Das große Still-Kompendium. Andrew Taylor Still
ich auf Brautschau und war neugierig, wie die jungen Damen auf einen jungen, gut gekleideten Soldaten reagieren würden. Ich schulterte meine Waffe wie Bunyan und verbrachte meine Zeit so lange damit, bis ein liebendes Auge auf mich fiel. Hinter diesem Auge verbarg sich Mary M. Vaughn15, die Tochter von Philamon Vaughn. Sie war wunderbar, zuvorkommend, aktiv, voller Liebe und gutem Menschenverstand. Sie liebte Gott und alle seine Wege. Nach wenigen Worten von Reverend Lorenzo Waugh im Haus ihrer Mutter am 29. Januar 1849 änderte sich ihr Name in Mrs. M. M. Still. Dem denkwürdigen Augenblick folgte ein gutes Abendessen und tags darauf ein Dinner mit dem damals üblichen ‚Hausbasar‘ bei meinem Vater. Nach diesen, für die Gesellschaft der Grenzlandbewohner so bedeutenden Formalitäten, brachte ich meine Gattin zu unserem neuen Heim auf einem 80 Hektar großen Grundstück und nur 1600 Meter von meinem alten Zuhause entfernt. Ich war jung und stark, arbeitete von früh bis spät, säte 60 Hektar Mais ein und pflegte ihn. Er war einfach wunderschön anzusehen, die Halme in Seide und mit Quasten behangen, und ich war sehr stolz darauf. Ich nahm an, dass ich schon bald meine Krippe mit Tausenden von Scheffeln gefüllt haben würde. Am Morgen des 4. Juli (der Tag den wir so gerne feiern), war ich voller Vorfreude und Hoffnung. Da zogen um drei Uhr nachmittags dunkle Wolken auf und um vier brach daraus 8 Zentimeter hoch der Hagel über jeden Hektar Mais hinunter. Er ließ keinen Halm auf den ganzen 60 Hektar stehen und tötete sämtliche Vögel und Kaninchen. Alles starb dahin. Irgendjemand tröstete mich und sich mit den Worten: „Der Herr liebt jene, die er züchtigt.“ 16
Ich hatte keinen Mais mehr, aber jeder, dessen Getreide nicht völlig in Stücke gerissen wurde, konnte es verkaufen, sodass sich alles wie gewöhnlich ausglich. Ich unterrichtete in jenem Herbst und Winter für $ 15 im Monat und so endete mein erstes Jahr als verheirateter Mann.
Im Mai 1853 zogen meine Frau und ich auf die Wakarusa Mission in Kansas, welche vom Stamm der Shawnee bewohnt wurde. Es gab überall Indianer. Außerhalb der Missionsschule wurde wenig Englisch gesprochen. Meine Frau unterrichtete in jenem Sommer die Indianerkinder, während ich mit einem 50-Zentimeter-Pflug und sechs in einer Reihe vorgespannten Ochsengespannen 90 Hektar Land umpflügte und die Arbeit vom vorangegangenen Juli vollendete. An einigen Tagen brach ich vier Hektar Land um. Im Herbst behandelte ich zusammen mit meinem Vater die Indianer. Wundrose, Fieber, Durchfall, Lungenentzündung und Cholera waren besonders häufig. Die indianische Behandlung von Cholera war nicht viel lächerlicher als einige der von den so genannten wissenschaftlichen Doktoren der Medizin verordneten Therapien. Die Indianer gruben zwei etwa 50 Zentimeter voneinander entfernte Löcher in den Boden und legten den Patienten ausgestreckt darüber. Er erbrach sich in das eine und entleerte sich in das andere und starb so ausgestreckt, nur mit einem Laken bedeckt. Hier erfuhr ich das erste Mal von den Krämpfen, welche die Cholera begleiten und Hüften und Beine ausrenken. Manchmal musste ich die Hüften wieder einrenken, um den Leichnam in den Sarg zu bekommen. Als Medikamente gaben sie Tees aus Schwarzwurzel und Frauendaumen, Sagatee, Muckquaktee und Tee aus Chenee Olachee. So wurden sie behandelt und starben und gingen zu Illinoywa Tapamalaqua, dem ‚Haus Gottes‘.
Ich erlernte ihre Sprache und gab ihnen die Medizin des weißen Mannes, heilte die meisten Fälle, die mir begegneten und wurde stets freundlich von den Shawnees willkommen geheißen. Ich lebte nahe der Shawnee-Mission der Methodistenkirche, welche etwa 64 Kilometer westlich von Kansas City und 10 Kilometer östlich von Lawrence gelegen war. 1854 wurde mit den Shawnees und anderen Indianerstämmen ein Vertrag über den Kauf eines Großteils ihres Landes durch die Regierung geschlossen und das Land für die Besiedlung durch Weiße frei gegeben. Nach Abschluss des Vertrages begannen die Leute das Land zu besiedeln. 1855 war das Land von einigen Jägern belebt, obwohl schon 1854 auch einige Landbesetzer in das Territorium eindrangen. Nach dem Abschluss des Vertrags begann die Besiedlung des Landes. In dieser Zeit hinterließ mir meine Frau die Sorge für unsere drei Kinder, nachdem sie mit mir meine Unglücke, Geschäfte und Sorgen geteilt und mich bis zum 29. September 1859 begleitet hatte (zu diesem Zeitpunkt wurde ihr Lebensfaden durchschnitten und sie trat in die Welt der Liebe und des Glücks ein, für die sie ein Leben lang gelebt hatte). Zwei dieser Kinder sind ihr bis zum heutigen Tage bereits gefolgt. Die älteste, Rusha H., heiratete mit 18 Jahren John W. Cowgill aus Ottawa Kansas und lebt bis heute auf einer Farm in der Nähe. Da unsere Freunde zu himmlischen Wesen wurden und es unmöglich war noch Zeit mit ihnen zu verbringen, machten wir in der Zwischenzeit aus den Jahren, die uns in dieser Welt verblieben waren, das Beste und suchten die Gesellschaft irdischer Wesen. Einige waren wahre Engel des Mitgefühls, der Liebe, der Weisheit und Freundlichkeit und sagten: „Komm zu mir und ich helfe Dir die Last des Lebens zu tragen.“ Dies traf auch auf Mary E. Turner zu, die am 20. November 1860 zur Mrs. Mary E. Still wurde. Sie ist nun Mutter von vier lebenden Kindern, drei Jungen und einem Mädchen. Alle sind sie Führer in einer Division, in einem der größten je auf Erden bekannten Kriege, dem Krieg für die Wahrheit unter dem Banner der Osteopathie.
Um aber zu meiner Erzählung zurückzukehren, muss ich einige Geschichten aus dieser Zeit nachholen.
Um 1835 begannen einige gute Menschen zu behaupten, dass die Sklaverei ein schlimmes Übel darstelle und nur durch Waffen und Unrecht aufrechterhalten werden könne. Es erschien ihnen unchristlich, unfortschrittlich, unmenschlich und eine Schande und Ungnade, dass jene von Menschen toleriert wurden, die stolz auf das Wort ‚Freiheit‘ waren und gleichzeitig durch die Gewalt des Gesetzes bei schwerster Strafe verhinderten, dass sechs Millionen ausgehungerter Wesen von dem süßen Kelch der Freiheit tranken. Dem weißen Mann vor Gott gleichwertige Seelen wurden von ihren Herren in Fesseln gehalten. Das Gefühl der Verantwortung begann in mir zu wachsen. Jeder sollte als Teil einer gewaltigen Ewigkeit frei sein und das gleiche Recht auf die Gestaltung des eigenen Lebens haben, um es auf ein anderes vorzubereiten, indem sich das Wachstum fortsetzen sollte. Noch machten unsere Gesetze aus den einen Herren und aus den anderen Sklaven, mit der Konsequenz, dass letzteren ihr ganzes Sehnen für immer aus dem Verstand verbannt wurde. Aus dieser Situation entstand in den Dreißigern unter den Kirchen ein Streit, in dem die eine Seite für, die andere gegen Herrschaft und Sklaverei eintrat. In den Vierzigern entstand ein Bruch und es kam zur Spaltung einer der stärksten und einflussreichsten Kirchen. Vor den Dreißigern hatte der Kongress Angst bekommen, dass die Sklaven per Gesetz frei sein würden, noch bevor die Mehrheit der Staaten als Sklavenstaaten anerkannt würden. Als Missouri zum Mitglied der Staaten von Amerika ernannt werden wollte, entstand eine große Furcht vor dem Befreiungsprozess. Illinois war ein freier Staat und wenn Missouri ebenfalls ein freier Staat würde, konnte dies die Kräfte im Senat ausgleichen. Staat und Kirche waren daran interessiert die Sklaverei in den nationalen gesetzgebenden Versammlungen gleichberechtigt zu behalten, sodass Zweifel daran bestanden, ob ein Votum mit 14 Stimmen für Missouri eine Mehrheit für einen freien oder einen Sklavenstaat ergab. Nach einer Menge Fürs und Widers wurde die Sklaverei um 1820 in Missouri mit dem Kompromiss anerkannt, alles Land nördlich des 36°30‘ nördlicher Breite, entlang einer Linie an der westseitigen Mündung des Kaw Flusses beginnend und bis zur Nordgrenze von ‚Nebraska‘ reichend, für immer für frei zu erklären. Hier gründete also der Kampf. Stein des Anstoßes war, dass Kansas als Sklavenstaat und Nebraska als freier Staat dazukommen sollten. Ich gebe dies weniger wegen seiner geschichtlichen Bedeutung wieder, sondern vielmehr um zu erwähnen, dass es in den frühen Tagen von Kansas viel Streit unter den Siedlern darüber gab, ob Kansas als Sklaven- oder als freier Staat anerkannt werden sollte. Die Auseinandersetzung wurde erbittert und nicht ohne Blutvergießen geführt. Ich sammelte meine Leute um mich und stimmte für Freiheit. So wurde ich für die Befürworter der Sklaverei zu einem Gegner und jemandem, der ein gesetzlich angestammtes Eigentum stahl. Als die Regierung das Recht eines Mannes akzeptierte, einen anderen als gesetzliches Eigentum zu betrachten, das mit Urkunde und amtlichem Siegel ge- und verkauft werden konnte, bezeichneten sie die Gegner der Sklaverei einstimmig als unehrenhaft. Ich wählte die Seite der Freiheit. Ich für meinen Teil konnte nicht anders stimmen, denn kein Mensch, unabhängig von Rasse und Farbe, kann per Gesetz die Freiheit eines anderen besitzen. Mit dieser Wahrheit im Bewusstsein beteiligte ich mich zu Hause und auf der Straße an allen Auseinandersetzungen für die Abschaffung der Sklaverei. Ich hatte schon einen ganzen Haufen erbitterter politischer Feinde, was zu vielen nervenaufreibenden und merkwürdigen Abenteuern führte, von denen einige es Wert wären hier berichtet zu werden.
Manchmal, besonders in Kriegszeiten, nimmt ein Mann große Risiken wie Hochwasser, Feuer und Krankheit