immer ein Risiko.«

      Ich lachte. »Hunderttausend?«

      »Um Gottes willen! Zehntausend«, antwortete er mit entschlossener Lügenmiene. »Das kommt Ihnen vielleicht wenig vor. Die meisten Leute denken immer gleich an Bestseller, wenn sie hören, dass man ein Buch geschrieben hat. Und sie meinen, Gott was man damit verdient.«

      Also dreitausend, dachte ich.

      »Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«

      »Pappo!«, seufzte Lola. »Du weißt doch, ich denke nicht an Cash.« Sie machte ein Ehrlichkeitsgesicht. »Das geht mir voll am Fiedel vorbei.«

      Super Stilmix: Schwäbisch – Fiedel heißt Arsch – gemischt mit Anglizismen. In diesem Punkt war das Buch zumindest authentisch, nach dem, was ich am Donnerstag gehört hatte.

      »Gut«, sagte ich. »Gehen wir also vom maßlosen Neid eines grenzenlos Unwissenden aus. Fällt Ihnen da jemand ein?«

      Pappo und Tochter schüttelten so wild die Köpfe, als glaubten sie grundsätzlich an das Gute im Menschen.

      »So unbekannt wie Sie als Autorin sind«, bemerkte ich roh, aber höflich, »muss man wohl von einem Täter im direkten Umfeld ausgehen. Ein Schulkamerad, der Nachbar, der Sie eh schon ständig stalkt.«

      Lola machte schmale Schultern und warf einen Blick zum Fenster hinaus auf die Straße. Gegenüber eine Hecke, ein Rasen, ein Mehrfamilienhaus mit Fenstern.

      Michel Schrader schüttelte den Kopf. »So einfach ist das, fürchte ich, nicht. Wir hatten … vielmehr meine Tochter hatte eine Lesung letzte Woche bei Ursprung, falls Ihnen das was sagt.«

      »Die Buchhandlung, die abgebrannt ist. Es stand in der Zeitung.«

      Lolas Blick schaukelte sich in Zufriedenheit ein. Jetzt hatte sie mich erkannt. Jetzt war sie sich sicher.

      »Und zwar an dem Abend«, fuhr Michel blind fort, »als wir dort waren. Wir sind mit nur knapper Not hinausgekommen. Und bei der Lesung war niemand, den wir kannten, außer Nino. Das ist ein Schulfreund von Lola, und den kennen wir seit Jahren.«

      »Einen Nino kennt man nie, Herr Schrader. Heute der nette Bub, morgen ein Amokläufer!«

      »Dazu fehlt dem Jungen die Courage«, stellte Michel Schrader fest. Einfach so. Lola duckte sich kaum merklich.

      »Außerdem«, bekräftigte Michel, »saß Nino die ganze Zeit unten bei uns, während das Feuer oben im Laden ausbrach. Später hat es geheißen, jemand sei von außen in den Laden gekommen und habe das Feuer gelegt.«

      »Und Sie meinen, es habe Ihrer Tochter gegolten?«

      »Ich weiß es nicht. Die Zeitungen haben natürlich nur über Durs Ursprung und über den Laden berichtet. Kein Wort über Lola und uns. Immerhin waren wir auch beeinträchtigt, hatten einen Schaden. Ich habe dem Stuttgarter Anzeiger schon eine Mail geschrieben deswegen.«

      Lola hörte kaum noch mit. Ihr Blick klebte an mir wie eine Schnecke auf Salat und kroch langsam auf seiner Schleimpur über meine Wange, die Nasenfurche entlang, über meine Stirn. Ihr Mund lächelte versonnen zwischen den Grübchen.

      »Jedenfalls«, fuhr Michel Schrader unterdessen fort, »hat Lola nächste Woche Donnerstag wieder eine Lesung. Und ich würde mich einfach wohler fühlen, wenn jemand dabei wäre, jemand wie Sie.«

      Ich lehnte mich zurück. »Klingt, als wollten Sie mich als Bodyguard engagieren.«

      »Je nun …«

      »Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich so was mache?«

      »Wie gesagt, Sie sind mir empfohlen worden … Von einem Bekannten.«

      »Den ich ja auch kennen müsste.«

      »Ich muss gestehen, ich weiß seinen Namen nicht mehr. Ich habe ihn in einem … äh … Restaurant getroffen. Wir kennen uns von früher. Da kann man schlecht nach dem Namen fragen.«

      Ich skizzierte kurz mit meinem Fettfinger ein

auf die Glasplatte. Der ausgemergelte Hochschullehrer guckte schneller weg, als er hinschaute. Wenn so einer das Emblem für SM kannte, das auf die Geschichte der O 7 zurückgeht, deutete das nicht unbedingt auf eine gute Schulbildung hin.

      »Jedenfalls, man sagte mir, Sie machen so was.«

      Philip Marlowe hätte jetzt die Rede knallhart aufs Geld gebracht. »Sie erwarten aber nicht, dass ich Ihnen garantiere, dass Ihrer Tochter nichts zustößt«, sagte Lisa Nerz stattdessen.

      Und Michel Schrader witterte sofort Chefluft: »Trauen Sie sich die Aufgabe nicht zu?«

      Ich lachte ihn als Herr Nerz an. »Ich übernehme keine Aufgaben. Ich spiele nur.«

      Sein Blick verengte sich. »Was verlangen Sie?«

      Ich erinnerte mich, dass Philip Marlowes Honorarforderungen mir stets horrend vorgekommen waren. »Fünfhundert Euro pro Stunde plus Mehrwertsteuer und Spesen.«

      Jetzt lachte Michel Schrader. »Was glauben Sie, was ich als Lehrer verdiene?«

      »Sie sind Hochschulprofessor.«

      »Das macht keinen nennenswerten Unterschied.«

      Ich ließ meinen Blick wortlos durchs Zimmer schweifen. Lola blickte sich ebenfalls um und machte ein Gesicht, als wollte sie sagen: Du bist so was von peinlich, Pappo.

      »Haben Sie denn so was überhaupt schon mal gemacht, Herr Nerz.«

      Ich nahm meinen Trenchcoat und erhob mich, diesmal ohne gegen die Tischplatte zu treten. »Überlegen Sie es sich, Herr Schrader. Ich muss jetzt los. Wenn Ihnen die Drohbriefe ernsthaft Sorgen machen, dann gehen Sie zur Polizei. Die Internetfreaks vom LKA können ganz schnell rausfinden, wo sie herkommen.«

      »Und wenn es nur ein Scherz ist?«

      »Auch Scherze dieser Art haben strafrechtliche Konsequenzen. Falls Sie sich von der Polizei nicht ernstgenommen fühlen, dann empfehle ich Ihnen einen professionellen Personenschutz.«


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