Tödliche Zeilen. Uwe Schimunek

Tödliche Zeilen - Uwe Schimunek


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blieb auf seinem Schemel sitzen.

      »Is noch ewas unglar, mei liebor Herr Wank?«, fragte der Kommissar mit zum Gruß ausgestreckter Hand.

      »Nun ja, ich denke, Sie ahnen es, Herr Kommissar. Mir ist da ein Vorfall zu Ohren gekommen.«

      »’n Vorfall«, murmelte Machuntze. Er trat einen Schritt zurück und stützte sich mit dem Ellenbogen auf seinem Schreibtisch ab.

      »In der Blumengasse«, ergänzte Wank.

      »Ich hätt’s wissn müssn. Wenn zwee Schmier …« Machuntze verschluckte das Wort und setzte erneut an. »Wenn zwee Schlaumeier sich kenn, dann gann nüscht Gutes dabei rauskomm.«

      Wank blieb still und bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken.

      Der Beamte krümmte sich, so als müsste er vor etwas zurückweichen. »Was soll’sch da sagn? Mir wissn noch überhaupt nüscht.«

      »Nun, wer da in der Blumengasse gefunden wurde, ist schon bekannt. Und dass der Herr ziemlich tot war, auch.« Wank merkte, dass er eine Spur zu sarkastisch klang.

      Machuntze zog ein missmutiges Gesicht und brummte: »Wenn Se alles scho wissn, müssn Se mich ooch nimmer frachn.«

      »Entschuldigen Sie bitte, Herr Kommissar.« Wank hob die Hände und suchte nach einem versöhnlichen Ton. »Gibt es einen Grund, warum wir über diesen Todesfall nicht berichten sollen? Es handelt sich doch immerhin um ein mutmaßliches Kapitalverbrechen.«

      »Genau das is ebn no gar ni glar. Mir untersuchn gerade noch de Leiche von dem Herrn Orlog und ooch den Ziechel. Aber de Kollechn findn nüscht.« Machuntze hob die rechte Hand und zählte die Punkte an den Fingern ab. »Keene Fingerabdrügge annen Sachen von dem Herrn. Keene Fingerabdrügge am Ziechel. Keene Spurn von ’nem Kampf oder dergleichn. Nüscht.«

      Den folgenden Vortrag über die Daktyloskopie kannte Wank schon zur Genüge. Er hörte kaum noch hin, als Machuntze ihm erzählte, dass bei der Leipziger Polizei nun auch Fachbeamte mit dem erst vor vier Jahren in Deutschland eingeführten Verfahren arbeiteten. Wank selbst hatte in einem Artikel für die Beilage darüber berichtet, wie leicht es geworden war, Personen zu identifizieren, seit der britische Forscher Edward Richard Henry die Muster der Handlinien klassifiziert hatte.

      Geduldig ertrug Wank die Ausführungen des Polizisten und wandte anschließend ein: »Es hat den ganzen Tag geschneit. Leicht nur. Aber könnte der tauende Schnee die Fingerabdrücke nicht abgewaschen haben?«

      Machuntze hielt immer noch die drei Finger der rechten Hand in die Höhe, schwieg nun aber.

      »Oder was, wenn der Täter Handschuhe getragen hätte? Es ist schließlich Winter.«

      »Wenn, wenn, wenn!« Machuntze führte die Hand zu seinem Gesicht und zwirbelte seinen Schnurrbart. »Wenn dor Däder sich bei uns gemeldet hätte, wär er schon eingesperrt. Aber so wissen mer halt nisch ema, ob’s ’ne Dad gab.«

      »Hören Sie, Herr Machuntze, ich war gestern mit Herrn Kutscher in der Blumengasse. Und da ist uns etwas aufgefallen.« Wank berichtete in kurzen Worten von ihren Flugbahnberechnungen rund um den Hut des Toten. »Aus meiner Sicht bleibt angesichts dessen kaum eine andere Möglichkeit, als dass Herr Orlog ermordet wurde.«

      »Nunne, so’n Hut kann ooch ma vom Wind een paar Meter geweht wern, wenn er offm Boden liecht, oder?« Machuntze bewegte die Hand in leichten Wellen durch die Luft.

      »Herr Kutscher hat von Windstille berichtet.«

      »Da reicht schon ma ’ne Bö. Vielleicht bevor Ihr Freund off de Straße trat.«

      »Möglicherweise. Das erklärt aber noch nicht, warum Orlog seinen Hut nicht auf dem Kopf trug, als er vom Stein erschlagen wurde. Denn wie ich hörte, war der Hut völlig ohne Schaden.«

      Machuntze stand an seinem Schreibtisch, zur Salzsäule erstarrt. Nach ein paar Sekunden begannen die Spitzen seines Schnurrbarts zu wippen, offenkundig strengte das Nachdenken auch seine Gesichtsmuskeln an. Er seufzte. »Nu gut, ich werd das mit de Kollechen besprechen. Aber solange wir nüscht Genaues wissen, schreibn Se ooch nüscht!«

      In der Redaktion der Leipziger Zeitung herrschte Hektik. Die Redakteure warfen einen letzten Blick auf ihre Texte, bevor sie in den Druck für die nachmittägliche Ausgabe gingen. Einige schritten dabei ungeduldig auf und ab. Andere eilten zwischen ihren Redaktionsstuben und den Büros vom Korrektorat hin und her.

      Edgar Wank schlenderte gemütlich über den Gang, denn sein Text war längst gesetzt. Er lauerte dem Kulturredakteur auf. Er musste wohl noch einen Moment Geduld haben. Denn Bollmann eilte der Ruf voraus, stets als Allerletzter seine Artikel abzugeben. Tatsächlich bog Bollmann mit einem Stoß Papieren um die Ecke. Er rief Wank zu: »Der Herr Polizeireporter, sehr gut, sehr gut!« Mit riesigen Schritten hetzte der Kulturredakteur über den Gang. Unter seinem gewaltigen Bauch wirkten seine dünnen Beine wie zu kurz geratene Stelzen. »Ich habe gerade meine Texte abgeliefert und nur wenig Zeit, da ich gleich einen Termin im Neuen Theater habe.«

      »Ich werde Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen«, versprach Wank.

      »Sehr gut, sehr gut. Herr Doktor Richter hat mich bereits ins Bild gesetzt. Ich habe Ihnen auch alles vorbereitet.« Bollmann hob den Stapel Papiere in die Höhe. »Hier sind die Unterlagen, die ich in Vorbereitung auf den Fall Karl May habe zusammentragen lassen. Ich bin so froh, dass Sie die Sache übernehmen. So froh! Es handelt sich ja tatsächlich nicht um eine richtige Kulturangelegenheit.«

      »Nicht?«

      »Nein, nein, lieber Kollege, es geht nur um eine gemeine Rechtssache.« Bollmann hielt kurz inne und rümpfte die Nase. »Und um Karl May.«

      Wank nahm den Stapel entgegen. Es handelte sich um handschriftliche Notizen sowie um Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte. »Da steht alles drin?«

      »Jaja – viel mehr, als irgendwer über diese Sache wissen müsste. Sie bekommen das hin, Herr Kollege. Ich werde Ihren Artikel gern lesen. Fürs Erste Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!« Bollmann deutete eine Verbeugung an und wandte sich zum Gehen.

      »Einen Augenblick bitte noch, Herr Bollmann!« Wank trat einen Schritt beiseite, da eine der neuen Sekretärinnen, deren Namen er sich noch nicht gemerkt hatte, mit einem Stoß Manuskripten an ihm vorbeiflitzte. »Ich muss Ihnen eine Frage zum verstorbenen Herrn Orlog stellen.«

      »Ich habe von der Tragödie gehört. Eine Tragödie. Der Mann war ja noch keine fünfzig. Was wollen Sie denn wissen?«, rief der Kulturredakteur und klang wenig begeistert. »Über den Herrn könnte ich ganze Dramen aufsagen. Aber gut, aber gut – wenn Sie nur eine Frage haben …«

      Wank murmelte: »Eine oder zwei.«

      Bollmann seufzte und zischte: »Bedenken Sie meinen Termin, bedenken Sie meinen Termin!«

      »Gut, Herr Bollmann, gleich das Wichtigste: Hatte Herr Orlog Feinde?«

      Bollmann wieherte wie ein Pferd. »Diese Frage ist völlig falsch gestellt, mein lieber Herr Polizeireporter. Wenn Sie sich nach jemanden erkundigt hätten, der Orlog hätte leiden können, dann müsste ich wohl nachdenken. Aber so lautet die Antwort ja – ja und nochmals ja.«

      »Vielleicht können Sie mir noch diesen oder jenen Hinweis geben, Herr Kollege«, bat Wank und zückte sein Notizbuch. »Es muss ja nicht gleich eine vollständige Liste sein.«

      »Nun gut, nun gut.« Bollmann trat ungeduldig von einem auf den anderen Fuß. »Vorab sollte ich Ihnen sagen, dass wir Kritiker es nicht leicht haben. Vor Orlogs kleinem Zeitschriftenhaus standen die Schriftsteller und Verleger Schlange, um ihn zu ein paar wohlwollenden Zeilen in seinem Blatt zu überreden. Doch den Mann interessierte das wenig. Wenn ich Sie wäre, würde ich die letzten Ausgaben der Bacchus-Blätter durchgehen. Sie werden jede Menge Opfer seiner spitzen Feder finden.« Der Kulturredakteur schaute sich in alle Richtungen um und beugte sich schließlich zu Wank. Beschwörend flüsterte er: »Orlog hat solch vernichtende Urteile gefällt, dass manch ein Dichter das Schreiben ganz aufgegeben hat. Unter uns gesagt, das war mitunter nicht zum Nachteil


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