Der Jungbrunnen-Effekt. Margit Fensl
Journal of Clinical Nutrition“ veröffentlicht wurden, zeigten zudem, dass das Ausmaß dieser kalorisch nicht erklärbaren Energie umso größer wurde, je geringer die zugeführte Menge an Nahrung war. Also: Je weniger Kalorien dem Körper zugeführt werden, desto weniger Kalorien benötigt er – ein Phänomen, das jeder beobachten kann, der über längere Zeiträume hinweg fastet. Während wir in den ersten Tagen sehr rasch an Gewicht verlieren, flacht die Kurve mit der Zeit immer mehr ab. Trotz gleichbleibendem Output an Energie benötigt der Körper weniger Energiereserven. Was den westlichen Wissenschaftlern Kopfzerbrechen bereitet, ist in den östlichen medizinischen Traditionen seit jeher bekannt. Wir beziehen unsere Lebensenergie nicht nur aus den Kalorien der Nahrung.
INFOBOX Lebensenergie
Was ist Leben und wie entsteht es? Wir brauchen gar nicht lange zu suchen, um eines der größten Mysterien auf diesem Planeten zu finden – das Phänomen Leben an sich. In jeder einzelnen Körperzelle existiert dieses Wunder. Wir alle haben es billionenfach „in uns“.
Auch wenn es manchmal erscheinen mag, als könnte die Wissenschaft den Kosmos im Großen und Ganzen erklären, sind wir doch weit davon entfernt. Glaubte man zum Ende des 19. Jahrhunderts, dass die Naturwissenschaft bald alle großen Fragen beantwortet haben werde, so brachten diese Antworten oft noch mehr ungelöste Fragen.
Seit Ende der 1990er-Jahre geht die Mainstream-Wissenschaft davon aus, dass rund 96 Prozent des Universums aus dunkler Materie und dunkler Energie bestehen, über deren Wesen und Existenz kaum etwas bekannt ist. „Über dunkle Materie wissen wir nichts und über dunkle Energie wissen wir weniger als nichts“, ist ein pointierter Spruch in Physikerkreisen. Dunkle Materie und dunkle Energie existieren auch in uns und unmittelbar um uns herum. Inwieweit das mit den umstrittenen feinstofflichen Energien der Grenzwissenschaften oder den Lebensenergiekonzepten aus Indien und China zusammenhängt, ist pure Spekulation. Fakt ist: Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie man tote Materie zum Leben erweckt. Wissenschaftler können mit modernster Technik und Milliarden an Forschungsgeldern keine einzige Zelle aus ihren materiellen Substanzen synthetisieren und zum Leben erwecken. Das liegt daran, dass es einen prinzipiellen Unterschied zwischen Organischem und Anorganischem gibt, behaupten die Anhänger sogenannter vitalistischer Lehren, die eine eigenständige Lebenskraft als Grundlage und Prinzip alles Lebendigen ansehen.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird dieses Prinzip mit dem Wort „Qi“ bezeichnet. Das Wissen um den richtigen Fluss des Qi, also der Lebensenergie im Körper, ist für TCM-Ärzte das entscheidende Kriterium: Um den Menschen zu heilen, soll zum Beispiel durch Akupunktur das Qi wieder zum Fließen gebracht werden. Dem Qi der Chinesen entspricht in der ayurvedischen Medizin Prana – es gilt als eigenständiges Prinzip des Lebendigen. Der Psychiater und Sexualforscher Wilhelm Reich (1897–1957) wollte diese Lebensenergie unter der Bezeichnung Orgon in den wissenschaftlichen Diskurs einführen und wurde von seinen Kollegen dafür mit Spott und Hohn bedacht.
Die unterschiedlichen Ansätze der Medizin in Ost und West sind für den Ayurveda-Onkologen Vaidya Tapan Kumar in den Grundlagen westlicher und östlicher Traditionen zu finden: „Die große Leistung der westlichen Medizin war es, Leichen zu sezieren, um den materiellen Bauplan des Körpers zu verstehen. Aus diesem Grund ist die westliche Medizin gerade in der Notfallbehandlung so effektiv. Die östliche Medizin hat seit jeher nur vom lebendigen Körper gelernt, versteht deshalb die energetischen Vorgänge besser und hat in dieser Hinsicht Vorteile.“
Zweifellos erzielen Ayurveda und Traditionelle Chinesische Medizin mit ihrem Zugang zur Lebensenergie auch Behandlungserfolge, die der westlichen Medizin versagt bleiben. Den Messmethoden der klassischen Wissenschaft entziehen sich Qi, Prana & Co. aber weiterhin, weshalb manche Skeptiker von „pseudowissenschaftlichem Unfug“ sprechen. „Wer heilt, hat Recht“, sagen die anderen und so bleibt die Lebensenergie weiterhin ein ungelöstes und allgegenwärtiges Rätsel.
INFOBOX Lichtnahrung
Eines möchten wir vorwegnehmen: Wir warnen dringend vor Selbstversuchen mit dem sogenannten Lichtnahrungsprozess und vor anderen Experimenten mit dauerhaftem Nahrungs- oder Flüssigkeitsentzug, da es in diesem Zusammenhang bereits mehrfach zu schweren Komplikationen und sogar zu Todesfällen gekommen ist. Gleichzeitig gab und gibt es in fast allen Kulturen immer wieder Berichte über Menschen, die angeben, von wenig physischer Nahrung dauerhaft leben oder gar ganz darauf verzichten zu können.
Die viel diskutierte Kinodokumentation „Am Anfang war das Licht“ verfolgt und untersucht einige dieser Geschichten – zum Beispiel jene des Schweizer Nationalheiligen Nikolaus von Flüe oder des indischen Yogis Prahlad Jani, der angibt, seit Jahrzehnten weder zu essen, noch zu trinken und sich in zwei vom indischen Militär überwachten klinischen Studien untersuchen ließ. Die Ergebnisse waren verblüffend, da der Yogi die zehn bzw. 15 Tage ohne Essen, Trinken und Urinieren nach gängiger Lehrmeinung nicht hätte überleben dürfen. Ein wissenschaftlicher Beweis für jahrelanges Überleben unter diesen Bedingungen ist das nicht, dafür bedürfte es ebenso langer Studien. Aber die Ergebnisse dienen als Indiz: Dem Menschen dürfte in dieser Hinsicht ein wesentlich breiteres Spektrum zur Verfügung stehen, als die Mediziner in der Vergangenheit für denkbar gehalten haben. Die bislang längste Fastenstudie wurde ebenfalls in Indien am „Sun Gazer“ Hira Ratan Manek durchgeführt, der sich einem medizinisch überwachten, 411-tägigen Fastenexperiment unterzog, bei dem er ausschließlich Wasser zu sich nahm. Manek verlor während der Zeit ohne kalorische Nahrung 19 Kilogramm Körpergewicht. Aufgrund dieses Gewichtsverlustes fehlt also auch hier der Beleg für die Möglichkeit, ganz ohne physische Nahrung auszukommen. Was wir dennoch daraus ablesen können, ist ein klarer Hinweis darauf, dass kalorisch nicht erklärbare Energiemengen einen sehr großen Anteil an der menschlichen Energiebilanz haben könnten.
Das medizinische Qigong der chinesischen Tradition geht davon aus, dass Essen und Atmen nur zwei Möglichkeiten sind, um Lebensenergie aufzunehmen. Das sogenannte Qi, die Lebensenergie, kann nach chinesischer Auffassung auch direkt über die Haut absorbiert werden und die physische Nahrung ganz oder teilweise ersetzen. In China wird diese Technik als „BiGu“, bezeichnet, was so viel bedeutet wie „ohne Brot“, oder genauer als „BiGu FuQi“, „ohne Brot und direkt durch Qi“.
Mittlerweile gibt es auch unter westlichen Wissenschaftlern erste Hypothesen darüber, wie der Körper Energie produzieren bzw. aufnehmen kann, ohne den Umweg über das Essen nehmen zu müssen. Bis zu welchem Grad das möglich sein kann, ist wissenschaftlich gesehen allerdings noch eine völlig offene Frage und bietet reichlich Stoff für zukünftige Forschungen.
Woher beziehen wir unsere Energie?
Die menschliche Energiebilanz weist, wie erwähnt, Abweichungen von den Vorhersagen der Kalorientabellen in beide Richtungen auf. Die Frage, was mit der überschüssigen Energie bei schlechten „Futterverwertern“ passiert, ist weitaus leichter zu beantworten, als die Frage, woher sie bei den sogenannten „Fastenwundern“ kommt.
Über den Darm können wir Nährstoffe ausscheiden, die der Körper nicht als Energie aufgenommen hat. Nicht nur die Gene sind verantwortlich dafür, ob eine Person Nährstoffe auf- und dabei zunimmt oder diese ausscheidet und schlank bleibt – auch die Bakterien in unserem Darm spielen hier eine entscheidende Rolle. Erst in den letzten Jahrzehnten gibt es in der Wissenschaft ein Bewusstsein für die enorme Bedeutung der Darmflora für die menschliche Energiebilanz. Billionen von Bakterien, die unseren Darm bevölkern, beeinflussen nicht nur unser Immunsystem und unser psychisches Wohlbefinden, sondern auch unseren Stoffwechsel. Bestimmte Bakterienstämme erfüllen ganz entscheidende Aufgaben, wenn es darum geht, Bestandteile der Nahrung in verwertbare Substrate zu verwandeln. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Übergewicht und