Steine des Schreckens. Reinhard Kessler

Steine des Schreckens - Reinhard Kessler


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Grabschmuck an Allerheiligen.“

      „Tsss.“

      Sie wunderten sich ziemlich. Tote Fische auf einer Bank? Wie oft sieht man sowas in seinem Leben? Haben Sie sowas schon mal gesehen? Also normal ist das jedenfalls nicht, darüber besteht doch Einigkeit.

      Die Fische lagen einfach da, mitten auf der Bank auf dem Deich. Das bisschen Grünzeug erinnerte tatsächlich an Grabschmuck auf diesem Minifriedhof. Wer macht denn sowas? Wer legt denn tote Fische auf eine Bank? Nun waren sie genau vor der Bank und betrachteten die unerwartete Inszenierung.

      „Jetzt aber! Guck mal! Das hier ist ja gar kein Fisch! Das ist doch ein Stein!“

      Nun wurde es langsam klar. Das waren keine zwei toten Fische, das war nur einer. Und neben dem Fisch lag tatsächlich ein Stein. Nachdem sich die Verwunderung und der erste Ärger über die verdorbene Pause bei den Strandwanderern gelegt hatten, betrachteten sie den Stein genauer. Der sah ja wirklich aus wie ein Fisch. Aber anfassen wollten sie ihn nicht. Die Verwunderung stieg. Sie runzelten die Stirn und kratzten sich am Kopf. Eine gewisse Ratlosigkeit machte sich breit. Sie konnten damit nichts anfangen.

      Das war jetzt also die merkwürdige Situation. Da lag ein richtiger toter Fisch neben einem Fisch aus Stein. Ein makabrer Scherz. Ein Lausbubenstreich vielleicht, obwohl, das kann ein Vorurteil sein, Lausmädchen machen das womöglich auch.

      „Schade haben wir unseren Fotoapparat nicht dabei.“

      „Na so sensationell ist das ja jetzt auch wieder nicht!“

      „Trotzdem. Ich habe das Gefühl, dass das eine bleibende Ferienerinnerung wäre. Das könnte ein Motiv für unser Fotobuch sein.“

      „Aha, du willst ein Fotobuch von unseren Ferien machen?“

      „Ja. Das liegt noch drin.“

      „Wenn du es mit dem Handy knipst?“

      „Das liegt im Auto.“

      „Kommen wir morgen wieder her.“

      „Dann liegt das nicht mehr da. Morgen ist das weg.“

      „Schade. Ich habe im Zoo schon mal echte Steinfische gesehen. Die sollen ziemlich giftig sein. Das Gift wäre um ein Vielfaches stärker als das der Kobra, sagen sie dort, und diese Steinfische sind auch Meister der Tarnung.“

      „Das war nicht zufällig hier in Burg auf Fehmarn im Meereszentrum, vielleicht vorgestern, als wir zusammen dort waren?“

      „Joooh, ist doch egal. Zoo ist Zoo.“

      „In einem richtigen Zoo hat es doch Pferde und Löwen und Elefanten.“

      „Die haben halt See-Pferde und See-Löwen und See-Elefanten, nein, ich weiss schon, dass sie das nicht haben. Also See-Pferdchen schon. Aber sonst nur Fische, auch die Steinfische.“

      „Als einzigen Fisch aus Stein kenne ich den Steinbutt“, scherzte er, aber hier wollte keiner lachen.

      „Jedenfalls waren diese Steinfische so gut getarnt, dass man sie kaum gesehen hat.“

      „Wenn man die nicht sieht, dann braucht man die doch nicht im Zoo auszustellen und noch Geld dafür zu verlangen. Und dann sagen sie so schlaue Sprüche: wie Sie sehen, sehen Sie nichts.“

      „Aber das ist ja genau das Interessante, dass man die kaum sieht.“

      „Willst du dich vielleicht jetzt noch hier hinsetzen?“

      Die Frage war eigentlich rhetorischer Natur. Auf die Bank setzen wollten sie sich jetzt sicher nicht mehr. Da hätten sie ja zuerst den toten Fisch beiseiteschieben müssen. Pfui Teufel. Und die vielen Fliegen daran. Und dann dorthin setzen, wo der Fisch gelegen hat? Nachher riecht womöglich die Hose komisch!

      „Nee – ich fasse das nicht an!“

      „Komm, wir gehen weiter!“

      „Ja, so wird das nichts!“

      Sie gingen trotz Müdigkeit lieber weiter und zogen den schnuppernden Hund vom Fisch weg: „Tutnix, nein!“ Der Hund folgte sichtlich widerwillig. Das hier war doch zu interessant, vor allem für ein Wesen wie ihn mit einem sehr einfachen Weltbild, eines, das die Welt knallhart einteilt in essbar und nicht-essbar. Das Fischarrangement insgesamt beurteilte der Hund als essbar, wobei der Stein ihn aber gewaltig irritierte. Solche Rätsel kann man nur durch Riechen lösen. So einen wunderbaren Geruch kriegt er auch nicht alle Tage in die Nase. Warum seine Leute sowas Interessantes nicht schätzten, also das war ihm jetzt wirklich schleierhaft. Menschen sind komische Tiere. Aber er folgte. Auf zu neuen Gerüchen!

      Sie überlegten, was zu tun sei. Die Polizei rufen? Ach, Unsinn! Doofe Idee! Doch nicht wegen einem toten Fisch, und das hier auf der Insel, wo Fischerei kein Fremdwort ist und tote Fische zum Alltag gehören. Und was sollte die Polizei dann wohl tun?

      Nein, ein toter Fisch ist definitiv kein Fall für die Polizei. Das wäre ja geradezu lächerlich und womöglich müssten sie dann selber noch lange erklären, was das Ganze soll. Also beschlossen sie als Lösung ihres Mini-Problems einfach, die nächste Bank für eine Rast zu nutzen.

      Sie gingen weiter und kamen tatsächlich nach kurzer Zeit zur nächsten Sitzgelegenheit. Zwei Bänke mit Tisch aus massivem Holz. Eine Seite war schon belegt von einem älteren Paar, aber für die beiden Strandwanderer war noch mehr als genügend Platz.

      „Entschuldigung, ist hier noch frei? Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“

      „Ja, bitte. Es hat Platz genug für alle. Ich hoffe, dass Ihr Schlabrador friedlich ist.“

      „Danke! Aber das ist ein Labrador, kein Schlabrador. Und unser Tutnix ist friedlich. Der ist alt und müde und ist froh, wenn er seine Ruhe hat.“

      „Was hör ich da, Ihr Schlabrador heisst Tutnix?“

      „Ja, die Namen ‚Dashaterjanochniegemacht‘ oder ‚Dasmachterdochsonstnie‘ waren uns zu lang.“

      „Ha, ha, das ist gut, und ‚Derwillnurspielen‘ ist auch ganz schön lang.“

      „Sehen Sie, Tutnix ist doch gut. Gell, Tutnix.“

      Der Hund schaute nur müde auf, hatte aber ganz offensichtlich kapiert, dass von ihm die Rede war. War ja auch nicht schwer zu erraten.

      Sie setzten sich und kamen mit dem älteren Paar auf der Bank ins Gespräch, in ein ganz typisches Urlaubergespräch.

      Ein solches typisches Gespräch enthält auffallend oft die Frage ‚wie lange‘, ganz einfach, weil Urlaub immer etwas mit begrenzter Dauer zu tun hat, und es verläuft immer nach folgendem Schema: wie lange sind Sie schon hier? Wo kommen Sie her? Sind Sie mit dem Auto da? Wie lange fährt man denn da? Wo wohnen Sie auf der Insel? und natürlich: wie lange bleiben Sie?

      In der Reihenfolge der Fragen waren in etwa das die Antworten der älteren Leute: zwei Tage – aus der Schweiz – ja – 10 Stunden müssen Sie schon rechnen, aber wir übernachten immer noch zwischendurch in der Lüneburger Heide – hier in Presen – drei Wochen.

      Ausserdem erfuhren die beiden Strandwanderer, die sich als Nils und Kati vorstellten, dass sie die Bank mit Kommissar Jelato und seiner Frau teilten.

      Sie selber wollten auch drei Wochen bleiben. Es war ihr erster gemeinsamer Urlaub und sie hatten lange darauf gespart.

      Der Hund war wirklich friedlich und sichtlich auch mit der Pause sehr einverstanden. Er lag wie erschlagen neben der Bank. Ab und zu ein müder Blick ohne irgendeine Kopfbewegung auf Herrchen und Frauchen und dann weiter relaxen. Ferien auch für ihn. Hundewellness pur. Wohlfühlzeit. Perfekt. Braves Tier.

      „Der Schlabrador scheint müde zu sein.“

      „Wahrscheinlich vom vielen Ball- und Stöckchen-Holen. Wir machen das den ganzen Tag.“

      „Hundeexperten halten das für kritisch. Sie fördern dadurch gezielt das permanente Beute-Fang-Verhalten. Sie provozieren, dass der Hund sich zum Hetzjunkie


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