Geschwisterliebe. Stephan Hähnel

Geschwisterliebe - Stephan Hähnel


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Luckenwalder Brennerei, die auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken konnte. Dass es überhaupt Whisky im Osten gab, war einem Staatsführungsbeschluss zu verdanken. Die Privatbrauerei produzierte seitdem das Gesöff, vermochte aber mit dieser Spirituose allenfalls das trinkfeste Proletariat zu begeistern.

      Gensfleisch, dem die unverhohlene Drohung mit ein paar Jahren Bautzen nicht aus dem Kopf ging, bestellte sich ein weiteres Glas Falckner und hoffte auf einen Gewöhnungseffekt. Tatsächlich hatte die Staatssicherheit genug in der Hand, um ihn ans Messer zu liefern. Kompromittierende Fotos von seinen Besuchen im Café Chérie und einer Nacht im hauseigenen Hotel waren dabei noch das geringste Übel. Seine Arbeit in der Bundesdruckerei wurde zwar gut bezahlt, aber der Handel mit bundesdeutschen Ausweispapieren brachte eindeutig mehr ein. Ärgerlich nur, dass er auf das Wohlwollen von Major Schwarz angewiesen war.

      «Sie sehen aus, als könnten Sie Gesellschaft gebrauchen.» Die Stimme gehörte zu einem in die Höhe drapierten roten Schopf mit einem dezent geschminkten Gesicht und einem schlanken, wohlgeformten braungebrannten Körper, der in einem marineblauen Minikleid steckte. Passende Pumps und eine elegante Handtasche, die problemlos ein kleines Aufnahmegerät verbergen konnte, rundeten die beeindruckende Erscheinung ab. Sofort erkannte Gensfleisch, dass die Frau größer war als er, ein paar Zentimeter nur, selbst ohne ihre hochhackigen Schuhe. Freundlich wies er auf den Platz neben sich und fragte mit einem Lächeln: «Darf ich Sie auf einen Drink einladen?»

      Er durfte. Gensfleisch hatte auch nichts anderes erwartet. Einen Moment lang dachte er an die mahnenden Worte seines Führungsoffiziers, jedoch beschloss er, diese angesichts dessen, was auf dem Barhocker neben ihm saß, zu ignorieren. Er würde sich einen schönen Abend machen, das Blaue vom Himmel erzählen und die Fremde anschließend vögeln. Ein Hoch auf die Amazonen der Weltrevolution!, prostete er in Gedanken Major Schwarz zu.

      Die Frau, die sich Simone nannte, war gut ausgebildet. Angeblich hatte sie ein Bewerbungsgespräch als Stewardess bei der Interflug. Da sie aus Lobbe komme, einem kleinen, verschlafenen Ostseenest auf Rügen, und es am Montagmorgen keine Zugverbindung gebe, die sie pünktlich zum Flughafen gebracht hätte, habe die Interflug notgedrungen ein Zimmer für sie gebucht. Eine Nacht habe sie sich zusätzlich gegönnt, um ein schönes Wochenende zu genießen. Berlin sei schließlich immer eine Reise wert. Normalerweise sei ein derart exklusives Hotel jedoch nicht ihre Preisklasse.

      Gensfleisch tat interessiert, lächelte verständnisvoll und ließ ihr Sektglas nachfüllen. Dankbar nahm sie es an und erklärte dann, dass sie aufgrund ihrer Sprachfähigkeiten – immerhin beherrsche sie perfekt Französisch, Englisch und Russisch – in den engeren Kreis jener Bewerber gerückt war, die für ausgewählte internationale Flugrouten eingesetzt werden sollten. Europa, Naher Osten, Afrika. Ein kurzes sehnsüchtiges Seufzen. Eine perfekte Inszenierung.

      «Bin ich dann nicht der falsche Umgang für Sie?», bemerkte Gensfleisch mit einem Lächeln und nippte am Falckner. «Meines Wissens wirken sich Westkontakte ausgesprochen negativ auf hiesige Karrieren aus.»

      Sie lehnte sich vor, gewährte einen kurzen Einblick in ihr Dekolleté und hauchte: «Sie müssen mich ja nicht verraten.»

      «Von mir erfährt niemand etwas. Ich schweige wie ein Grab.» Er machte eine Geste, als würde er seinen Mund abschließen.

      Simone reagierte auf seine Flirtversuche mit einem gekonnten Lächeln und sympathischer Neugier. «Kommen Sie aus West-Berlin?», erkundigte sie sich mit gesenkter Stimme.

      Er zögerte einen Augenblick, bevor er ebenfalls leise antwortete: «Ich habe eine fantastische Wohnung in der Nähe des Anhalter Bahnhofs.»

      Sie hörte ihm zu und lauschte seinen Ausführungen über das Nachtleben in West-Berlin, führte ihn aber immer wieder auf jenes Thema zurück, das ihr besonders wichtig zu sein schien: Politik.

      «Natürlich interessiere ich mich für Politik», behauptete er, um ihr dann Dinge zu erzählen, denen allen eines gemeinsam war: Sie waren erstunken und erlogen. «Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass ich zu jenem erlesenen Kreis gehöre, der regelmäßig zu Feierlichkeiten des West-Berliner Senats eingeladen wird. Das hängt mit meiner Aufgabe in der Bundesdruckerei zusammen. Willy Brandt kenne ich sogar persönlich, noch aus seiner Zeit als Regierender Bürgermeister.» Er schaute die junge Frau an, die einen Augenblick irritiert zu sein schien, sich aber sofort wieder unter Kontrolle hatte. «Willy macht immer den Eindruck, als würde er beim Sprechen gleich einschlafen», begann er zu erzählen und ahmte die Stimme des jetzigen Bundeskanzlers nach: «Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein.»

      Er redete weiter über Persönlichkeiten der Politik, über Intrigen der Mächtigen und angebliche Pläne der Führung in West-Berlin. Der Falckner schmeckte zwar immer noch wie billiger Fusel, wirkte aber angenehm berauschend. Das letzte Glas, das der Barkeeper gebracht hatte, führte auf die Ziellinie. «In meiner Funktion habe ich ständig mit politischen Abgründen zu tun. Ein wirklich einsamer Job.» Er schwieg und schaute traurig in sein Glas. Traurig gucken war eine seiner Stärken.

      Simone nahm ihn mit auf ihr Zimmer und besorgte es ihm prächtig.

      Er faselte etwas von «Du bist eine fantastische Frau» und «Ich wünschte, ich könnte dich wiedersehen».

      Ihren vermeintlichen Erfolg genießend, antwortete sie: «Warum nicht? Das liegt ganz an dir.»

      Simone war, wie erwartet, größer als er und am ganzen Körper gebräunt. «FKK – Freikörperkultur am Ostseestrand», resümierte er bewundernd und genoss das falsche Spiel.

      Nur kurz fragte er sich, wo die Kamera der Staatssicherheit diesmal versteckt war. Da er keine entdeckte, winkte er unauffällig lächelnd in Richtung des Spiegels. Major Schwarz erpresste ihn schon mit diversen Aufnahmen aus dem Café Chérie. Auf ein paar weitere schlüpfrige Bilder aus einem Ost-Berliner Hotel kam es nun auch nicht mehr an.

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