Der Jungbrunnen-Effekt. Margit Fensl

Der Jungbrunnen-Effekt - Margit Fensl


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ein Drittel der US-Amerikaner leidet an Übergewicht – das verursacht Kosten von rund 200 Milliarden Dollar jährlich für das Gesundheitssystem. In Europa ist die Situation leider nur geringfügig besser. „Übermäßiges Körpergewicht ist eines der schwerwiegendsten Gesundheitsprobleme der Gegenwart und betrifft fast jeden dritten Menschen“, bestätigt Ashkan Afshin, Professor am Department for Global Health an der Universität Washington.

      Umfangreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass die Lebenserwartung mit zunehmendem Körpergewicht abnimmt, da Übergewicht als Ursache bzw. fördernder Faktor einer ganzen Reihe von Krankheiten gilt. Millionen von Todesfällen lassen sich jedes Jahr eindeutig auf die Folgen von Übergewicht zurückführen, wobei bereits ein leicht erhöhter Body-Mass-Index (BMI) die Risiken von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes drastisch erhöht. Während man früher glaubte, leichtes Übergewicht wäre normal, unschädlich oder sogar gesund, zeigte eine Metastudie aus 239 wissenschaftlichen Arbeiten, dass bereits ein paar Kilos zu viel auf der Waage zu signifikanten gesundheitlichen Nachteilen führen. Falsch- und Überernährung führen also in den meisten Ländern dieser Erde zu echten Epidemien – das heißt, vor allem die große Menge an leicht verfügbaren, hochkonzentrierten Kalorien in Form von süßem und fettem Essen ist dafür verantwortlich.

      Bereits 1935 zeigte der amerikanische Biochemiker und Gerontologe Clive McCay an der Cornell University in Ithaca, New York, dass bei Versuchsratten die Halbierung der täglichen Kalorienmenge in der Nahrung fast zu einer Verdoppelung der Lebensdauer führte. Seine Studienergebnisse blieben ein halbes Jahrhundert unbeachtet, erst Mitte der 1980er-Jahre wurde das Thema Kalorienrestriktion wieder aufgegriffen. In Versuchen stellte man fest, dass Ratten durch geringere Futtergaben nicht nur länger lebten, sondern auch um 50 Prozent seltener an Krebs erkrankten. Mittlerweile sind die positiven gesundheitlichen Effekte einer geringeren Kalorienzufuhr bei unterschiedlichsten Organismen, zum Beispiel Würmern, Fliegen oder Nagetieren, gut erforscht. Besonderes Aufsehen erregte 2009 die Veröffentlichung von Langzeitstudien der University of Wisconsin-Madison. An Rhesusaffen, deren Alterungsverhalten dem der Menschen sehr ähnlich ist, konnte gezeigt werden, dass sich durch eine Kalorienreduzierung nicht nur die Lebensspanne, sondern auch die Lebensqualität verbesserte. Gewisse Alterungserscheinungen, wie Haarausfall, Muskelschwund, Diabetes, Arthritis oder Lethargie, wurden durch die kalorienreduzierte Diät verhindert. Man stellte zudem fest, dass es nicht nur auf die Zahl der Kalorien ankommt, sondern vor allem auch auf die Art und Weise der Einnahme dieser Kalorien – und auf deren „Zusammensetzung“. Die Qualität des Futters, aber auch die Fütterungsintervalle haben also einen großen Einfluss auf die gesundheitlichen Effekte der Nahrung.

       Wir fressen uns zu Tode

      Generell scheint die Kalorie ein mangelhafter Gradmesser für den Nährwert des Essens zu sein. Der Kalorienbedarf des Menschen unterliegt zudem einer großen Schwankungsbreite. Obwohl sie nachweislich falsch sei, herrsche die Kalorientheorie der ausgewogenen Ernährung als solche weiter, quäle die Menschen und verkürze ihr Leben, schreibt die russische Ärztin Galina Schatalova (1916–2011) in ihrem Buch „Wir fressen uns zu Tode“. Und tatsächlich wird Schatalovas Befund durch wissenschaftliche Forschungen unterstützt: Die klassische Kalorientheorie entpuppt sich zunehmend, wenn schon nicht als falsch, dann doch als bei Weitem unvollständiger, „löchriger“ und „dehnbarer“, als die Wissenschaftler in der Vergangenheit glaubten.

      Nach ihrem Medizinstudium arbeitete Schalatova an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften als Neurochirurgin und wurde in Folge zur ersten Leiterin der medizinischen Auswahlkommission für sowjetische Kosmonauten ans Institut für Weltraumforschung berufen. Später führte sie viele wissenschaftliche Experimente durch, einige davon im Auftrag der Geologischen Gesellschaft, der Sibirischen Akademie der Wissenschaften und des Wissenschaftlichen Instituts für Körperkultur in der damaligen UdSSR.

      Durch ihre praktischen und theoretischen Arbeiten als Ärztin kam sie zu dem Schluss, dass ein gesunder Erwachsener im Ruhezustand täglich nicht mehr als 250 bis 400 Kilokalorien brauche und auch bei extremen Anstrengungen maximal 1.000 bis 1.200 Kilokalorien pro Tag notwendig seien. Die in unserer Kultur verbreitete Form der hochkalorischen Ernährung sei nicht nur Verschwendung, sondern erzeuge zahlreiche Krankheiten und sorge für eine vorschnelle Alterung.

      Schatalova untermauerte ihre Behauptungen durch zahlreiche Leistungsexperimente, in denen sie Athleten mit kalorienreduzierter Ernährung gegen Kontrollgruppen antreten ließ, die nach den klassischen Ernährungstabellen verpflegt wurden. 1983 experimentierte sie mit Supermarathonläufern, die mit maximal 1.200 Kilokalorien ernährt wurden. Die Athleten der Kontrollgruppe erhielten rund 6.000 Kilokalorien, wie sie klassischerweise bei dieser extremen Form der Belastung verlangt werden. Nach Absolvierung des 500 Kilometer langen Laufes stellte sich heraus, dass die kalorienreduziert ernährten Athleten nicht nur leistungsfähiger waren als die Kontrollgruppe, sondern sogar noch an Körpermasse zugelegt hatten. Ende der 1980er-Jahre untersuchte Schatalova auch Teilnehmer von Wüstendurchquerungen. Die Mitglieder der Versuchsgruppe erhielten eine maximale Tagesration von 600 Kilokalorien – letztendlich waren sie deutlich leistungsfähiger, ausdauernder und gesünder als die Athleten der Kontrollgruppe mit „normaler“ Kalorienzufuhr.

       Der Kalorienmythos

      Wahrscheinlich kennen viele das Phänomen, dass die gleiche Menge Essen beim einen „anschlägt“, beim anderen nicht. Manche Menschen können Unmengen an Kalorien zu sich nehmen und halten ihr Idealgewicht, während weniger Gesegnete „das Essen nur anschauen müssen, um zuzunehmen“. Gar viele Gründe werden genannt, um diese Unterschiede zu erklären, das Kalorienzählen wird allerdings selten in Frage gestellt.

      Es ist ein Ausdruck der Unwissenheit bezüglich der Wirkmechanismen der Nahrung in unserem Körper, dass das „Kaloriensystem“ nach wie vor am geläufigsten ist, wenn es darum geht, den Nährwert des Essens zu bestimmen. Hätten wir in anderen Bereichen unserer modernen Gesellschaft derart ungenaue und fehlerhafte Messwerkzeuge, würde das Chaos ausbrechen, weil wir nicht in der Lage wären, auch nur irgendetwas exakt zu quantifizieren bzw. zu qualifizieren.

      Stellen wir uns eine Waage vor, die uns Folgendes mitteilt: „Wie viel Sie wiegen, kann ich leider nicht sagen, aber andere Personen in Ihrem Alter und mit Ihrer Größe wiegen 72 Kilogramm.“ Das ist in etwa die wissenschaftliche Aussagekraft der Kalorienbilanz: Um die Auswirkungen der aufgenommenen Kalorien auf Leistungsfähigkeit und Körpergewicht einer bestimmten Person messen zu können, hilft sie uns nicht wirklich weiter. Während man bei einer Maschine sehr genau vorhersagen kann, wie sich eine bestimmte Menge an Treibstoff auswirkt, verhält es sich mit organischer Nahrung und Lebewesen ganz anders. Der Grund für die mangelnde Aussagekraft


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