Menschenversuch. Monika Landau

Menschenversuch - Monika Landau


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      Mit der gleichen Verbissenheit wie einst, ging sie ans Werk, ihre Schöpfung auf sich selbst zurückzuführen. In allen Dimensionen versuchte sie krampfhaft, die universale Explosion in Implosion umzukehren. Sie raste an die Grenzen von Raum und Zeit, begann ganze Galaxien einzusammeln, legte Materiefallen in Form schwarzer Löcher aus. Nichts half. Im Zentrum investierte Energie fehlte an der Peripherie des Universums und umgekehrt.

      Mit dieser Sisyphusarbeit verbrachte Alpha einige Milliarden Jahre, bevor sich Zeichen von Erschöpfung einschlichen: fast all ihre Energie war aufgebraucht. Gezeichnet vom erfolglosen Versuch, ihre Liebe zurückzuerobern, musste sie sich eine Ruhepause gönnen, ihren schöpferischen Akkumulator auffüllen. Ihre letzten Kräfte mobilisierend, zog sie sich aus der Weite des Kosmos zurück, sammelte sich am Rande einer Milchstraße. Da fiel ihr ein kleines Gestirn in dieser Galaxie auf, bläulich-weiß schimmernd, mit braunen Flecken, umgeben von geheimnisvollem Licht. Dieser wundersame Planet zog sie an. Sie war nicht enttäuscht, als sie den Himmelskörper erreichte. Feuchte Wärme strömte ihr entgegen, machte sie noch schläfriger als zuvor. Sie entschloss sich, hier auszuruhen, legte sich wie eine zweite Haut um die Gashülle des Gestirns und vergaß Chaos und Kosmos.

      In Alphas allumfassenden Augen spiegelten sich Meere und Berge, Eiskappen und Urwälder, aber auch Ansammlungen für sie seltsamer Kästen. Wie im Traum – vielleicht war es schon ein Traum? – konzentrierte sich ihr Blick auf eine solche Ansammlung, durchdrang den nebligen Rauch und bemerkte zahllose, mechanisch sich auf grauen Bändern fortbewegende Gestalten ohne Glieder, von denen offenbar dieser Dunst ausging. Und sie sah andere Wesen, die auf zwei Beinen gingen und in Kästen verschwanden. Die undurchschaubaren Bewegungen ermüdeten sie endlich so sehr, dass sie einschlief.

      Als der Autor das Verlagsgebäude betritt kommt es ihm noch düsterer vor als sonst. Das kann aber auch an dem verdrückten Licht über der Stadt liegen, denkt er, das ihm wie das Gesicht einer unausgeschlafenen Sonne vorkommt. Und an dem Gefühl, beobachtet zu werden, das ihn seit Tagen quält. Kaum hat er auf der Treppe – der Aufzug ist wieder mal defekt – sein Stockwerk erreicht, kommt der Bürobote Carlos aus seiner offenen, fensterlosen Kammer und sagt:

      »Der Chef ist auf hundertachtzig, du sollst sofort kommen.«

      Den Autor trifft das nicht ganz unerwartet und er zieht wie in Kafkas Welt durch die schmutzigen Korridore. Doch vor den fünf Männern im Chefzimmer verschwinden solche Vergleiche schnell. Drei davon sind Redakteure in der Einheitskluft der herrschenden Partei: militärähnliche Blousons, die Hosen in Schaftstiefel gesteckt und schwarze Hemden mit Anstecknadeln. Den Vierten, undefinierbar blond und korrekt wie Schaufensterpuppen ausstaffiert, kennt er nicht. Umso besser Kaminski, den Chefredakteur seit neuestem. Der kommt sofort zur Sache:

      »Deine letzten Artikel« – er schwenkt dabei ein paar Druckseiten und stiert dem Autor ins Gesicht – »haben nicht nur bei der Regierung Anstoß erregt. Offenbar glaubst du, dass unsere Regeln hier für dich nicht gelten. Dein elitäres Geschwafel kann höchstens die Auflage senken. Ich kapiere sowieso nicht« – dabei blickt er die drei Redakteure so verachtungsvoll an, wie ihm das möglich ist – »wie diese Beiträge trotz unserer Kontrollen überhaupt gedruckt werden konnten. Was hast du dazu zu sagen?«

      Der Autor sieht an Kaminski vorbei und schweigt.

      »Antworte gefälligst!«

      Der Ton wird schärfer und ist sich seiner Macht ganz sicher.

      »Du warst mal ein ganz guter Journalist. Wenn du aber glaubst, diese Schmarotzer an unserer Kultur in Schutz nehmen zu müssen, ist es aus zwischen uns.« »Wir haben Informationen darüber«, sagt leicht schleppend der undurchsichtige Blonde, »dass Sie sich im Ausland mit Schriftstellern und Künstlern getroffen haben, denen wir die Aufenthaltserlaubnis bei uns entzogen hatten. Das sieht nicht gerade nach nationalbewusstem Handeln aus.«

      Der Autor findet seinen Verdacht bestätigt. Wahrscheinlich hat man nicht nur ihn überwacht, sondern auch Freunde und Verwandte. Er blickt dem dicklichen mit modischer Kurzhaarfrisur und Lederjacke auf jugendlich getrimmten Chef auf die grelle Krawatte.

      »Mich interessierten einfach ihre neuen Arbeiten. Wenn ich kritisch darüber berichten soll, muss ich mich erstmal informieren. Die Leute wollen wissen, was die schreiben oder malen – und nicht, was sie darüber denken sollen. Außerdem war die Reise ja genehmigt.«

      Der Disput ging weiter, und auch die drei uniformen Redakteure konnten noch ihre Anmerkungen loswerden. Am Ende stand – Kaminskis Ton war eine Mischung aus Häme und Arroganz – eine ‚letzte Warnung‘ und seine Aufforderung, die ‚neue Kulturpolitik im Land‘ aktiv zu vertreten. Grußloser Abschied. Zurück an seinem Schreibtisch fällt ihm die erste Begegnung ein: als Redakteur beim ‚Express‘ wollte Kaminski sein Urteil über einen Fortsetzungsroman hören. Der Autor, Aushilfslektor in einem kleinen Verlag, war schon damals von seinen plumpen Sprüchen angewidert. Ganz zu schweigen davon, wie der auf einer Party Lea angemacht hatte. Kaminski nahm nie etwas in die Hand, was ihm keinen Profit brachte. Und weil Opportunisten immer siegen, hatte ihn das Militär nach der politischen Säuberung der ‚Express‘-Redaktion prompt zum Chefredakteur bestellt.

      Der Autor starrt auf die marionettenähnliche Straßenwelt. Leben heißt nur noch funktionieren in Technokultur: maschinenähnliche Bewegungen zwischen Krisen und Ängsten, die du mitmachen musst. Ihm fallen Verena und Reinhart ein; nach der Trennung hat sie sich offenbar dem Militärregime angepasst und Reinhart, den Sohn, in die Jugendorganisation der Partei geschickt. Seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu ihm. Wieder umschließt ihn der Trennungsschmerz wie plötzliche Nacht. Ich arbeite für die Verblendung von Leuten und verschwinde dabei selbst, denkt er. Und: vielleicht ist Schweigen Notwehr. Doch diesen Staat kannst du mit Schweigen nicht ändern. Dieser Staat will funktionstüchtige, mit Nationalfarben angestrichene Roboter. Der Autor wirft die Brille auf den Tisch, nimmt ein Blatt Papier und schreibt darauf das Wort ‚Szenenwechsel‘.

      Den vielleicht naiven Beschluss, von nun an subversiv – und, wo nötig, auch konspirativ – zu arbeiten, versucht er gleich am anderen Tag umzusetzen. Man hat ihn angewiesen, zur Steigerung des Fremdenverkehrs über eine Touristenenklave mit öden Zweckbauten und Hochhäusern positiv zu berichten und er greift dabei auf Gespräche zurück, die er ein paar Wochen vorher dort mit Gästen geführt hat. Da wurde Wassermangel zu bestimmten Tageszeiten (der Druck reichte für die Hochhäuser nicht aus) ebenso beklagt wie das unsaubere Meer; die Abwässer strömten ungeklärt hinein. Und es gab noch ganz andere Stimmen – zum Beispiel von einem Chemiearbeiter:

      »Sie haben mich hierher auf Urlaub abkommandiert; ich selber hätte mir das gar nicht leisten können. Die Häuser sind wohl nicht ausgebucht. Kaum war ich da, wurde mein Asthma schlimmer und der Hautausschlag auch. Der Arzt meinte bloß, ich soll nicht so zimperlich sein und verschrieb mir Salbe.«

      »Hat sich das dann gebessert?«

      »Nee. Einer, den ich beim Arzt traf, hat mir erzählt, das käme vom Asbest, den sie hier überall benutzt haben. Vielleicht auch vom Fleisch aus der Abdeckerei.« »Und? Habt ihr euch beschwert?«

      »Wo denn? Wer das dem Hauskontrolleur oder der Strandaufsicht sagt, fliegt sofort raus und sein Resturlaub wird gestrichen. Das ist schon ein paarmal passiert – also halten alle den Mund.«

      Oder eine Stenotypistin:

      »Es hieß, wir kriegen ein paar Tage Urlaub mehr, wenn wir herfahren und auch der Pfarrer meinte, das sei gut für unser Land, wenn wir so dem Tourismus helfen.«

      »Und warum mussten Sie allein fahren, ohne Ihren Mann?«

      »Mein Mann ist arbeitslos, deshalb durfte er nicht mit. Als wir den Pfarrer gebeten haben, uns zu helfen, hat er bloß gemeint, es sei wichtiger, sich Arbeit zu suchen, als faul am Strand zu liegen. Wichtiger für die ganze Nation. Aber er wusste auch nicht, wo mein Mann Arbeit findet.«

      Der Autor benutzt diese Aussagen vorsichtig, um so ein paar unschuldige Seitenhiebe auf Staatsreligion und Wirtschaftsmisere zu landen und lässt beiläufig den Mangel an Kultur


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