Die Salonièren und die Salons in Wien. Helga Peham
das Fräulein sehe. Sie fuhr also mit einem Anhänger der glaubenden Partei selbst in die Gartenwohnung, in welcher damals die Familie Paradis lebte … Mein Vater begab sich an einem andern Tage dahin … Beide konnten sich nicht überzeugen, daß Fräulein Paradis wirklich sehe.“26
Franz Anton Mesmer, der Begründer der Lehre vom animalischen Magnetismus. Zeitgenössisches Porträt.
Unter Joseph II., dem Sohn und Nachfolger Maria Theresias, wird der alte Feudalstaat außer Kraft gesetzt. Er formt ihn in einen modernen Nationalstaat um. Die Beamten werden zu Staatsbeamten, sie dienen nun dem Staat und nicht mehr dem Hof. Dadurch gibt der Kaiser seine Macht an den Staat ab. Das Verhalten der Staatsdiener wird kontrolliert, sie erhalten gute Aus- und Weiterbildung, bei einwandfreiem Verhalten gibt es Provisionen. Dieses neue System begünstigt Bespitzelungen, Intrigen und Denunziationen. Joseph II. erlässt eine „Rang- und Charakterverordnung“ mit Angaben über Taxen, Gebühren, Urlaub, Diäten, Geschäftsordnung, Verhalten und Bestrafung, Verbot von Geschenkannahmen, Vormundschaftsfragen und die Aufnahme in den Staatsdienst. Die Anzahl der Dienstjahre wird als Beförderungskriterium offiziell eingeführt. Diese Maßnahmen stärken das Bürgertum und schwächen den Adel.
Als Folge der Pressefreiheit überschwemmen zahlreiche Broschüren und Pamphlete, vielfach Eintagsfliegen, den Markt. Die bürgerliche Ordnung wird in Frage gestellt. Diese Zeit ist, so schreibt Karoline später, „eine Zeit frischen, schönen, regen Geisteslebens und vielleicht das goldene – nie wiederkehrende Zeitalter der deutschen Literatur, zumal im ästhetischen Fache. Überall zuckten die Funken lebhafter Geistestätigkeit auf, leuchteten hier mit mildem Lichte, das sich segensreich weiter und weiter verbreitete, blendeten dort wie gewaltige Blitze, fuhren auch manchmal wie täuschende Irrwische hin und lockten den Nachfolgenden in Sümpfe. Wird es wohl nötig sein, hier auf Klopstock, Lessing, Goethe, Wieland, Schiller, Herder hinzuweisen? Wir in Österreich hatten unsern Denis, Sonnenfels, Jünger, Alxinger und viele andere, deren Leistungen leider jetzt vom Zeitenstrom weggespült sind, so wie man kaum mehr eines Gellert, Rabener, Hagedorn gedenkt und nur jene größern Namen stehen geblieben sind, die ich oben genannt. In allen Zweigen des Wissens regte sich eine lobenswerte Tätigkeit, man durfte frei denken und so dachte man wohl … Auch in die geselligen Kreise drang eine muntere Freudigkeit statt früherer Steifheit und veralteter Formen. Das Theater, welches Kaiser Joseph seines unmittelbaren Schutzes würdigte, trug sehr viel zu diesen geselligen Freuden bei … Das Publikum nahm auf eine Weise an dem Theater Teil, die von der jetzigen ganz verschieden ist. Es suchte geistigen Genuß, nicht bloßen Zeitvertreib, es wollte sein Gefühl anregen lassen, nicht bloß den Verstand im Tadeln üben. Es kam mit frischer Empfänglichkeit ins Theater, faßte jede Schönheit des Dramas sowohl als der Darstellung auf, verlangte nicht mit Übersättigung nur nach schnellem Dahineilen der Handlung und wurde durch eine tiefere psychologische Entfaltung der Motive nicht gelangweilt … So bewegte sich die gesellige Welt, geistig angeregt, aufs lebhafteste und genügendste in stetem Wechsel der Leistungen und Empfängnisse.“27
Sollte von Mesmer geheilt werden: die blinde Komponistin Maria Theresia v. Paradis. Wachsbüste im ehem. k. k. Blindeninstitut, Linz.
Die meisten Männer im Salon Greiner sind Mitglieder einer Freimaurerloge. Hofrat Greiner und seine Frau Charlotte stehen dem Freimaurertum positiv gegenüber. In den Logen schließen sich Männer gleicher Gesinnung zusammen und streben im Zuge der Aufklärung danach, Begriffe wie Humanität, Toleranz und Wohltätigkeit praktisch umzusetzen. Bürger und Adelige werden in dieser Gemeinschaft vereint und Standesunterschiede überwunden, da in den Logen religiöse, nationale sowie ständische Unterscheidungen keine Rolle spielen.
Dazu Karoline Pichler: „Ein charakteristisches Merkmal jener Zeit unter Kaiser Josef waren die Bewegungen, welche durch die sogenannten geheimen Gesellschaften in der geselligen Welt hervorgebracht wurden. Der Orden der Freimaurer trieb sein Wesen mit einer fast lächerlichen Öffentlichkeit und Ostentation. Freimaurerlieder wurden gedruckt, komponiert und allgemein gesungen. Man trug Freimaurerzeichen als joujoux an den Uhren, die Damen empfingen weiße Handschuhe von Lehrlingen und Gesellen, und mehrere Modeartikel, wie die weißatlassenen Müffe mit dem blauumsäumten Überschlage, der den Maurerschurz vorstellte, hießen à la franc-maçon. Viele Männer ließen sich aus Neugier aufnehmen, traten dann, wenn der frère terrible nicht gar zu arg mit ihnen umsprang, in den Orden, und genossen wenigstens die Freuden der Tafellogen. Andere hatten andere Absichten. Es war damals nicht unnützlich, zu dieser Bruderschaft zu gehören, welche in allen Kollegien Mitglieder hatte und überall den Vorsteher, Präsidenten, Gouverneur in ihren Schoß zu ziehen verstanden hatte.“28
Die österreichische Aufklärung stellt Autoritäten wie Klerus, Kirche, Orden in Frage, nicht aber den Glauben an sich. Mit Einverständnis des Kaisers blüht die Freimaurerei in Österreich, bis durch das Freimaurerpatent von 1785 ein Einschnitt erfolgt. Die Loge „Zur wahren Eintracht“ akzeptiert die Logenreform. Zwischen 1780 und 1790 ändert sich die Zahl der Logenbrüder kaum. 1792 beginnt unter Kaiser Franz II. die Reaktion, ein Jahr später arbeiten die letzten Logen nicht mehr, und 1795 wird die Freimaurerei in Österreich verboten.
Karoline lernt, häusliche Pflichten zu übernehmen. „Meine Mutter war, trotz ihres hochgebildeten Geistes und dem glänzenden Fuße, auf dem unser Haus eingerichtet war, ihrer Wirtschaft bis ins kleinste Detail stets selbst vorgestanden … Ich mußte mich soviel als möglich überall selbst behelfen … meine Hauben und Hüte selbst stecken und ich lernte es endlich so gut, daß ich meinen Freundinnen hierin half … Bei diesen Ansichten war [meiner Mutter] die Liebe meines Vaters zur Musik und die Forderung, die er deswegen an mich stellte, oft ein Anstoß. Mit Klavierspielen, Üben, Produzieren, Singen, gingen viele Stunden des Tages und das billigte meine Mutter wohl nicht.“29 Immerhin wird Karoline 1796 im Jahrbuch der Tonkunst sehr gelobt: „Dieses vortreffliche Frauenzimmer … ist eine der ersten Klavierspielerinnen Wiens, meisterhaft im Anschlag, stark in der Ausführung und unerschrocken bei den größten Schwierigkeiten.“30 Da das Sehvermögen von Charlotte im Lauf der Jahre nachlässt, erledigt Karoline auch Schreibarbeiten und kümmert sich um die Vermögensangelegenheiten.
Am 2. Juni 1798 stirbt Hofrat Greiner 68-jährig an „Nervenfieber“. Obwohl es immer wieder am Hof Intrigen gegen ihn und Konkurrenzkämpfe gibt, verkennt Maria Theresia seine Leistungen nie, er behält das Vertrauen der Kaiserin bis zu ihrem Tod.
Greiners Gehalt fällt nun weg. Charlotte muss das Haus in Hernals und die Stadtwohnung aufgeben und in die Vorstadt ziehen. Sie kauft das Haus auf der Alser Straße 25. Bis zum Ende ihres Lebens herrscht sie souverän über die Familie. Dort beginnt sich um 1800, nach Karolines Veröffentlichung ihrer „Gleichnisse“, der Salon der Karoline Pichler, ein Treffpunkt von bürgerlichem und niederem Adel im Bereich von Kunst und Literatur, zu bilden. Offiziell steht zu dieser Zeit Charlotte Greiner noch dem Salon vor.
Auch nach ihrer Heirat mit dem Juristen Andreas Pichler lebt Karoline im selben Haus. Charlotte verlangt stets Gehorsam und die Übernahme von Pflichten von ihren Kindern. Auch nach deren Heirat benötigt sie ihre Tochter als Vorleserin. Karoline bleibt bis zum Tod ihrer Mutter bei ihr.
Charlotte leidet sehr unter den Schicksalsschlägen, Mann, Sohn und Schwiegertochter innerhalb von vier Jahren verloren zu haben, erholt sich aber wieder. Die letzten Jahre lebt sie zurückgezogen, sie stirbt zwei Tage nach einem Schlaganfall am 21. Jänner 1815 im Alter von 76 Jahren.
Im Jahr 1777, als Haschka den Salon Greiner erstmals betritt, schreibt er als Herausgeber der Zeitschrift Litterarische Monate in der Einleitung: „Ein großer Herr, oder auch ein Privatmann, der Platz in seinem Hause hat, solle einen Saal widmen, in welchem an bestimmten Tagen und zu bestimmten Stunden Gesellschaft wäre, wie sonst Spielgesellschaften, oder musikalische Akademien, oder so etwas ist. Die Gesellschaft versammelt sich, setzt sich in einen halben Circel; jetzt tritt ein Anagnost auf, und liest heute diesen, morgen jenen Dichter, zuweilen auch Prosaisten, mit der ganzen Kunststärke vor, mit welcher die Werke des Genie gelesen werden müßen. Man würde mit dem, was