Business-Analyse. Axel-Bruno Naumann
Zudem wird jeweils erläutert, wie das Modell in klassischen Vorgehensmodellen bzw. in agilen Vorgehensmodellen angewendet werden kann. Das Kapitel 5 „Business-Analyse in agilen Kontexten“ fasst wichtige Aspekte zu diesem Thema zusammen.
G.3.1.2 Grundprinzipien
Business-Analyse baut auf drei Grundprinzipien, die sich auch in anderen Aufgabengebieten und Disziplinen bewährt haben. Diese Grundprinzipien werden ebenfalls in der ibo-Anforderungstür® angewandt.
Zu den Grundprinzipien zählen
das Vorgehen vom Groben zum Detail
das Vorgehen von den Zielen zur Lösung
rationales Entscheiden.
Vom Groben zum Detail
Bevor man sich in Details verliert und möglicherweise den Überblick verliert, sollte zunächst das Gesamtbild verstanden werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man „den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht“. Für Business-Analysen gilt deswegen der Grundsatz, erst die Gesamtzusammenhänge (das Big Picture) zu erarbeiten, bevor die Details oder die konkreten Anforderungen untersucht werden.
Der Gesamtüberblick hilft später, die einzelnen Anforderungen in das Gesamtbild einzuordnen. Dann wird auch besser ersichtlich, ob einzelne Anforderungen dazu beitragen, die Geschäftsanforderungen zu erreichen. Zudem fällt es leichter, den Aufwand für die Business-Analyse abzuschätzen, wenn klar ist, wie groß beziehungsweise wie umfangreich das anstehende Vorhaben ist.
Von den Zielen zur Lösung
Maßnahmen zu ergreifen und umzusetzen verspricht oft einen schnellen und gut sichtbaren Erfolg. Dabei tritt allerdings oft das Problem auf, dass diese ergriffenen Maßnahmen sich als nicht zielführend herausstellen. Dann wurden Zeit und Ressourcen verschwendet, manchmal ist sogar eine Verschlimmbesserung die Folge – der neue Zustand ist im Ergebnis schlechter als der alte.
Ziele beschreiben einen zukünftigen Zustand beziehungsweise erwünschte Wirkungen, ohne dabei den Weg zur Umsetzung der Ziele selbst zu beschreiben. Selbst wenn der Weg etwa durch gesetzliche, strategische oder technologische Restriktionen vorgegeben ist, sollten dennoch die Ziele geklärt werden, die am Ende erreicht werden sollen.
Die Lösung ergibt sich aus der Summe der Maßnahmen, die aus einem Ist-Zustand einen künftigen Soll-Zustand entwickeln. Häufig wird bei einer Lösung nahezu zwangsläufig an eine IT-Lösung gedacht, aber nicht alle Anforderungen erfordern unbedingt die IT. Die Business-Analyse sollte in jedem Fall eine ganzheitliche Perspektive einnehmen. Neben technischen Aspekten sollte sie auch prozessuale, strukturelle, strategische und kulturelle Aspekte einer Lösung berücksichtigen. Selbst wenn es auf eine IT-Lösung hinausläuft – was sehr oft der Fall ist – hilft die beste IT-Lösung wenig, wenn ihre Auswirkungen auf Geschäftsprozesse, Aufbauorganisation (zum Beispiel das Organigramm), ihre strategische Relevanz und Akzeptanz bei Beteiligten und Betroffenen nicht analysiert und berücksichtigt wurde.
Rationales Entscheiden
Komplett neue Lösungen zu entwickeln – auf der grünen Wiese neu zu beginnen – kann unter Umständen sehr sinnvoll sein und wirklich innovative und gute Lösungen überhaupt erst möglich machen. Solche Verbesserungen sind manchmal durch ein Vorgehen in kleinen Schritten zur Verbesserung des Ist-Zustands – empirisches Vorgehen – kaum möglich. Gleichwohl setzt die Mehrzahl der Lösungen, die in der Praxis entwickelt werden, auf den Ist-Zustand auf: Bestehende IT-Systeme, vorhandene Geschäftsprozesse, eine existierende Aufbauorganisation sollen dann weiterentwickelt werden.
Wird das Prinzip des rationalen Entscheidens für die Business-Analyse angewendet, steht eine Analyse des Ist-Zustands am Anfang. Aus ihr werden Handlungsfelder und Handlungsoptionen ersichtlich. Zunächst sollten dabei Probleme und deren Ursachen analysiert sowie Ziele formuliert werden. Erst danach sollten Verbesserungsmöglichkeiten des Ist-Zustands ermittelt und Lösungsansätze entwickelt sowie der beste Lösungsansatz weiterverfolgt werden. Rationales Entscheiden bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass nachvollziehbar und mit plausiblen Kriterien aufgezeigt wird, welches der beste Lösungsansatz ist. Jetzt kann entschieden werden, ob „auf der grünen Wiese“ neu gestaltet oder auf dem Bestehenden aufgebaut wird.
Alle drei Prinzipien ziehen sich durch die komplette ibo-Anforderungstür®, finden sich allerdings auch in den einzelnen Konzepten Business-Case-Erstellung, Requirements Engineering, Lösungseinführung und Business-Analyse-Planung und -Steuerung. Hier seien die wichtigsten Anwendungsfelder genannt.
Vom Groben zum Detail wird als Prinzip angewendet, indem zunächst der (gröbere) Business Case erstellt wird, bevor sich Business-Analysten im Requirements Engineering mit den detaillierteren Anforderungen beschäftigen.
Von den Zielen zur Lösung bedeutet, dass die Ziele (Geschäftsanforderungen) frühzeitig im Business Case formuliert werden, ehe über einen Lösungsansatz nachgedacht wird, dieser im Requirements Engineering näher beschrieben wird und die Lösung schließlich genutzt wird (Lösungseinführung).
Rationales Entscheiden findet sich ebenfalls in allen Konzepten wieder. Im Business Case wird beispielsweise zunächst der Ist-Zustand analysiert, bevor Lösungsansätze empfohlen werden. Im Requirements Engineering liegt dem Vorgehen (von der Vorbereitung hin zur Genehmigung) rationales Entscheiden zugrunde. In der Lösungseinführung wird die Wirksamkeit der Lösung geprüft und es wird bewertet, ob die Lösung zielgerichtet ist. In Business-Analyse-Planung und -Steuerung wird die eigene Arbeit als Business-Analyst fortlaufend daraufhin analysiert, ob sie effizient und effektiv funktioniert.
G.3.2 Business-Case-Erstellung
Abb. G.08: Business-Case-Erstellung
„Das Problem zu erkennen, ist wichtiger als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung.“
Albert Einstein
Es gibt viele Ausgangspunkte und Auslöser für Business-Analysen, zum Beispiel:
intern angestoßene Verbesserungsmaßnahmen
extern ausgelöste Veränderungen, beispielsweise durch neue oder andersartige Kundenbedürfnisse oder gesetzliche beziehungsweise regulatorische Änderungen
kleine Veränderungen, die punktuelle Chancen zur Verbesserung wahrnehmen
große Maßnahmen, die im Rahmen von Projekten umgesetzt werden
durch Mitarbeiter genannte Anforderungen
durch Geschäftsführung oder Strategie initiierte Veränderungen
eine Mischung der vorgenannten Auslöser.
Unabhängig davon, wie die Ausgangslage aussieht, sollte die Business-Analyse zuerst versuchen, das Gesamtbild zu verstehen, ehe sie sich näher mit detaillierteren Anforderungen beschäftigt und nach Wegen zu einer möglichen Lösung sucht. Ein Business Case bietet eine Struktur für ein systematisches Vorgehen an. Vier Vorgehensschritte führen von der Untersuchung und Analyse des Ist-Zustands zur Empfehlung eines Soll-Zustands. Um das Prinzip „Vom Groben zum Detail“ zu beachten, erstellt der Business-Analyst den Business Case auf „größerer Flughöhe“.
Leistungspotenziale
Im ersten Schritt der Business-Case-Erstellung analysieren Business-Analysten die Ist-Situation. Diese wird auf fehlende und bestehende Leistungspotenziale untersucht. Wo liegen aktuell Probleme, die es zu lösen gilt? Welche Ursachen führen zu diesen Problemen?
Fehlende Leistungspotenziale sind in vielen Fällen IT-Systeme beziehungsweise IT-Unterstützung, die neu zu erstellen oder zu verbessern sind. Darüber hinaus sollten allerdings auch Geschäftsprozesse, strukturelle Veränderungen und kulturelle Aspekte berücksichtigt werden.
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