Business-Analyse. Axel-Bruno Naumann
deutlich machen. Dabei werden insbesondere die Fragen „Warum?“, „Was?“ und „Wie?“ beantwortet.
Warum? Geschäftsanforderungen geben darüber Auskunft, wieso eine Veränderung sinnvoll oder notwendig ist.
Was? Stakeholder-Anforderungen verdeutlichen, welche Merkmale und Beschaffenheiten eine Lösung bieten soll.
Wie? Lösungsanforderungen (unterschieden in funktionale und nicht-funktionale Anforderungen) beschreiben, auf welchem Weg eine Lösung die Geschäftsanforderungen erreichen soll und systematisieren dabei die Stakeholder-Anforderungen.
Transitionsanforderungen bilden insofern eine eigene Kategorie, als sie beschreiben, wie der Übergang vom Ist- zum Soll-Zustand verlaufen soll, nachdem die Lösung zumindest grob beschrieben ist.
Abb. G.05: Klassifikationsschema der Anforderungen
G.2.2.1 Geschäftsanforderungen
Eine Geschäftsanforderung ist eine Aussage zu Zielen und erwünschten Wirkungen. Sie beschreibt die Gründe für eine Veränderung.
In den Geschäftsanforderungen finden sich die „gröbsten“ Aussagen innerhalb der vier Anforderungskategorien. Sie sind damit häufig allgemein gültige Forderungen, die es zu erfüllen gilt und die in vielen Fällen auch mittel- bis langfristig gültig bleiben. Demgegenüber können Anforderungen der anderen Anforderungsklassen in der Regel nach ihrer Umsetzung als erfüllt oder „erledigt“ betrachtet werden.
Geschäftsanforderungen beantworten die Frage „Warum?“: „Warum ist eine Veränderung des Ist-Zustands sinnvoll oder notwendig?“
Inhaber, Filialleiter und Management haben sich in einer ihrer quartalsweisen Führungskräfterunden darauf verständigt, dass für die kommenden Jahre die folgenden Geschäftsanforderungen angestrebt werden sollen:
10 % mehr Umsatz im Vergleich zum abgelaufenen Kalenderjahr
Steigerung des Bekanntheitsgrads in der Region
höhere Kundenzufriedenheit, gemessen an weniger Reklamationen
einheitliches Auftreten gegenüber den Kunden in allen neun Filialen.
Weitere Ausführungen zu Geschäftsanforderungen finden sich in Kapitel 1.3.
G.2.2.2 Stakeholder-Anforderungen
Eine Stakeholder-Anforderung ist der Bedarf, der sich aus der beruflichen Funktion der Stakeholder ergibt.
Letztlich dienen diese Anforderungen dazu, die Geschäftsanforderungen zu erreichen. Stakeholder-Anforderungen können eine Brücke zwischen Geschäfts- und Lösungsanforderungen schlagen.
Stakeholder-Anforderungen konkretisieren die Geschäftsanforderungen, indem sie die Frage beantworten „Was soll geändert oder erreicht werden, um die Geschäftsanforderungen zu erfüllen?“
Auch wenn der Begriff es suggeriert, Stakeholder-Anforderungen stammen nicht zwangsläufig von Personen oder Personengruppen (Anforderungsstellern); sie können auch aus Dokumenten, Standards oder rechtlichen Vorgaben stammen.
Nach der Führungskräfterunde wurden die Business-Analysten bei TREND beauftragt, Vorschläge dafür zu sammeln, wie die Geschäftsanforderungen erreicht werden können. Die Business-Analysten haben bei verschiedenen Stakeholdern (Filialleiter, Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten) eine Liste mit Vorschlägen zusammengetragen, u.a.
Marketing-Kampagne für einen größeren Bekanntheitsgrad und zur Steigerung des Umsatzes
bessere Liefer- und Rahmenverträge sowie kulantere Reklamationsbearbeitung zur Steigerung der Kundenzufriedenheit
standardisierte Geschäftsprozesse für einheitliches Auftreten und Arbeiten (hierbei sind u.a. Vorschriften und Standards zum Arbeitsschutz zu beachten).
Weitere Ausführungen zu Stakeholder-Anforderungen finden sich in Kapitel 2.
G.2.2.3 Lösungsanforderungen
Eine Lösungsanforderung ist eine Beschreibung der Aspekte einer Lösung, die Stakeholder-Anforderungen oder Geschäftsanforderungen erfüllt.
Lösungsanforderungen unterteilen sich in funktionale und nicht-funktionale Anforderungen. Funktionale Anforderungen beschreiben, was eine Lösung leisten soll, wie sie sich verhalten oder wie sie reagieren soll, wie sie beschaffen sein soll und welche Leistungsmerkmale sie erfüllen soll.
Nicht-funktionale Anforderungen beschreiben, unter welchen Bedingungen eine Lösung funktionieren soll.
Stakeholder-Anforderungen liegen häufig nicht in einer angemessenen Qualität und in einem geeigneten Detaillierungsgrad (Granularität) vor, so dass sie nicht direkt zur Umsetzung bzw. Entwicklung einer Lösung verwendet werden können (eine Lösung kann dabei IT-Systeme, organisatorische Änderungen oder die Optimierung von Geschäftsprozessen umfassen).
Wünsche, die „menschliche“ Stakeholder äußern, widersprechen sich unter Umständen, weil verschiedene Fachabteilungen unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Einige Anforderungen sind schon sehr konkret, ohne den Kontext zu berücksichtigen; andere sind zu allgemein, so dass für eine Umsetzung zu viele Annahmen und Interpretationen benötigt werden.
Nicht-funktionale Anforderungen werden durch Stakeholder häufig nicht genannt, weil sie als selbstverständlich oder „zu technisch“ aufgefasst werden.
Es ist ein wesentliches Aufgabenfeld der Business-Analyse, aus (unzureichenden) Stakeholder-Anforderungen konsistente, klare, zielgerichtete Lösungsanforderungen zu entwickeln, die durch ihre Umsetzung einen (Mehr-)Wert für die Stakeholder erbringen. Dabei sollten funktionale Anforderungen idealerweise technologiefrei sein (das „Was“, nicht das „Wie“ beschreiben). Nichtfunktionale Anforderungen müssen zum Teil Aussagen zu einer Technologie treffen und damit die Lösung einschränken (synonym wird auch von Qualitätsanforderungen oder technischen Anforderungen gesprochen).
Auch in den TREND Möbelhäusern ergeben sich Widersprüche, die gelöst werden müssen: Während die Marketing-Abteilung nur noch auf Online-Werbung setzen möchte, stellen sich die Kollegen der Filialen vor, bestehende Prospekte und Printwerbung zu verbessern. Dabei gibt es schon sehr konkrete Vorschläge: „Das €-Zeichen sollte zur besseren Lesbarkeit hinter und nicht vor dem Preis stehen“.
Aus der IT kommt der Wunsch, das bestehende und in die Jahre gekommene Warenwirtschaftssystem durch ein neues zu ersetzen. Dabei bleibt zunächst völlig unklar, wie das im Detail aussehen könnte und – noch viel wichtiger – ob dieser Wunsch überhaupt zu den Geschäftsanforderungen passt. Auf Nachfrage äußert der IT-Leiter, dass u.a. nicht-funktionale Anforderungen wie „schnelle Antwortzeit“ und „leichte Wartbarkeit“ durch das aktuelle Warenwirtschaftssystem nicht mehr gegeben seien.
Lösungsanforderungen sind typischerweise detaillierter und umfangreicher als Geschäfts- oder Lösungsanforderungen (vgl. Abbildung G.06). Damit beschreiben sie eine Lösung mit mehr Inhalten und konkreter. Je konkreter eine Lösung durch die Lösungsanforderungen beschrieben ist, desto weniger Freiheit bleibt den Umsetzern dieser Lösung.
Business-Analysten sollten allerdings darauf achten, Lösungsanforderungen fachlich zu beschreiben und die konkrete (technische) Umsetzung den (IT-) Experten zu überlassen.
Abb. G.06: Determiniertheit der Lösung und Freiheitsgrad in der Umsetzung der Anforderungen