Steine des Schreckens. Reinhard Kessler

Steine des Schreckens - Reinhard Kessler


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wird in diesem Stadium bleiben, darauf können Sie sich verlassen. Was anderes. Stellen Sie sich mal vor, was wir eben gesehen haben! Wir wollten uns schon da vorne auf die Bank setzen und was liegt da? Ein toter Fisch und ein Stein, der aussieht wie ein toter Fisch!“

      „Also da würde ich Selbstmord spontan ausschliessen!“

      „Sie sind ja lustig! Aber wer macht denn so einen Unsinn? Das habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Sind Sie auch dort vorbei gekommen?“

      „Ach, wissen Sie, es gibt nichts, was es nicht gibt. Und tote Fische sind hier an der Ostsee sicher keine Seltenheit. Jeder Fischkutter bringt die kiloweise an Land. Wir haben das nicht gesehen, wir sind von der anderen Seite gekommen und wollten gleich hier runter.“

      „Sie sind ja von der Polizei. Wir hatten schon überlegt, ob wir die Polizei verständigen sollen.“

      „Nein, nein! Nur das nicht. Das wäre keine gute Idee. Tun Sie das lieber nicht! Nicht wegen sowas! Am Schluss müssten Sie dem Polizei-Psychologen noch einen Haufen dummer Fragen beantworten. Sie wissen doch, wie diese Psycho-Fuzzis ticken. Die sind doch selber ihre besten Patienten.“

      „Was für Fragen meinen Sie?“

      „Ja etwa sowas in der Art: seit wann sehen Sie tote Fische? Sehen andere in Ihrer Familie auch tote Fische? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie tote Fische sehen? Reden die toten Fische mit Ihnen?“

      „Hören Sie auf. Ich habe verstanden. Sie meinen also, die würden uns für bekloppt halten und wir kriegen dann so eine Ich-hab-mich-lieb-Weste? Eine, die man hinten zu bindet.“

      „So wollte ich das nicht sagen. Aber man würde Sie auf jeden Fall nicht sehr ernst nehmen. Glauben Sie mir, Sie ersparen sich Frust und Ärger, wenn Sie das nicht weiter verfolgen. Ein toter Fisch ist für die Polizei noch kein Grund, aktiv zu werden. Die fühlen sich bestenfalls ver … albert.“

      „Sie haben wohl recht. Wir haben ja dann auch beschlossen, die Sache als das abzutun, was sie wohl ist, als einen Scherz – ein makabrer zwar, aber ein Scherz.“

      „Ja, das ist gut so und morgen früh ist der tote Fisch sowieso weg, verlassen Sie sich drauf. Und irgendwo ist dann eine Katze glücklich satt oder von mir aus auch ein Fuchs. Vielleicht auch ein Hund? Ich weiss nicht, ob Hunde sowas fressen. Das müssten Sie mir aber jetzt sagen können. Wie ist das? Fressen Hunde eigentlich Fisch?“

      „Unser Hund frisst Fische, gar keine Frage, den mussten wir vorhin schon zurückhalten. Der gräbt auch Mäuse aus. Ich glaube, der weiss nicht, ob er Hund oder Katze ist, der hat eine Identitätskrise. Fehlt nur noch, dass er auf Bäume klettert.“

      „Ja, das wär noch was! So ein Schlabrador oben im Baum!“

      „Warum sagen Sie das immer? Der schlabbert doch gar nicht!“

      „Alle Hunde schlabbern, die einen mehr, die andern weniger – oder?“

      „Haben Sie was gegen Hunde?“

      „Nein, nur gegen das, was sie hinterlassen.“

      „Da hat sich in letzter Zeit doch auch was geändert mit den vielen Robidogs.“

      „Das stimmt allerdings. Und in der Stadt gibt es deswegen jetzt ein neues Hobby von rücksichtslosen Autofahrern.“

      „Was denn?“

      „Hundescheissebeutel überfahren!“

      „Was?“

      „Ja, viele Hundebesitzer legen den gefüllten Beutel einfach an den Strassenrand für die nächste Kehrmaschine. Wenn da jetzt so ein Beutel liegt und es ist ein Fussgänger in der Nähe, dann gibt es Autofahrer, die sich einen Spass draus machen und über den Beutel fahren und der platzt dann und das gibt dann jeweils immer ein grosses Hallo …“

      „Das haben Sie sich jetzt aber gerade ausgedacht, oder?“

      „Verrat ich nicht. Auf jeden Fall sehe ich immer mehr Leute mit ‚Sommersprossen‘.“

      „Verdammt, ich auch!“

      „Das wäre doch ein Erklärungsmodell.“

      „Wie dem auch sei, mir geht da trotzdem etwas nicht aus dem Kopf. Der Fisch war keinesfalls ein Fisch hier aus der Ostsee. Ich vermute, dass es so eine Art Koi war, also was richtig Teures und Seltenes, so eine Art exotischer Karpfen.“

      „Das wäre in der Tat merkwürdig. Da kann es schnell um sehr viel Geld gehen. Ich habe gelesen, dass solche Fische wirklich extrem teuer sein können, speziell wenn sie eine bestimmte Zeichnung haben. Da kann man so viel Geld ausgeben wie für einen Kleinwagen.“

      „So teuer?“

      „Ja. Am teuersten ist wohl ein weisser Fisch mit einem roten Punkt auf dem Kopf. Der sieht dann aus wie die japanische Fahne und Japaner zahlen dafür irrsinnige Summen – einige Tausend Euro sind da locker als Preis drin.“

      „Ist ja Wahnsinn! Soviel Geld müsste man haben. Und der Stein sah noch interessant aus, fast wie ein Fisch. Die ganze Sache wirkte irgendwie arrangiert. Das hat jemand absichtlich so auf der Bank deponiert.“

      „Haha, die meisten Leute, die was auf der Bank deponieren, machen das absichtlich.“

      „Ja, ja, bei Geld und Gold ist das klar, aber das hier, das verstehe wer will.“

      „Verstehen ist vielleicht gerade das richtige Stichwort. Wenn man irgendetwas in der Art nicht versteht, dann handelt es sich oft um Kunst.“

      „Kunst? Wie das denn? Was soll denn daran Kunst sein?“

      „Ach, wissen Sie, da legt so ein Künstler einen toten Fisch auf eine Bank und sagt, das wäre ein Protest gegen das Leerfischen der Meere oder der letzte Aufschrei der gequälten Kreatur. Vielleicht auch ein Protest gegen das Massaker an den Haien und gegen die Jagd auf die Wale. Später gibt es dann einen Preis für dieses avantgardistische Werk und wir waren wieder mal die Deppen, die die Bedeutung des Werkes nicht erkannt haben.“

      „Verdammt, Sie haben recht, wieso haben wir das vorhin nicht gerafft? Das muss ein Kunstwerk sein, haha.“

      „Sie haben uns jetzt aber wirklich neugierig gemacht. Wir gehen nachher mal an der Bank vorbei und schauen uns das auch mal an. Das ist kein grosser Umweg für uns auf dem Weg zurück in die Ferienwohnung.“

      „Tun Sie das! Man sollte das eigentlich fotografieren. Schliesslich könnte es ja tatsächlich ein grosses Kunstwerk sein. Wenn Sie recht haben sollten, dann wird das irgendwann mal sehr wertvoll.“

      „Das Foto?“

      „Ja – womöglich. Das Gesamtwerk an sich ist ja vergänglich. Der tote Fisch wird gefressen, das Grünzeug wird vom Wind runter geweht und der Stein wird von irgendjemandem von der Bank geschubst. Das war es dann mit dem Kunstwerk. Es gibt ja sogar Künstler, die bauen was aus Sand oder im Winter aus Eis, und bei der nächsten Flut oder im Frühjahr ist dann alles wieder weg. Das wäre dann ein Abbild für die Vergänglichkeit von allem Irdischen, sagen sie mit voller Überzeugung. Ein Foto bleibt.“

      „Es wäre natürlich auch möglich, dass das Ganze einfach nur ein ganz grosser Quatsch ist.“

      „Trotzdem, ein Foto wäre nicht schlecht.“

      „Das machen wir, wir fotografieren das, wir haben einen kleinen Fotoapparat dabei. Und wer weiss, vielleicht sollte man der Polizei doch einen Hinweis geben. Tote Fische sind nach Artemidoro‘s Traumdeutung Hinweise auf eine verlorene Hoffnung oder auch auf eine grosse Enttäuschung. Vielleicht will irgendjemand etwas damit sagen, irgendein Signal geben.“

      Seine Frau schritt bei diesem Phantasieausbruch ein: „Jetzt hör aber auf!“

      „Nein. Es könnte eine Drohung sein. Jemand, der verlassen wurde und auf diese Weise Rache nimmt oder ankündigt.“

      „Das klingt ja beängstigend. Ich glaube, Ihr Beruf hat Sie zu stark geprägt. Sie vermuten ja sofort das Schlimmste. Aber mysteriös ist das


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