Die Salonièren und die Salons in Wien. Helga Peham
Gespräch, im Vortrag, zur Ausbildung und Verfeinerung der Sinne.
Der Salon bildet „einen Freiraum von materiellen oder ideologischen Interessen. Die alleinige Motivation der Gäste ist es, einander zu respektieren, zu fördern und zu bilden.“2 Ein ästhetisches Element kann hinzukommen: Gedichte und Schriften aller Art werden vorgetragen, Theaterstücke aufgeführt, Musikabende gestaltet.
Statt rückwärts zu schauen, wie es vielfach in den hochadeligen Kreisen der Ersten Gesellschaft Usus ist, trachtet man in den Salons des aufstrebenden Bürgertums nach Erweiterung des Geistes, unabhängig vom Stand, in den man hineingeboren ist.
Die Salonière hat einen großen Anteil an diesem Bildungsangebot, denn sie stellt die Besucherliste aus Habitués und Besuchern zusammen, die zur geistigen Bereicherung aktiv beitragen. Die meist heterogene Zusammensetzung der Gäste zwingt sie, ein „auf situative Harmonie“ bedachtes Verhalten zu beherrschen. Dadurch gelingt im Salon eine Art von Gleichberechtigung, die anderswo nicht zu finden ist: Das bürgerliche Rollenmodell steht gleichberechtigt neben dem aristokratischen und das weibliche neben dem männlichen. Die erotische Komponente in der Begegnung zieht sich wie ein roter Faden durch die europäische Salonkultur.
Ende der 1930er-Jahre gehen die Salons ihrem Ende entgegen. Die Künstler und Gelehrten verlassen vielfach Österreich, die Salonièren ebenfalls, sie kehren größtenteils nicht mehr zurück und es gibt keine Persönlichkeiten, die die Lücke nach Eugenie Schwarzwald, Gina Kaus, Berta Zuckerkandl, Alma Mahler und Grete Wiesenthal füllen. Doch die Erinnerung an die großen Wiener Salons und Salonièren ist heute noch lebendig.
Führte in Wien den ersten bürgerlichen Salon: Charlotte von Greiner. Anonyme Bleistiftzeichnung nach einer Miniatur.
CHARLOTTE VON GREINER
(1739 – 1815)
Charlotte von Greiner, geborene Hieronymus, führt den ersten bürgerlichen Salon in Wien.3 In der eleganten Wohnung steht ihr berühmtes Kanapee, von dem aus sie abends Gäste empfängt und geistvolle Diskussionen anregt. Charlotte ist von Jugend an Maria Theresias Vorleserin und Kammerfrau. Der Hof ist ihr Zuhause, wo sie unter der Obhut der Kaiserin, von deren Obersthofmeisterin, der Gräfin Fuchs, und in der Gesellschaft von Erzherzoginnen und Erzherzogen aufwächst. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass sie den ersten Salon Wiens entwickelt und zur Blüte bringt.
Charlotte ist die Tochter des aus Hannover stammenden protestantischen Leutnants Augustus Siegfridus und seiner Frau Anna Elisabetha Hieronymus, sie wird am 14. April 1739 in Brod in Slawonien (heute Slavonski Brod, Kroatien) geboren. Der Vater hat das Privileg, Frau und Kind an seinen Dienstort mitzunehmen und durch das Regiment verpflegen zu lassen. Eine solche Eheschließung der „ersten Art“ ist eher selten, nur wenigen wird dieses Recht erteilt. Bei allen anderen Eheschließungen von Militärangehörigen darf die Familie nicht mitkommen.
Zwei Tage nach ihrer Geburt wird Charlotte getauft. Es heißt, dass ihre Mutter in Ödenburg (heute Sopron, Ungarn) gestorben sei, bei der Geburt oder kurz danach. Im April 1744 kommt sie mit dem Regiment ihres Vaters aus Ungarn nach Wien, wo dieser kurz darauf an Lungenbrand, einer damals tödlich verlaufenden Krankheit, stirbt. Er lässt ein unmündiges Kind zurück. „Der Vater hatte das kleine, kaum fünfjährige Mädchen bei sich, zog mit ihm und dem Regimente – mühsam genug, wie man [sich] denken kann – auf ungarischen Dörfern umher, und kam zuletzt … nach Wien. Hier erkrankte er schwer und starb nach kurzer Zeit, das unmündige Kind unter lauter fremden Menschen, fremden Glaubens (denn mein Großvater war protestantisch), im fremden Lande zurücklassend. ‚Du armes Kind, was wird aus dir werden!’ waren seine letzten schmerzlichen Worte zu der kleinen Charlotte (so hieß meine Mutter) gewesen, die sich ihrem kindischen Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt hatten.“4 So berichtet Karoline Pichler, die Tochter Charlottes, in ihren Memoiren.
Maria Theresias Mutter Elisabeth Christine entstammt der Familie Braunschweig-Wolfenbüttel. Charlottes Vater hat dem Regiment Wolfenbüttel angehört. Das mag das Mitgefühl der Kaiserin erweckt haben, als sie die Geschichte der kleinen Waisen von ihrer Kammerfrau erfährt. Nach einigen Tagen findet man das Mädchen, nimmt es auf und erzieht es im katholischen Glauben. Religiöse Erziehung ist Maria Theresia besonders wichtig.
Charlotte spielt oft mit den Kindern der Kaiserin und nimmt gelegentlich an deren Unterricht teil. Sie erhalten eine strenge, dennoch ausgesprochen moderne Erziehung, Naturereignisse wie Gewitter werden ihnen wissenschaftlich erklärt.
Charlotte lernt lesen, schreiben, rechnen. Bald kann sie Druck- und Handschriften gut entziffern. Schließlich beherrscht sie die ungarische Geschäftssprache Latein, Französisch, die Sprache der Gebildeten und der Diplomatie sowie der belgischen Provinzen, und Italienisch, die Sprache, die im Großherzogtum Toskana und in Mailand gesprochen wird.
Obersthofmeisterin Karolina Reichsgräfin von Fuchs kümmert sich um Charlotte und erzieht sie zur Vorleserin der Kaiserin, für die sie als Lieblingskammerdienerin und persönliche Sekretärin immer unentbehrlicher wird. Am kaiserlichen Hof lernt sie die vornehme Lebensart kennen. Sie ist schön und klug, ihre Interessen sind breit gestreut.
Am 22. Februar 1782 schreibt Charlotte an den Theologen, Philosophen und Schriftsteller Johann Caspar Lavater über ihr Leben am Hof: „Ich war bei Hof erzogen, oder besser zu sagen mir selbst überlassen. Von meinen zwölften Jahr an brauchte mich die Kayserin zum Vorlesen und dann zu allen Geschäften die nur immer bei einer Selbstregierenden Frau vorfallen können … Die vielen Kränkungen die ich in denen Jahren die bei anderen Mädchen die angenehmsten sind, erlitten, haben in Ermanglung einer vernünftigen Erziehung das meiste zu meiner Bildung beigetragen, ich lernte früh mir selbst alles zu sein.“5 Aus dieser Briefstelle klingen Einsamkeit und Bitterkeit. Charlotte erlebt die Realität des Lebens am Hof. Sie fühlt sich als Zuschauerin hinter der Bühne, lernt dabei früh, auf sich achtzugeben, und entwickelt ein starkes Selbstbewusstsein. „Und da ich auf diesen grossen Schauplaz keine Rolle spielen wolte, so stand ich hinter der Courtine, und sah alle die Räder, Federn und Seile, die die Machine in Bewegung brachten, sah alle die Schminke all das Flittergold, mit denen man den Zuschauer täuschte.“6 Später schreibt ihre Tochter Karoline: „Meiner Mutter ungewöhnlich lebhafter und durchdringender Geist fühlte bald die Schranken, welche die Beschränktheit ihrer Umgebungen demselben anlegte. Sie dürstete nach Kenntnissen, nach gründlichen Erklärungen der Dinge oder Begebenheiten, die sie um sich sah, und sie benutzte die Besuche einiger älterer, gebildeter Männer, welche in das Haus ihrer Erzieherin kamen, um von ihnen Antwort auf die Fragen zu erhalten, welche sich ihr während der Zeit aufgedrängt, und die sie sich deshalb aufzuschreiben pflegte. So strebte ihr Geist weit über ihre Lage, über ihre Gefährtinnen hinaus, und bildete sich meist aus sich selbst.“7
Zu ihren Aufgaben gehört es, der Kaiserin Akten, Depeschen und diplomatische Berichte vorzulesen. Dadurch erhält sie Einblicke in Politik und Regierungsgeschäfte, erfährt wichtige Staatsgeheimnisse, ist aber absolut verschwiegen. Auch am Abend liest Charlotte vor: „Diese Lektüre dauerte fort, nachdem die Monarchin sich schon entkleiden lassen und zu Bette gelegt hatte, und selbst dann noch, bis der Schlaf sie überwältigte. Dann erst bekam meine Mutter die Erlaubnis, sich zu entfernen.“8
Charlotte führt ihre im Alter schwindende Sehkraft auf stundenlanges Vorlesen bei Kerzenlicht zurück. Dabei muss sie eisige Kälte ertragen, denn Maria Theresia lässt auch im Winter nicht heizen und arbeitet bei offenem Fenster. Die zierliche Charlotte hat diese harte Schule bei Hof hingenommen. Später prägt sich ihr Wille zu dominieren und zu beherrschen stark aus, was sicher auch auf diese Erlebnisse zurückzuführen ist. Außerdem hat Charlotte gelernt, die Kaiserin auf das Schönste zu frisieren und den Kopfputz besser als alle anderen Kammerfrauen zu stecken. „Oft – sehr oft – mußte eine Haube vier- bis fünfmal anders gesteckt werden, bis sie nach dem Geschmacke der Gebieterin war, und wer diese Art von Arbeit zu beurteilen versteht, wird wissen, daß ein öfteres Auf- und Andersmachen der Sache gar nicht förderlich ist, ja meistens die Schönheit der Stoffe und des Zubehörs