Verschwiegene Wasser. Stephan Hähnel

Verschwiegene Wasser - Stephan Hähnel


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ein, dass er den Abend auch gerne in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg bei einem kühlen Bier und mit Nichtstun vertan hätte. Annas Hinweis auf ihr Kennenlernjubiläum hatte den Gedanken jedoch schon im Ansatz verkümmern lassen. Ihre deliziöse Einladung auszuschlagen hatte sich von selbst verboten.

      Er trank einen Schluck und lauschte den temperamentvollen Aktivitäten in der Küche. Noch schien Anna sich über ihn zu ärgern. Nach seiner Einschätzung handelte es sich bei diesem Stimmungsbeben höchstens um die Stufe zwei von zehn möglichen. Erfahrungsgemäß hielten derart negative Schwingungen zwei, maximal drei Minuten an. Es war ratsam, eine Zeit lang zu warten, um Nachbeben zu vermeiden.

      »Du bist übrigens in der Abendzeitung. Die Presse schreibt, dass die Leiche einer jungen Frau am Märkischen Ufer gefunden wurde. Es wird gemutmaßt, dass ein Sexualverbrechen vorliegt. Kümmerst du dich darum?« Annas Frage klang so, als würde sie ihn bitten, einen Mantel aus der Reinigung zu holen oder den Dichtungsring eines tropfenden Wasserhahns auszutauschen.

      »Die Ermittlungen befinden sich ganz am Anfang. Sind alles nur Mutmaßungen. Nichts Konkretes.«

      Anna kam aus der Küche, legte die Zeitung neben seinen Teller und tippte auf das Foto. »Gut siehst du aus!«, bemerkte sie und strich über seine Schultern.

      Er überflog den Artikel, der reißerisch geschrieben war. Eine zweifelhafte Mischung aus Abscheu und erotischem Kalkül. Sex and Crime – das bewährte Muster, um die voyeuristischen Bedürfnisse der Leserschaft zu befriedigen. Die Redaktion hatte schnell gearbeitet. Das Foto musste von jenem Paparazzo stammen, dem Anstand fremd gewesen war. Offensichtlich war es ein Leichtes gewesen, den Namen des Besitzers der Spreeschnuppe zu ermittelt. Am Nachmittag war die Pressemeldung des LKA veröffentlicht worden. Sobald bekannt geworden war, dass es sich bei der Toten um Sina Rogatz handelte, durften in manchen Redaktionsstuben Sektkorken geknallt haben. Ein Mord in der oberen Schicht der Gesellschaft. Das Loch der Langeweile war gestopft, der journalistische Sommer gerettet.

      »Ich hoffe, du überführst den Kerl!«

      Morgenstern schaute Anna erstaunt an. »Wen meinst du?«

      »Na, Professor Unrat! Wie heißt der gleich?«

      Fassungslos schüttelte Morgenstern den Kopf. Seit sie einander kannten, hatte es sich Anna zur Gewohnheit gemacht, nicht nur am Anfang eines Kriminalromans den Mörder vorauszusagen, sondern auch regelmäßig den Täter eines Mordfalls zu prophezeien. Der Erfolg beider Prognosen betrug, statistisch betrachtet, ein Drittel, was Anna aber nicht davon abhielt, jedes Mal erneut zu spekulieren.

      »Der Mann heißt Mathias Klausen. Wie kommst du darauf, dass er die Frau umgebracht hat?«

      »Ist doch offensichtlich! Das klassische Rachemotiv. Seine ehemalige Studentin hat dafür gesorgt, dass ihm die Professur entzogen wurde. Die Ehe wurde geschieden. Gesellschaftlich ist Herr Professor erledigt. Der Kerl fährt mit einem Kutter durch Berlin und bespaßt Touristen. Geschieht ihm recht, diesem Schwein!«

      Wütend schlug Morgenstern mit der Hand auf die Zeitung. »Anna, Professor Klausen wurde damals von allen Vorwürfen freigesprochen! Es gibt keinen Beweis für ein Fehlverhalten.«

      »Natürlich, wahrscheinlich steckte der Richter mit ihm unter einer Decke!«

      Morgenstern faltete die Zeitung zusammen und reichte sie energisch Anna. »Erstens war es eine Richterin. Zweitens – seit wann bildest du dir deine Meinung aus diesem Machwerk?« Er war ungehalten.

      Verwundert setzte sie sich auf seinen Schoß, legte die Zeitung beiseite und wollte ihn küssen. Unwillkürlich zog er den Kopf zurück. Morgenstern und Anna schauten sich erschrocken an. Unvermittelt wichen beide dem Blick des anderen aus. Seufzend stand Anna auf und ging in die Küche. Das Geräusch des zuschlagenden Mülleimerdeckels verriet, dass sie das Machwerk entsorgt hatte. Ein paar Sekunden lang tat das Schweigen weh.

      »Die Pasteten werden dir garantiert schmecken, und dann erwarte ich Abbitte, Herr Kommissar!«, erklärte sie schließlich, als wäre nichts geschehen. Stolz stellte sie ein Tablett mit duftenden, aber unbekannten krapfenförmigen Gebilden auf den Tisch, die mit einer gebackenen Kruste aus exotischen Körnern überzogen waren.

      Anna liebte Körner. Er liebte Anna.

       ° ° °

      Das Essen war eine Offenbarung. Morgenstern entschuldigte sich für die haltlosen Verdächtigungen, die er ihren Topfinhalten entgegengebracht hatte. Er berichtete von seinem Zwiegespräch mit dem Geliebtinnenbild, auf dem sie so charmant lächelte. Beide schmunzelten. Die Gereiztheit löste sich in Lust auf. Statt des obligatorischen Nachtischs ließ Anna den Kaftan über ihre Schultern gleiten und präsentierte ihre nackte Silhouette im Mondlicht. Was am Ostseestrand funktionierte, verfehlte seine Wirkung auch über den Dächern Berlins nicht. Gierig liebten sie sich auf der Dachterrasse, in jenem monströsen Strandkorb, den ein Kran in die oberste Etage gehievt hatte. Ein Geschenk ihres Vaters zu ihrem 35. Geburtstag.

      Die Idee, sich im Strandkorb zu vergnügen, war Annas Einfallsreichtum entsprungen. Niemand konnte sie hier sehen, geschweige denn hören. Anschließend amüsierten sie sich, durchgeschwitzt und erschöpft, köstlich über seine moralischen Prinzipien, die ihre Jubiläumsfeier fast zum Desaster hatten werden lassen. Anna imitierte seinen strengen Gesichtsausdruck, während er ihr gespieltes Beleidigtsein mit verstellter Stimme nachahmte. Schuldbewusst gelobte Morgenstern Besserung. Er versprach, künftig erst auf den Klingelknopf zu drücken, wenn der moralisierende Bulle weggesperrt war und stattdessen das animalische Ungetüm mit den Hufen scharrte. Zur Belohnung oder zur Stärkung, so ganz klar war ihm das nicht, gab es dann doch noch den obligatorischen Nachtisch. Warmer Voodoo-Schmarren, die afrikanische Variante des Kaiserschmarrens. Es war einer jener Abende, die in Erinnerung blieben. Beide waren zu müde, um sich noch zu duschen. So wie sie waren, krochen sie ins Bett.

      Kurz bevor Morgenstern einschlief, flüsterte er: »Ich liebe dich, Anna!« Sie antwortete nicht, legte stattdessen fürsorglich ihren Arm um ihn. Augenblicklich war er besorgt. Er lauschte in sich hinein und beschloss, nicht jeder Befürchtung Gehör zu schenken. Dennoch dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis das Rattern in seinem Kopf verstummte. Morgenstern schlief tief und fest, froh, am Abend nicht in den eigenen vier Wänden versauert zu sein.

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