Am Zauberfluss. Ulrich Meyer-Doerpinghaus

Am Zauberfluss - Ulrich Meyer-Doerpinghaus


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      Reihe zu Klampen Essay

      Herausgegeben von

      Anne Hamilton

      Ulrich Meyer-Doerpinghaus,

      geboren 1967, lebt in Remagen-Oberwinter und ist Kommunikationsleiter der Hochschulrektorenkonferenz in Bonn. Nach dem Studium der Geschichte, Katholischen Theologie und Sozialwissenschaften in Münster und Louvain-la-Neuve (Belgien) war er Doktorand am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen und wurde 1996 promoviert. Für die Dissertation »Soziales Handeln im Zeichen des Hauses. Zur Ökonomik in der Spätantike und im früheren Mittelalter« wurde er mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft ausgezeichnet. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Visiting Scholar an der Harvard University und Projektmanager bei der Westdeutschen Landesbank.

      ULRICH MEYER-DOERPINGHAUS

       Am Zauberfluss

      Szenen aus der rheinischen Romantik

      Inhalt

       Cover

       Reihe zu Klampen Essay

       Titel

       Widmung

       Zitat

       Einleitung

       Ich wähle dich!

       Friedrich Schlegel und die Erfindung der Rheinromantik

       Schimmel und Rappe

      Annette von Droste-Hülshoff und die »Rheingräfin« Sibylle Mertens-Schaaffhausen

       Zweierlei Mission

      Ferdinand Freiligrath in Unkel

       Ein schmerzhaftes Geheimnis

      Franz Liszt und Marie d’Agoult auf Nonnenwerth

       Bis in die Fremde

      Johanna und Gottfried Kinkel, der Bonner Maikäferbund und die deutsche Revolution

       In den Sternen

      Die letzten Jahre von Clara und Robert Schumann

       Quellen und Literatur

       Danksagung

       Impressum

       Fußnoten

       Für Johann und Anna

      Den Rhein hat die Romantik eigentlich entdeckt, ja man kann sagen, geschaffen. Es gibt kaum ein besseres Beispiel für die Übermacht der Phantasie.

       Ricarda Huch

      IM Frühjahr 1790 brach der deutsche Naturforscher und Publizist Georg Forster auf zu einer Reise, die ihn durch das Rheintal zwischen Bingen und Koblenz führen sollte. Als sein Schiff zuvor die sanften Hänge des Rheingaus passierte, griff er nach einem Buch und las darin. Es trug den Titel »Reise nach Borneo« und stammte aus der Feder des holländischen Seefahrers Jacob Janson de Roy. Forster wollte sich mit der Lektüre in frühere Tage zurückversetzen: Zwischen 1772 und 1775 hatte er den britischen Seefahrer James Cook auf dessen zweiter Weltumseglung begleitet. Die kostbarsten Bilder, die Forster sich von jener Reise bewahrt hatte, wurden von dem Buch, in dem er jetzt las, hervorgelockt: das Licht des Südens, die angenehme Wärme, die exotischen Gerüche und die Faszination fremdartiger Menschen. Mit der Lektüre hatte es aber noch eine andere Bewandtnis: Forster wollte mit Hilfe der »Reise nach Borneo« die Eindrücke vertreiben, denen er hier, am Rheingau, ausgesetzt war. Er habe nämlich, so heißt es in seinem Tagebuch, seine »Phantasie an jenen glühenden Farben und jenem gewaltigen Pflanzenwuchs des heißen Erdstrichs, wovon die winterliche Gegend hier nichts hatte, gewärmt und gelabt«.

      Als das Schiff am Binger Loch in das Rheintal einbog, sollte es für den Naturforscher noch schlimmer kommen: »Für die Nacktheit des verengten Rheinufers unterhalb Bingen erhält der Landschaftskenner keine Entschädigung. Die Hügel zu beiden Seiten haben nicht jene stolze, imposante Höhe, die den Beobachter mit einem mächtigen Eindruck verstummen heißt; ihre Einförmigkeit ermüdet endlich, und wenn gleich die Spuren von künstlichem Anbau an ihrem jähen Gehänge zuweilen einen verwegenen Fleiß verraten, so erwecken sie doch immer auch die Vorstellung kindischer Kleinfügigkeit.« Als Forster dann zu den Ritterburgen hinaufsah, geriet sein Urteil nicht milder: »Das Gemäuer verfallener Ritterfesten ist eine prachtvolle Verzierung dieser Szene; allein es liegt im Geschmack ihrer Bauart eine gewisse Ähnlichkeit mit den verwitterten Felsspitzen, wobei man den so unentbehrlichen Kontrast der Formen sehr vermißt.« Die Ruinen dort oben erschienen ihm »ängstlich«, die Städtchen unten am Fluss »melancholisch und schauderhaft«.1

      Forster stand mit seiner Sichtweise in Deutschland nicht allein. Während die Engländer bereits Jahrzehnte vorher den Rhein zu ihrem Sehnsuchtsort erklärt hatten, betrachteten die Deutschen die Landschaft noch mit einiger Reserve. Das zerklüftete, geschichtsbeladene Rheintal passte nicht recht zum Geschmack der Aufklärung, die den klaren Formen, geraden Linien und einem vernunftgesättigten Glauben an die Gegenwart den Vorzug gab. Die steilen Hänge am Ufer des Rheins bereiteten den Deutschen dagegen einiges Unbehagen: Das alles war ihnen zu wirr und unübersichtlich, manchen erschien es sogar bedrohlich.

      Diese Ressentiments hielten jedoch bekanntlich nicht lange vor. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts erklärten die Deutschen den Rhein zum Inbegriff der Romantik: Der Philosoph Friedrich Schlegel entwarf kurz nach 1800 das neue Bild vom Rhein und erfand damit die deutsche Spielart der Rheinromantik. Fast zur gleichen Zeit fuhren die Freunde Clemens Brentano und Achim von Arnim auf dem Schiff durch das Rheintal und ließen sich zu vielen der Texte inspirieren, die in die Liedersammlung »Des Knaben Wunderhorn« eingegangen sind. Brentano erfand auch die Figur der Loreley, vor der später Heinrich Heine mit seinen Versen »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten« eindrücklich warnen sollte. Spätestens als der Koblenzer Verleger Karl Baedeker im Jahr 1828 die »Rheinreise von Mainz bis Cöln. Handbuch für Schnellreisende« publizierte und damit die Reihe seiner Reiseführer eröffnete, war Forster widerlegt. Deutsche reisten von überall her an den Strom und ließen sich von der Landschaft begeistern. Die rheinromantischen Gedichte Kinkels, Freiligraths, Müllers von Königswinter, Simrocks und der Adelheid von Stolterfoht waren bald in aller Munde. Nicht weniger festigten die Gemälde Bleulers, Dietzlers oder Schirmers den Ruf der Landschaft. Um 1840 schien die Zeit der Rheinromantik eigentlich vorüber zu sein, doch


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