Das große Still-Kompendium. Andrew Taylor Still
ich dem Leser damit sagen möchte: Sofern er meine Geschichte lesen möchte, möge er sie lesen, wie ich sie schreibe und nicht entsprechend dem entstellenden Zugang manch falsch darstellender Zeitung.
– A. T. Still
Kirksville, Missouri, 15. Juni 1897
VORWORT DES AUTORS ZUR ZWEITEN AUSGABE
In dieser überarbeiteten zweiten Auflage meiner Biografie biete ich Osteopathen und anderen Interessierten eine Version, in der einige Dinge von geringer Bedeutung heraus gelassen und der Raum durch Aspekte ausgefüllt wurde, die von größerem Interesse sein werden.
Unglücklicherweise erlitt das Verlagshaus der ersten Auflage 1907 einen Großbrand, in dessen Verlauf die Druckplatten der ersten Ausgabe verloren gingen.
Um der ständigen Nachfrage nach meiner Biografie gerecht zu werden, erschien es mir am geeignetsten die alte bereits vergriffene Version zu überarbeiten. Du wirst feststellen, dass die neue Auflage eine Verbesserung der alten darstellt. In den vergangenen Jahren seit der ersten Ausgabe hat es fortschreitende und aufstrebende Bewegungen in allen Bereichen meiner Schule gegeben. Es ist mir gelungen die Osteopathie auf eine Art und Weise bekannt zu machen, dass die Studenten die Philosophie dieser Wissenschaft begreifen und verstehen. Du kannst selbst ihre Fähigkeiten erproben, ob sie halten, was sie versprechen: Das wahre Gesetz zur erfolgreichen Bekämpfung von Krankheiten darzustellen und als gut ausgebildete Denker und Ingenieure den menschlichen Körper vom Kranksein zur Gesundung zu führen.
Ich möchte Dr. E. B. Veazie und Prof. Bean für Ihr unermüdliches Interesse und ihre unterstützende Arbeit bei der Erstellung dieser überarbeiteten Ausgabe danken, da es für mich in meinem jetzigen Alter und Gesundheitszustand unmöglich gewesen wäre, diese Aufgabe ohne ihre Unterstützung zu vollenden.
Ich plane ein kurzes und verständliches Kapitel anzuhängen, das die seit 1897 vergangene Zeit umfasst.2 Diese Informationen werden von großem Interesse für den Leser sein, da sie die Geschichte der Entwicklung der Osteopathie und ihrer Schule in den letzten zehn Jahren umfasst. Für ihre Unterstützung bei diesem Vorhaben danke ich zutiefst Dr. Franklin Fiske, Dr. Julius Quintal, meinen Söhnen und vielen anderen, denen ich Hilfe und Ermutigung verdanke.
Ich hoffe, dass diese neue Ausgabe alle Leser befriedigen möge, da dies wohl meine letzte Anstrengung gewesen sein wird eine Autobiografie zu schreiben.
Ohne weitere Anmerkungen möchte ich mich von Euch verabschieden.
– A. T. Still
Kirksville, Missouri, 1. Januar 1908
KAPITEL I
Erste Lebensjahre – Schultage und der schonungslose Stock – Ein Hundekenner – Mein Feuersteinschloss – Gewehr – Der erste Herd und die erste Nähmaschine – Das Ende der Welt kommt – Meine erste Entdeckung in der Osteopathie
Ich nehme an, ich habe mein Leben wie alle anderen Kinder mit einer tierischen Form, einem Verstand und mit Bewegung und alles in richtiger Reihenfolge begonnen. Ich glaube, ich habe geschrien und alle natürlichen Erwartungen an ein Baby erfüllt. Meine Mutter war wie andere Mütter mit fünf oder sechs Kindern, welche die ganze Nacht zu ihrem Vergnügen weinten. Mit vier oder fünf Jahren bekam ich meine erste lange Hose und damit war ich der Mann im Hause. Zu gegebener Zeit wurde ich in die Schule, die in einem Blockhaus untergebracht war, geschickt. Dort unterrichtete ein alter Mann namens Vandeburgh. Er sah weise aus, wenn er sich von seinen Pflichten ausruhte. Diese bestanden darin kleine und große Mädchen und Jungen von sieben Uhr morgens bis sechs Uhr abends zu verprügeln, lediglich unterbrochen von einigen wenigen Unterrichtsstunden in Buchstabieren, Lesen, Schreiben, Grammatik und Arithmetik. Es folgte der Schulschluss, begleitet von Ermahnungen, sofort nach Hause zu gehen, nicht auf dem Nachhauseweg zu balgen und am kommenden Morgen pünktlich um sieben Uhr wieder da zu sein, um weitere Prügel in Empfang zu nehmen. Dies ging so lange weiter, bis die Mädchen und Jungen nicht mehr genug Aufmerksamkeit besaßen, um ihre Lektionen zu wiederholen. So ließ er uns für schlechtes Buchstabieren auf einem blanken Pferdeschädel sitzen und beglich unsere ‚Sünden‘ mit dem ‚schonenden Stock‘, den er – je nach Situation – aus 12 Stöcken auswählte, die ihm bis sechs Uhr abends bei der Ausübung seiner Prügel dienten.
1834 zog mein Vater von diesem Ort der Folter in Jonesville, Lee County, Virginia, nach New Market, Tennessee. In dieser Stadt wurde ich 1835 zusammen mit zwei älteren Brüdern zur weiteren Ausbildung auf das Holston College geschickt, das unter der Aufsicht der Methodistenkirche stand. Die Schule wurde von Henry C. Staffel geleitet, einem Mann von hohem kulturellen Niveau, den Kopf voller Grips und ohne eine Spur Gewalt in seiner Arbeit.
1827 wurde mein Vater von der Methodistischen Konferenz zum Missionar für den Einsatz in Missouri ernannt. Wir sagten dem feinen Ziegelgebäude des Colleges in Holston ‚Auf Wiedersehen‘ und erreichten nach einer siebenwöchigen Reise unser neues Ziel. Dort befanden wir uns in einem Land ohne Schulen, Kirchen oder Zeitschriften, sodass meine Schulzeit hier zunächst einmal endete. 1839 engagierten mein Vater und sechs oder acht andere J. D. Halstead, der uns nach bestem Vermögen unterrichten sollte. Er tat dies in den Jahren 1839/40 sehr streng, jedoch nicht so brutal wie Vandeburgh. Der Frühling 1840 führte uns von Macon County nach Schuyler County, Missouri, wo ich bis 1842 keinen weiteren Unterricht erhielt. Erst im darauf folgenden Herbst fällten wir drei Bäume und bauten ein Blockhaus. Es maß 5,40 auf 6 Meter, war 2,10 Meter hoch und besaß einen Eingangsflur. Um das Licht zu verstärken, das sonst nur durch die Spalten in der Verschalung der Decke herein schien, und das wir zum Lesen und Schreiben benötigten, fehlte an jeder Seite ein Balken. Diese Lehrinstitution wurde von John Mikel aus Wilkesborough, North Carolina, geführt. Er erhielt pro Kopf für 90 Tage $ 2. Wilkesborough war gut zu seinen Schülern, die unter seiner Führung rasche Fortschritte machten. Im Sommer 1843 wurde der Unterricht für drei Monate von John Hindmon aus Virginia übernommen. In dieser Zeit konnte eine deutliche Zunahme der mentalen Fähigkeiten bei den Schülern beobachtet werden. Anschließend kehrten wir in das alte Blockhaus zurück und lernten im Herbst unter der Anleitung von Pfarrer James N. Calloway aus Smiths Grammatikbuch. Er unterrichtete seine Klasse über vier Monate in allen englischen Fächern und erwies sich als großer und gutmütiger Mensch. Die Liebe und das Lob aller, die ihn kannten, begleitete seinen Abschied aus unserer Mitte.
Im Frühjahr 1845 kehrten wir nach Macon County zurück. Die Schule hier wurde damals von G. B. Burkhart geleitet. Da wir uns aber nicht verstanden, ging ich einfach nicht mehr hin. So blieb ich eine Weile zu Hause und besuchte dann eine Schule in La Plata, Missouri, die unter der Leitung Reverend Samuel Davidsons von der presbyterianischen Kirche Cumberland stand. In jener Zeit war ich viel mit John Gilbreath zusammen, einem der besten Menschen, den ich je kennen gelernt habe. Er und seine gute Frau waren wie Vater und Mutter für mich und ich kann nicht genug freundliche Worte für sie finden. Nun bedeckt sein Grab meinen besten und mir liebsten Freund. Sie öffneten mir ihre Türen und ließen mich und einen guten Schulfreund John Duvall (mittlerweile seit langem tot) in ihr Heim. Morgens, abends und an Samstagen hackten mein Freund und ich Holz, melkten Kühe, halfen Mrs. Gilbreath bei der Pflege ihrer Babys und übernahmen so viel Hausarbeit, wie wir nur konnten. Wenn wir gingen, weinte sie wie eine Mutter, die ihre Kinder ziehen lassen muss. Es gibt viele Menschen, von denen ich mit gleichem Lob sprechen könnte, aber Raum und Zeit erlauben es an dieser Stelle nicht. Im Sommer 1848 kehrte ich nach La Plata zurück und besuchte eine Schule, die sich unter der Leitung des genialen Mathematikers Nicholas Langston befand und die sich folglich ganz der Wissenschaft der Zahlen widmete. Ich blieb bei ihm, bis ich die dritte Potenz und Quadratwurzel im dritten Abschnitt von Rays Arithmetik beherrschte. Damit endete meine Schulzeit in La Plata.
Der Leser darf dabei aber nicht denken, dass ich meine ganze Zeit damit verbracht hätte Unterricht in Blockhäusern zu bekommen.
Ich war wie alle Jungen ein wenig faul und ganz versessen aufs Gewehr. Ich hatte drei Hunde, einen Spaniel für das Wasser, einen Hund für die Fuchsjagd und eine Bulldogge für Bären und Pumas. Jahrelang besaß ich eine altes Feuersteinschlossgewehr, die gespannt werden musste, zischte und krachte. Du siehst