Das große Still-Kompendium. Andrew Taylor Still

Das große Still-Kompendium - Andrew Taylor Still


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Leben zu leben. Ihr seid nun reich durch das Erbe, das Euch durch das Blut und den Schweiß der Pioniere hinterlassen wurde. Auch wenn Du in Anbetracht ihres Aberglaubens und ihrer Betrübnis lächelst, bist Du doch in Respekt an diese Erinnerung gebunden.

      Nach vielen Tagen begann die durch Miller entfachte Angst zu verblassen. Die Gesellschaft der Miller-Anhänger gehörte der Vergangenheit an und ihrer Possen erinnerte man sich nur noch als amüsante Anekdoten.9

      Meine Erfahrungen in diesem wilden Grenzland waren sehr unterschiedlich. Wie wenige andere kam ich in den Genuss von Abenteuern. Mein Vater konnte alle Arten von Arbeit verrichten: Er war predigender Arzt, Farmer und ein praktisch veranlagter Reparaturschlosser. Meine Mutter war von Natur aus Mechanikerin, webte Stoff, schneiderte Kleider und machte vollkommene Pasteten. Sie glaubte daran, dass ‚seltener Einsatz des Stocks das Kind verziehe‘ und nutzte ihn in homöopathischen Dosen. Mein Vater sagte immer:

      „Wenn Du was zu essen haben willst, halt den Mund auf. Wenn Du Verstand in Deinen Kopf bekommen willst, sei offen. Wenn Du ein Pferd reiten willst, steige auf seinen Rücken und wenn Du ein kunstfertiger Reiter werden willst, bleibe drauf sitzen.“

      Meine Mutter sagte immer:

      „Wenn Du Milch trinken willst, kippe sie in Deinen Mund und nicht auf Deine Kleidung. Es gibt nur einen Weg Milch zu trinken!“

      Als Farmer schloss mein Vater, dass sich eine kleine Unterrichtseinheit im Kornfeld gut für mein Können als Schlosser eignen würde, sodass er mir in jungen Jahren so lange beibrachte, die Herde beisammen zu halten und die Pflichten des Farmlebens zu erfüllen, bis ich die Herde anleiten und Eggen, Pflüge und Schneidemaschinen beherrschen konnte. Wenn ich abends vom Kornfeld kam, ließ mich mein Vater beim Füttern der Schweine ausruhen. Mir machte die Arbeit nichts aus, aber es waren Aufgaben, die mich langweilten. Wenn ich am alten Dan, dem Farbigen, vorüber kam, sagte er: „Die Grohne iss’ für die Gläubigen […]“ und viele andere solcher Aufmunterungen, so zum Beispiel: „Geh’ und holl’ de Eier!“, „Mach’ ein kleines Feuer für de Braten!“ und dann sang er das „Süße, süße Auf Wiedersehen“ zu meiner Erbauung.10 Zu gegebener Zeit kam ich in mein ‚Trottelalter‘, in dem ich für eine ganze Weile blieb. Ich war ungeschickt, ignorant und schlampig, bis ich ernsthaft die Ausbildung meiner Mutter genoss, während der sie Seife und Ruten freigiebig benutzte. Es sah so aus, als hätte ich mehr Flausen im Kopf denn je. Sie gab mir zwei Eimer und einen Becher und hieß mich Kühe melken und ich solle mich beeilen, damit ich ihr und Daniel beim Scheren der Schafe helfen konnte. Um sieben Uhr waren wir bereits im Schafpferch. Der alte Dan sagte: „Fang mir das Schaf da!“ Mutter wiederholte: „Fang mir das Schaf da!“ und Tante Becky echote: „Fang mir eins!“ In diesem Moment kam die alte schwarze Rachel rein und sagte: „Ich will auch eins!“ Und genau an dieser Stelle war es mit dem Trottel vorbei. Als ich auch ihr ein Schaf einfing, sagte der alte Rammbock: „Zeit für Musik“, und stieß mich mit seinem Schädel, sodass ich hinfiel und alle anderen lachten. Aus diesem Vorfall lernte ich, immer vor, hinter, über und unter mich zu blicken; nach links und rechts und nie in des Feindes Land zu schlafen, sondern immer wachsam zu sein.

      Als meine Lehrer meinten, ich sei hinreichend erzogen, um in die bessere Gesellschaft eingeführt zu werden, erlaubten sie mir, Dan in den Forst zu begleiten, um dort bei der Auswahl und dem Schlagen des Holzes, beim Abbrennen des Buschwerkes und in der Vorbereitung des Bodens für die Bearbeitung mit dem Pflug unterwiesen zu werden. Da der alte Dan meine ‚Wahrnehmungsfähigkeit‘ noch einmal aufleben ließ und mit mir so lange ‚Rammbock‘ spielte, bis ich jeden Ast klein wie einen Finger bemerkte, ging alles – bis auf ein-, zweimal – gut. Dann schloss er mit dem Sprichwort:

      „Reinlichkeit ist Frömmigkeit. Ich möchte den ganzen Müll hier aufgeräumt haben, jede Hand voll!“ Am Mittag gab er das ersehnte Signal:

      „Komm’ wir geh’n zum Essen!“

      Als wir zum Haus kamen, trafen wir auf Tante Becky, die uns berichtete, der Prediger sei zum Essen gekommen. Ich solle sein Pferd tränken, es absatteln und striegeln, dann könne ich ins Räucherhaus kommen und mir mein Stück Pastete abholen. Leider war es nicht so groß wie mein Hunger. Aber Tante Becky hatte mir etwas mitzuteilen.

      „Was ist?“, fragte ich.

      „Vielleicht wird dieser Mann eines Tages Dein Onkel sein. Wenn Du im Räucherhaus bleibst und hier auf den Nachtisch wartest, bringe ich Dir einen Teller mit Hähnchenmägen hinaus.“

      Ich nahm sie beim Wort und bekam meine Hähnchenmägen und sie bekam den Prediger und wurde die Frau dieses reitenden Wanderpredigers. Nicht lange nach diesem Ereignis schien es mir, ich wolle auch reitender Wanderprediger werden. Ich bestieg Pferde, Maulesel und Kälber und versuchte auszusehen wie der Prediger. Mein liebstes geistliches Ross war ein Kalb mit stattlichem Schritt. Ich führte es am Halfter hinaus auf die Wiese, stieg auf seinen Rücken und begann Prediger zu spielen. Alles ging gut und ich begann schon über meine Bestimmung nachzusinnen, als sich unter der Nase meines Kalbes eine Schlange ringelte und sich mein Predigertum über den Boden verteilte, bevor sich das Kalb auf mir ausstreckte, als hätte es schon immer dort gelegen. Ich möchte dieses Kapitel meiner Jugenderfahrungen mit einem Ereignis abschließen, das, so einfach es auch war, als meine erste Entdeckung in der Wissenschaft der Osteopathie gelten kann. Bereits seit früher Kindheit hasste ich Medikamente. Mit etwa 10 Jahren bekam ich plötzlich starke Kopfschmerzen. Ich knüpfte mir aus dem Pflugseil meines Vaters zwischen zwei Bäumen eine Schaukel. Da mein Kopf aber zu sehr schmerzte, um Bewegung zu ertragen, ließ ich das Seil bis auf 15 – 25 Zentimeter auf den Boden herab, legte ein Tuch über die Mitte und nutzte das Seil so als schwebendes Kissen. Ich lag ausgestreckt auf meinem Rücken und stützte meinen Nacken darauf. Ich fühlte mich sofort leichter und fiel in einen leichten Schlaf, aus dem ich ohne Kopfschmerzen erwachte. Da ich zu dieser Zeit nichts über Anatomie wusste, verschwendete ich keinen Gedanken daran, wie ein Seil die Kopfschmerzen und die sie begleitenden Magenschmerzen überwinden konnte. Seit dieser Entdeckung nutzte ich diese Konstruktion immer dann, wenn ich ein solches Ungewitter aufziehen fühle. Es vergingen 20 Jahre bevor der Keil des Schließens mein Gehirn erreichte und ich erkannte, dass ich die Aktion der großen okzipitalen Nerven ausgesetzt und den arteriellen und venösen Blutfluss harmonisiert hatte, was Erleichterung bedeutete – wie der Leser versteht. Ich habe 50 Jahre lang seit meiner Kindheit daran gearbeitet, meine Kenntnis über die Funktion des Lebensmechanismus zu verbessern und Erleichterung und Gesundheit zu bewirken. Heute wie vor 50 Jahren glaube ich, dass die Arterien den Fluss des Lebens, der Gesundheit und der Linderung darstellen und ihre Versumpfung oder Verunreinigung Krankheit zur Folge haben.

      KAPITEL II

      Die wilden Tiere im Grenzland – Herr Cochrans Hirsch – Der Hirschfuß – Verfolgt von einem Bock – Ich fange einen Adler – Nachtjagd – Das Jagdhorn meines Bruders Jim – Die Philosophie der Skunks und Bussarde – Melken unter Schwierigkeiten – Von einem Puma angegriffen

      Ein Bursche im Grenzland erfährt manch aufregendes Abenteuer mit wilden Tieren, von denen ein Stadtjunge nur aus Büchern weiß. Durch Beobachtung lernt er mehr über die Gewohnheiten und das Verhalten wilder Tiere als durch eine Unterrichtseinheit in Naturgeschichte, da er das große Buch der Natur ständig vor sich aufgeschlagen hat.

      Kurz nachdem mein Vater nach Missouri übergesiedelt war – ich war etwa acht Jahre alt – vertrieb ich mir meine Zeit mit meinen jüngeren, drei und fünf Jahre alten Brüdern im Garten, als etwa 400 Meter entfernt ein gewaltiger Schuss hinterm Haus zu hören war. Meine Mutter kam zu uns gerannt:

      „Habt ihr das große Gewehr da im Westen gehört?“ Wir bejahten. Sie sagte:

      „Ich glaube, Richter Cochran hat einen Bock geschossen. Er wollte an der Wasserquelle nach Hirschen schauen, die dort das aus dem Hügel tretende Wasser trinken und hat uns Wildbret zum Abendessen versprochen.“

      Wir waren sofort Feuer und Flamme und kletterten den Zaun hoch. Meine Brüder John, Jim und Ed, meine Mutter und die kleinen Mädchen standen in der Tür und alle Augen blickten gespannt zu der 400


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