Phalansterium. Matthias Falke
wir doch auch nicht kommunizieren.«
»Ich sage doch, es ist anders. Es ist filigraner, anschmiegsamer.« Er grinste. »Sozusagen vegetativer.«
»Verstehe.«
»Ich verstehe es nicht«, sagte Jennifer. »Wenn wir mit diesen Wesen nicht unmittelbar kommunizieren können, wie vermögen sie uns dann so zu – beeinflussen?!«
»Die Details muss ich erst noch herausfinden«, versetzte John. »Es war keine Kommunikation im strengen Sinn.«
»Sondern?«, fragte ich.
»Eher eine Anregung?«
»Sie haben uns angeregt?«
»Überleg doch mal, was du erlebt hast«, sagte er.
»Darüber will ich lieber nicht so viel nachdenken.«
»War es so – persönlich?« Er schmunzelte wissend.
Ich wollte schon aufbrausen und ihn fragen, was ihn das angehe. Aber Jennifers Blick hielt mich zurück.
»Nein wirklich, das wäre interessant!«
Ich berichtete in groben Zügen, was ich während der Darbietung empfunden hatte.
»Farben, Formen, Gerüche, Klänge. Es scheint, dass sie alle Sinne ansprechen.«
»Und sonst war da nichts?«, fragte John.
Ich wand mich.
»Vor uns braucht dir nichts peinlich sein.« Jennifer nippte an ihrem Tee und sah mich über den Rand des Bechers hinweg an. Vor achtundvierzig Stunden hatte ich ihr noch den Katheter gewechselt. Zwischen uns gab es nichts, weswegen man sich hätte genieren müssen.
»Wenn es wegen mir ist, kann ich auch so lange rausgehen«, sagte John.
»Nein, es ist ja gut.« Ich besann mich einen Moment. »Diese ganzen Erscheinungen gingen irgendwann in eine Vision über. Eine Halluzination. Ich war in Pensacola. Es war wieder der Abend, nachdem wir unseren Abschluss hatten. Ihr wart ja alle dabei. Die Bühne, die Musik. Wir haben getrunken ...«
»Irgendwann haben sich zwei von der Truppe entfernt.« John Reynolds kräuselte süffisant die Lippen.
»Hast du das gesehen?« Jennifers Blick wurde ganz warm.
»Ich habe es erlebt«, stammelte ich. Noch immer versetzte mich das ganze in Verlegenheit. Dann gab ich mir einen Ruck. »Ja, wir sind an den Strand hinuntergegangen. Wir sind im Meer geschwommen. Wir haben uns zum ersten Mal geküsst.« Ich sah die beiden an. »Aber es war keine Erinnerung. Ich war dort. Ich habe es noch einmal erlebt!«
John nickte. Offenbar hatte er nichts anderes erwartet, wobei ich mich fragte, woher er so intim über Jennifer und mich bescheid wusste.
Jennifer lächelte mich an. Ihre Hand suchte die meine und drückte sie.
»Offenbar«, sagte John Reynolds in seiner gedehnten Art. »Offenbar regt das Feld bei jedem ganz bestimmte Bereiche an. Jeder erlebt das, was für ihn das Wichtigste war. Das einschneidendste Erlebnis. Die Erfüllung. Das höchste Glück.« Er sah zwischen uns hin und her. »Das war für dich anscheinend jene Nacht von Pensacola, Frank.«
Ich hob die Schultern. »Kann schon sein«, brummte ich. Dann fiel mir etwas ein. »Bist du auch dort gewesen«, fragte ich Jennifer.
»Nein«, sagte sie nur.
»Wie kann das sein?« Ich starrte John fragend an.
Er schmunzelte wieder vor sich hin. »Offenbar ist diese Nacht für Jennifer nicht so erfüllend gewesen wie für dich!«
»Ist das so?«, fragte ich in ihre Richtung.
»Alles, was ich jetzt sage, wird sowieso gegen mich verwendet«, sagte sie trocken. »Im übrigen schaffe ich mir meine Halluzinationen nicht an.«
John hatte die Hand gehoben, um eine weitere Auseinandersetzung unter alten Eheleuten im Keim zu ersticken.
»Das Feld muss nicht zwangsläufig Glücksmomente freisetzen. Bei Jennifer war es das Trauma, das in ihr zum Ausbruch kam.«
Ich nickte. Eine solche Erklärung konnte Sinn ergeben.
»Also erlebt jeder, was das intensivste Geschehnis seines Lebens war, im guten wie im bösen?«
»Was die tiefsten seelischen Spuren hinterlassen hat«, sagte John. »Wie gesagt, meine Analysen sind noch nicht abgeschlossen. Um wissenschaftlich sauber vorzugehen, müsste man das ganze wiederholen und die Probanden dabei an ein EEG anschließen.«
»Wer würde so wahnsinnig sein, sich dem noch einmal auszusetzen?«
»Ganz abgesehen davon, dass die kuLau diese heilige Zeremonie, die bei ihnen im höchsten Ansehen steht, wohl kaum unter Laborbedingungen wiederholten würden. Zumal es so etwas wie eine Kopulation darstellt.«
Ich überlegte mir unwillkürlich, wie es wäre, vor einem Team von Wissenschaftlern Sex zu haben.
Laut sagte ich: »Dann sind wir auf die Daten angewiesen, die du auf gut Glück gesammelt hast?«
»Ja, und auf die Interviews.«
»Du hast Interviews geführt?« Jennifer war beeindruckt.
»Ich habe einige der Anwesenden im Nachhinein befragt«, sagte John. Wieder eroberte ein jungenhaftes Grinsen sein bärtiges Gesicht. »Die meisten haben sich ziemlich gewunden, so wie du Frank. Ich musste ihnen zusichern, dass ich mit den Protokollen vertraulich umgehe.«
»Also kannst du uns doch nichts sagen.« Jennifer wirkte enttäuscht.
»Etwas schon. Sinngemäß.« Er lachte. »So hat Laertes zum Beispiel philosophische Sätze und Axiome vor sich gesehen. Nicht die Wörter und Buchstaben, sondern die dahinter stehenden Erkenntnisse.«
»Nicht seine ...« Jennifer stockte. »Seine Jugendgeschichte? Ich hätte gedacht, das wäre sein einschneidendstes Erlebnis gewesen.«
Johns Blick hatte einen lauernden Ausdruck angenommen.
»Wir sind hier nur beim offiziellen Teil«, rief ich ihr ins Erinnerung. »Was er wirklich gesehen hat, was er davon John anvertraut hat und was der uns anvertraut, das steht auf einem völlig anderen Blatt.«
»So ist es«, sagte unser ehemaliger WO schlicht. »Aber ich kann das aus meinen eigenen Visionen ergänzen und bestätigen. Das ganze hatte mehrere Phasen. Es durchlief eine Steigerung. Da waren verschiedene Eskalationsstufen.«
»Das ist richtig«, sagte ich.
»Ich will euch nicht mit meinen intimen Gesichten langweilen« –
»Das fände ich gar nicht langweilig!«, platzte Jennifer dazwischen.
»... aber in einer dieser Phasen war es auch mir so, als sähe ich bestimmte mathematische Formeln. Ich sah nicht die Kürzel und Zeichen, wie man sie an eine Tafel schreiben kann, ich sah die Funktionen unmittelbar.« Er strich sich durch den Bart. »Besser kann ich es nicht erklären.«
Ich nickte zum Zeichen, dass er es damit gut sein lassen konnte. »Noch jemand?«
John musste wieder lachen. »Rogers hat Angriffsbefehle gegeben. Einmal habe ich es sogar selbst gehört, wie er durch den ganzen Tumult geschrien hat: Attacke! Wollt ihr denn ewig leben?!«
»Da ist eben er in seinem Element.« Ich konnte dazu nur die Achseln zucken. »Davon konnten wir uns ja nun alle ein Bild machen.«
Eine Weile schwiegen wir und dachten darüber nach.
»Das heißt«, begann Jennifer endlich, »die kuLau haben uns dahingehend manipuliert, dass jeder seine ureigensten Erlebnisse rekapituliert.«
John wiegte zustimmend den Kopf, sagte aber nichts.
»Aber woher können sie das wissen,« fragte ich. »Ich meine, woher wissen die kuLau, oder weiß das Feld, was in jedem vorgeht? Welche Leichen einer im Keller hat, oder welche