Business-Analyse. Axel-Bruno Naumann
Die Möbelhauskette TREND vertreibt in ihren neun Filialen das folgende Sortiment: Möbel für Wohnzimmer, Dielen, Schlafzimmer, Küchen, für Bäder, Kinder- und Jugendzimmer, für Gärten und für Büros; daneben werden Leuchten verkauft, Dekoration, Textilien und Teppiche, Utensilien für Essen und Trinken, Kochen und für Aufbewahrung.
Das inhabergeführte Unternehmen hat sich in den letzten vierzig Jahren einen guten Namen in den jeweiligen Regionen gemacht. Die Filialen punkten mit persönlicher Beratung und kundenfreundlichem Service.
Dennoch machen die Mitbewerber dem Management Sorgen. Gerade schwedische Mitbewerber binden junge und kaufkräftige Kunden an sich. Dies bestätigen die Verkäufer in den TREND-Filialen, wenn sie nach der Altersstruktur ihrer Kunden befragt werden.
Als eine Ursache für diese Entwicklung wird der bisherige Internetauftritt vermutet (das Sortiment in den Filialen soll zu einem späteren Zeitpunkt auf Attraktivität überprüft werden). Auf der gemeinsamen Internetseite werden im Wesentlichen nur die Standorte der Filialen, ihre Öffnungszeiten und allgemeine Kontaktdaten (Telefon, Fax, E-Mail) genannt. Die wichtigsten Markenhersteller der Produkte sind nur namentlich aufgeführt. Interessenten können sich aber keine Produkte auf der Internetseite ansehen, geschweige denn bestellen. Dies verwundert vermutlich junge bzw. internetaffine Kunden und lässt sie zu anderen Möbelhäusern wechseln.
In der Hauptverwaltung arbeiten ca. 100 Personen: neben der Geschäftsführung sind dort die Buchhaltung, das Marketing, die zentrale IT-Abteilung, der zentrale Einkauf, Personalabteilung, Organisationsabteilung und das Gebäudemanagement angesiedelt (vgl. Abb. G.03).
Die neun Filialen sind nahezu gleich aufgestellt: neben den Verkäufern (inzwischen Kundenbetreuer genannt, die wechselnd auch an den Kassen eingesetzt werden), gibt es das lokale Lager, die Filialleitung mit Sekretariat, einen lokalen EDV-Techniker und eine Imbissecke, die den Kunden Getränke und eine kleine Auswahl an kalten und heißen Gerichten anbietet.
Abb. G.03: Organigramm der TREND Möbelhäuser
Bei den TREND Möbelhäusern reichen die Anforderungen vom Wunsch einer „Auswertung der Verkaufszahlen pro Möbelkategorie je Filiale“ als Ergänzung eines bestehenden Berichtswesens, über die Ablösung des bisherigen Warenwirtschaftssystems durch ein neues, bis hin zu konkreten Inhalten und zum Layout des nächsten Werbeflyers.
G.2 Anforderungen und Klassifikationsschema
G.2.1 Übersicht
Unter dem Begriff Anforderung werden in der Praxis unterschiedliche Wünsche, Bedingungen und Bedürfnisse verstanden, die von kleinen Änderungsideen über grobe Projektvorschläge bis hin zu konkret ausgearbeiteten Lösungsvorschlägen reichen. Werden Anforderungen sinnvoll zusammengefasst, um eine gewünschte Veränderung zu charakterisieren, lässt sich daraus eine zielführende Lösung entwickeln.
Eine Lösung ist die Summe der Veränderungen des Ist-Zustands eines Unternehmens, um einen Bedarf zu decken und/oder Ziele zu erreichen.
Schon seit einiger Zeit werden die Stimmen lauter, die einen Internetshop für die TREND Möbelhäuser vorschlagen. Zu dieser möglichen Lösung werden auch entsprechende Anforderungen genannt wie z.B. Möbelkonfigurator, 3D- Ansicht, Lieferung der Möbel nach Hause oder Abholung in der Filiale.
Eine Anforderung ist
(1) eine von einem Stakeholder benötigte, angeforderte oder gewünschte Beschaffenheit oder Fähigkeit einer Lösung,
(2) eine Beschaffenheit oder Fähigkeit einer Lösung, um Vorgaben von Verträgen, Standards, Spezifikationen oder anderen Dokumenten einzuhalten,
(3) eine Dokumentation der vorgenannten Beschaffenheiten oder Fähigkeiten.
(1) In den TREND Möbelhäusern werden viele Anforderungen von Stakeholdern (Anforderungsstellern) benötigt, z.B. von Filialleitern, Geschäftsführung oder Kunden. Während Management und Führungskräfte Anforderungen tatsächlich anfordern, ist dies bei anderen Stakeholdern nicht unbedingt der Fall. Gerade die Möbelkunden äußern selten aktiv ihre Bedürfnisse. Trotzdem gibt es auch bei ihnen benötigte und gewünschte Beschaffenheiten oder Fähigkeiten einer Lösung. Diese sollten umgesetzt werden. Wie viele Unternehmen lebt auch TREND davon, die Kundenbedürfnisse zu kennen und zu erfüllen.
(2) Aus Verordnungen und Gesetzen (z.B. Steuerrecht, Preisangabenverordnung) ergeben sich weitere Anforderungen, die TREND als Unternehmen zu berücksichtigen und zu erfüllen hat. Daneben gibt es z.B. auch Rahmen- und Lieferverträge mit Möbelherstellern, Großhandel und Logistikern.
(3) Immer wieder kommt es vor, dass die Business-Analysten bei TREND Anforderungen aus (1) oder (2) nicht in den Anforderungsdokumenten berücksichtigen. Dies geschieht in der Regel unbeabsichtigt und kann mehrere Gründe haben:
Zeitmangel
Stakeholder „benötigen“ oder „wünschen“ ihre Anforderungen zwar, äußern sie aber nicht tatsächlich und fordern sie damit nicht aktiv an.
Bei der Fülle der eigentlich zu berücksichtigenden Dokumente und Standards werden einzelne Anforderungen nicht ermittelt. Gesetzestexte und Rahmenverträge sind so umfangreich, dass nicht immer sichergestellt werden kann, dass alle Anforderungen ins Anforderungsdokument übernommen werden.
Von Anforderungen zu unterscheiden sind Annahmen und Restriktionen, die häufig zusammen bzw. „gemischt“ mit Anforderungen während der Anforderungsermittlung von Stakeholdern genannt werden. Annahmen und Restriktionen werden in Kapitel G.2.3 skizziert und in Kapitel 2.3 „Anforderungsermittlung“ näher beschrieben.
G.2.2 Klassifikationsschema der Anforderungen
In den meisten Projekten ist eine große Anzahl von Anforderungen zu berücksichtigen. Auch Anforderungen, die nicht in Projekten umgesetzt werden (sondern z.B. in Einzelmaßnahmen oder im Tagesgeschäft), kommen sprichwörtlich „selten allein“. Deswegen sollten Anforderungen gegliedert werden, um eine Übersicht zu bekommen und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Hierzu werden unterschiedliche Kategorisierungen genutzt. Die Tabelle zeigt einige gebräuchliche Anforderungsklassen.
Anforderungen an (Benutzer-) Schnittstellen | Rechtliche Anforderungen |
Vertragliche Anforderungen | Systemanforderungen |
Marketing-Anforderungen | Produktanforderungen |
Komponentenanforderungen | Technische Anforderungen |
Anforderungen an die Entwicklung | Anforderungen an Mitarbeiter |
Qualitätsanforderungen |
Abb. G.04: Gebräuchliche Anforderungsklassen
Anforderungen können sehr allgemein sein oder sehr speziell. Sehr detaillierte Anforderungen sollten nicht mit groben Anforderungen verglichen werden – die sogenannte Granularität sollte in etwa vergleichbar sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass „Äpfel mit Birnen verglichen“ werden.
Ein Klassifikationsschema der Anforderungen bietet eine Anforderungsstruktur. Die hier zugrunde gelegte Struktur besteht aus vier Anforderungskategorien.
Das im Folgenden erläuterte Klassifikationsschema