Der Schatz des Gregor Gropa. Frank Wündsch
sollten sich bewahrheiten. Die Mahnung der „Northern Millway Bank“ war höflich im Ton, aber unerbittlich, was die Fakten betraf. Sein Herz schlug in harten Schlägen, als er sie sah. Zahl an Zahl reihte sich aneinander, und sie wurden mit jeder Zeile größer. Zum Glück hatte er diese Schulden seinem Vater verschwiegen. Keine ruhige Minute hätte der im Krankenbett mehr gehabt.
Marius war beklommen zumute, er fühlte Druck auf der Brust und ein Würgen im Hals. Auf dem Balkon hoffte er, Linderung zu finden. Als seine Mutter noch lebte, war der Balkon reich mit Blumen geschmückt gewesen. Mit ihrem Tod waren die Blumen verschwunden. Den Vater hatten sie zu sehr an seine Frau erinnert und traurig gestimmt.
Marius angelte mit dem rechten Bein nach einem Stuhl, zog ihn her und ließ sich fallen. Draußen war es warm, am Horizont sammelten sich ein paar Wolken, die Sonne schien Marius ins Gesicht. Er schloss die Augen und sah das Grauen vor sich. Der Bankrott in Australien drohte in die nächste Pleite in Deutschland zu münden, wenn Marius die Arbeit bei Herrn Weigelt verlor. Bereits in Sydney und Coldsville hatte er alles in den Sand gesetzt, was er jemals angepackt hatte. Vielleicht würde es ihm in Deutschland mit dem Anbau von Tomaten besser ergehen.
Die Hoffnung trog, entzog sich Marius jeder Illusion. Herr Weigelt war kein Mann, der Almosen gab. Marius versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren, obwohl ihm die Sonne auf den Schädel brannte. Der Enkel könnte der Schlüssel für die Lösung sein. Wenn er Boris bei Laune hielt, mochte sein Großvater über manchen Mangel seiner Arbeit hinwegsehen.
Und wenn nicht? Marius war es leid. Zu viele Sorgen hatten ihn in den letzten Jahren geplagt, nichts war ihm gelungen, das Pech schien ihm wie Teer an den Stiefeln zu kleben.
Marius ging in den Schatten der Wohnung zurück. An den Wänden hingen die Bilder und Zeichnungen seiner Mutter. Sie hatte ein Talent bewiesen, das auch außerhalb der Familie für Aufsehen gesorgt hatte. Vom Vater gab es nichts zu sehen, außer einigen Fotografien. Eine Aufnahme zeigte seine Eltern beim letzten gemeinsamen Urlaub in Italien. Das Bild hatte einen festen Platz über dem Sofa gefunden. Sein Vater hatte das Mittelmeer geliebt, weil dort die Tomaten von selbst wuchsen, die Mutter wegen des Lichts und der azurblauen See. Auch in Mannheim hatte sie viele Bilder gemalt. Seiner Mutter war es nicht schwer gefallen, geeignete Motive in der Stadt zu finden. Sie hatte den Auenwald am Ufer des Rheins und die Schiffe, die auf dem Fluss verkehrten, auf die Leinwand gebracht. Die vielen Störche mit ihren Jungen auf den Nestern im Luisenpark hatte sie ebenso gemalt, wie die prächtige Jesuitenkirche nahe des Schlosses. Verlor Marius die Wohnung, verloren die Bilder seiner Mutter ihren Platz.
Marius wollte seine Sorgen mit einem zweiten Bier betäuben, verwarf den Gedanken, hastete unruhig von Zimmer zu Zimmer, fand keine Ruhe und ging wieder auf den Balkon. Die Sonne war verschwunden, graue Wolken hatten sich in Windeseile ausgebreitet und den Himmel verdüstert. Ein böiger Wind kam auf und blies Marius ins Gesicht. Er begann zu frösteln und floh vom Balkon, um ins Warme zu kommen.
11
Am nächsten Morgen goss es in Strömen, die Temperatur war um zehn Grad gefallen. Marius griff nach warmer Kleidung und suchte nach einer Regenjacke, fand aber keine. Bis zu den Weigelts brauchte er mit dem Rad zehn Minuten. Das waren zehn Minuten zu viel bei diesem starken Regen. Marius dachte darüber nach, ein Taxi zu nehmen, erinnerte sich des Schreibens der australischen Bank, holte das Rad aus dem Keller und fuhr in einem einzigen langgezogenen Spurt durch den dichten Regenvorhang zu seiner Arbeitsstätte.
Als Marius am Tor klingelte und ihm wie gewohnt Boris öffnete, war er nass bis auf die Haut. Boris hieb ihm auf die Brust, dass er ins Taumeln geriet und sagte: „Das passt. Los, stell dein Rad ab.“ Boris nahm ihn an der Hand und zog ihn mit sich ins Haus.
Marius ging tropfend durch das Foyer. Boris wollte von ihm wissen, ob er bereits das Hallenbad gesehen habe. „Nein“, schwindelte Marius. „Dann wird’s aber höchste Zeit.“ Boris rannte die Treppe hinunter, Marius folgte ihm, eine feuchte Spur hinter sich her ziehend. In der Umkleidekabine fragte Boris, ob er eine Badehose dabei habe. Marius wunderte sich, markierte dann den Entrüsteten und sagte, dass er schließlich zur Arbeit hier sei und nicht zum Vergnügen. Das sah Boris anders. „Heute können wir draußen eh’ nichts machen. Das regnet voll toll, als ob Hamster vom Himmel fallen. Heute ist Schwimmen angesagt. Zieh die nassen Klamotten aus, ich hol’ dir ‘ne Badehose.“
Boris war ganz aufgeregt. In dem Glauben, Marius hätte das Schwimmbad nie gesehen, gebot er ihm, die Augen geschlossen zu halten. Marius gehorchte und ließ sich führen. Vor dem Becken erlaubte ihm Boris, die Augen zu öffnen. Marius wäre überrascht gewesen, das Wrack im Wasser nicht mehr vorzufinden. So musste er sein Erstaunen spielen.
Boris ließ sich hinters Licht führen. „Na, ist das nicht ein Superspielzeug?“
„Wahnsinn! Ein Wrack in ‘nem Hallenbad. Wer hat denn das Schiff versenkt?“
„Dein Vater.“
„Mein Vater hat das gemacht?“ Marius musste sein Staunen nicht mehr spielen.
„Das hat er! Passt denn die Badehose?“
Vorne kniff sie. „Die passt.“
„Nackt baden kannst du hier vergessen. Einmal war Mama mit meinem Vater nackt im Wasser, das gab aber Krawall. Opa kann das nicht haben, Anstand muss sein, sagt er.“ Boris musste lachen. Sein Lachen dröhnte durch die Halle. Marius war froh, dass Boris ins Becken sprang. Er selbst wählte den Weg über die Treppe ins Wasser. Draußen schlug heftiger Regen gegen die großen Scheiben des Bades. Es gab keine bessere Gelegenheit, sich im warmen Wasser zu tummeln.
Marius schwamm gemütlich ein paar Bahnen hin und her und ahnte nichts Böses. Plötzlich sah er Boris nicht mehr, bemerkte ihn weder vor noch hinter sich und schaute nach unten. Das Wasser war ruhig, kein Boris zu sehen. Das Tauchen lag Marius nicht. Während seiner Kindheit war er bemüht gewesen, seinen Kopf über Wasser zu halten, und jetzt war er auch nicht gezwungen zu tauchen, denn Boris beherrschte dies in bester Manier. Marius entdeckte ihn an der Schatzkiste neben dem Wrack. Er sah, wie Boris eine Münze aus der Kiste klaubte und sich nach oben treiben ließ. Prustend und lachend hielt er die Münze über dem Haupt. „Mal sehen, ob die echt ist“, rief er Marius zu und biss hinein. „Hey, die ist steinhart, klasse!“ Boris schwamm an den Rand, zog sich aus dem Wasser und legte die Münze auf einen Tisch. „In der Schatztruhe da unten liegen ein paar richtige Goldmünzen herum. Und ein Überraschungsei. Sagt jedenfalls Opa.“
„Was sagst du? Goldmünzen liegen da unten? Und ein Überraschungsei?“, zeigte sich Marius schon wieder verblüfft.
„Jedenfalls keines aus Schokolade, das würde ja im Wasser futsch gehen. Das ist mir auch egal, das Ei interessiert mich nicht die Bohne, ich tauch’ eh nur nach dem Gold. Der Rest ist Blech. Komisches Geld aus der DDR, was schon damals nix wert war, sagt mein Opa, aber einige Münzen sind aus purem Gold. Die muss ich erst mal da unten finden, muss richtig rumwühlen und das mit angehaltener Luft. Kannst du das auch, Marius?“
„Glaube ich eher nicht. Tauchen war nie mein Ding.“
„Opa mag Draufgänger. Wenn du eine Goldmünze rausholst und ihm in die Hand drückst, ist mein Opa richtig beeindruckt.“
Marius hätte nie ohne Not seinen Kopf unter Wasser gesteckt. Er wollte das auch diesmal tunlichst vermeiden. „Opa würde dir glatt auf die Schultern klopfen“, hakte Boris unerbittlich nach.
Marius gab sich geschlagen. Er tauchte unter, hielt dabei krampfhaft die Augen geöffnet und steuerte die Truhe an. Er kam bis auf einen Meter an sie heran. Schnell wurde ihm die Luft knapp, er musste hoch. Marius wollte Mumm zeigen, kämpfte sich erneut nach unten und wühlte wie wild in der Truhe, fand aber nur Blech und machte, dass er nach oben kam.
„Und?“, fragte Boris.
Marius schüttelte sein nasses Haupt.
„Schade. Aber wenn du willst, kannst du ihm meine Münze geben. Dann machst du echt ganz schön Punkte bei Opa. Überleg’s dir gut.“
Marius