Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht. Michael Schlinck

Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht - Michael Schlinck


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mal im Urlaub das Land verlassen hat, steht daneben. Eigentlich finde ich es schon mehr als ärgerlich, dass mein offensichtlicher Landsmann den armen Immigranten hier zu schikanieren versucht. Nur mein unvorteilhaftes Äußeres hindert mich daran, dem Genossen mal ordentlich Bescheid zu geben.

      „Mer sin de Bierkutscher un han ne Leeverung“, sagt der schwarze Mann in astreinem Kölsch. „Is joot, mer wahde an de Rezepzion“, sagt er noch und legt auf.

      Daraufhin lässt der andere verlauten: „Kommen? Ich nix verstande.“ Damit redet er mir aus der Seele.

      Nun antwortet der Große auch noch in perfektem Hochdeutsch: „Der Rezeptionist wird in wenigen Minuten hier sein.“

      Scheißvorurteile! Und tolle matschige Füße! Immerhin haben sie mich vor einer Mordsblamage bewahrt.

      Jetzt aber nichts wie zurück ins Wohnmobil, bevor nun jemand von der Rezeption kommt und die Schlammspur zur Herrentoilette entdeckt.

      Wie ich so durchnässt ins fahrbare Eigenheim steige, sitzt Natalie, meine wesentlich bessere Hälfte, aufrecht im Bett, begrüßt mich mit den Worten: „Sollst Timo zurückrufen“, und fügt noch hinzu: „Ist wichtig.“

      „Na toll, was will der denn?“, fährt es, ohne nachzudenken, aus mir heraus. Aber auch ohne Antwort ist mir klar, dass es Natalie nicht weiß. Bei der Kripo herrscht eben Schweigepflicht und somit sind auch meine beiden Kollegen Timo und Laura, von uns liebevoll Lara genannt, nach Lara Croft von Tomb Raider, daran gebunden.

      Um meine beiden Kinder Quendoline und Mike, die oben im Alkoven schlafen, nicht zu wecken, verlasse ich erneut das Wohnmobil, lande wieder in der Pfütze. Glücklicherweise quält mich nicht erneut Harndrang. Wo allerdings soll ich mich unterstellen? Der Blick zur Toilette sagt mir, dass dort der Rezeptionist genervt damit beschäftigt ist, die Treppe zu reinigen. Das kommt als Unterstellmöglichkeit nicht infrage. Also verlasse ich das Gelände und setze mich relativ komfortabel in ein Buswartehäuschen. Was man eben so für komfortabel hält, im schlammigen Pyjama und mit patschnassen Pantoffeln. Aus der Anrufliste wähle ich die Nummer von Timos Diensthandy.

      „Kripo Neustadt an der Weinstraße, Außenstelle Landau, mein Name ist Timo Gebauer, einen wunderschönen guten Morgen“, trällert mir mein putzmunterer Kollege entgegen.

      „Meine Güte, Timo, könnte ja meinen, dass du bei einer Hotline beschäftigt bist“, bin ich erstaunt.

      „Ach Dieter, du kennst doch unseren Chef. Der hat uns eine Memo geschickt, wie wir uns ab sofort und auch rückwirkend am Telefon zu melden haben.“

      „Okay, ich werde es berücksichtigen. Aber ich werde dich sicher nicht mehr sonntags in der Früh kurz nach sieben zurückrufen, um mir dann Heulers Memoquatsch anzuhören.“ Jetzt bin ich echt angepisst, sitze im durchnässten Schlafanzug in einer Kölner Bushaltestelle, presse den Schlamm durch die Zehen und kann mir den Memoscheiß meines Vorgesetzten anhören.

      „Halt, Dieter, nicht auflegen“, höre ich Timo noch am anderen Ende rufen, während ich auf den roten Hörer auf dem Display tippe. Also wähle ich neu und schreie beim ersten Knacken in der Leitung gleich los: „Timo! Wenn du nun nicht den Memoscheiß sein lässt, dann komme ich in die Pfalz und würge dir eine rein.“

      Erst dann merke ich, dass mir Timos Stimme von der Mobilbox entgegenträllert: „Kripo Neustadt an der Weinstraße, Außenstelle Landau, Anschluss Timo Gebauer, sprechen Sie bitte nach dem Tonsignal.“

      So langsam schwillt mir der Kamm. Beim Auflegen sehe ich noch ein „Eingehender Anruf“ auf dem Display blinken. Also schnellstmöglich wieder ans Ohr mit dem Teil, was sich wie eine Ohrfeige anfühlt. Das „Hallo, hallo“ fällt dementsprechend viel zu laut aus.

      Tatsächlich bekomm ich auch ein „Hallo, hallo“ zur Antwort.

      „Timo, bist du das?“, rufe ich wieder zu laut.

      „Nein“, bekomme ich zur Antwort, „ein genervter Nachbar, der am Sonntag gerne ausgeschlafen hätte.“

      Nun entdecke ich den Herren, der oberhalb des Bushäuschens, ebenfalls im Schlafanzug, auf einem Balkon steht. Mit einem Wink entschuldige ich mich, während ich nun wieder ein Gespräch annehme. Dieses Mal drücke ich den richtigen virtuellen Knopf auf meinem Smartphone, um die vertraute Stimme Timos zu vernehmen.

      „Wir haben einen Toten“, sagt er dieses Mal ohne Einleitung.

      „Wie, einen Toten?“ Nun bin ich etwas perplex. Ich meine, dass ich der Leiter der Arbeitsgruppe Kapitalverbrechen in Landau bin. Doch so ein Kapitalverbrechen kommt bei uns an der Südlichen Weinstraße sehr selten vor. Um genau zu sein, ist unser letzter Mord fast ein Jahr her. Damals wurde meinem Freund Gusti per Spedition die Leiche des Gräfenhausener Ortsvorstandes geliefert. Und seitdem? Seitdem haben wir einige natürliche Tode auf ihre Natürlichkeit geprüft. Auch zwei Suizide haben wir auf ihre Echtheit geprüft. Aber so ein Kapitalverbrechen, das gab es in unserer Arbeitsgruppe nur das eine Mal. Und das konnten wir lückenlos aufklären. Quote einhundert Prozent. Besser geht es nicht!

      „Ein Toter eben“, reißt mich Timo aus meinen Gedanken.

      „Wie, tot?“, bin ich nach wie vor perplex.

      „Na, mausetot.“ Nun ist mein Kollege offensichtlich genervt. „Eine männliche Wasserleiche, Mitte zwanzig, unnatürliche Todesursache, im Auto, Suizid ausgeschlossen.“

      Ich verstehe nur Bahnhof: „Eine Wasserleiche im Auto? Wie geht denn das?“

      „Na, ein junger Mann, der in einem Fahrzeug im Silzer See versenkt wurde.“

      Nun kommt Licht ins Dunkel. Aber warum das kein Suizid sein soll, verstehe ich nicht. „Timo, weshalb schließt du einen Suizid aus?“, frage ich deshalb. „Es ist doch nicht unwahrscheinlich, dass der Fahrzeuglenker als Freitod den Weg ins Wasser gewählt hat. Theoretisch könnte es ja sogar ein Unfall gewesen sein und wäre somit ein Fall für die Verkehrspolizei.“

      „Theoretisch ist alles möglich, aber mit ans Lenkrad gefesselten Händen und ans Sitzgestell gefesselten Füßen ist das höchst unwahrscheinlich.“ Und damit hat mich mein Kollege nun auch restlos überzeugt.

      Bei der Entdeckung der letzten Leiche war ich mit meinem Sohn Mike beim Kartrennen und dieses Mal sitze ich hier in Köln. Ganz toll. Sicher beobachten mich die Kapitalverbrecher, um genau dann zuzuschlagen, wenn ich außer Landes bin. Ich werde ab sofort aus Sicherheitsgründen den Landkreis nicht mehr verlassen.

      Nun beende ich das Gespräch umgehend und denke darüber nach, wie ich meiner Familie beibringe, dass eine sofortige Heimreise unabdingbar ist.

      So in Gedanken habe ich die Wandergruppe nicht bemerkt, die inzwischen den Campingplatz verlassen hat und nun von der gegenüberliegenden Straßenseite sichtlich amüsiert mein Outfit bestaunt. Dieser Sonntag geht wohl als mein ganz persönlicher Freitag der Dreizehnte in die Geschichte ein.

      Die letzten beiden Stunden im Schoße meiner Familie spotten jeder Beschreibung. Von wegen Familienidylle und so. Aber ein Mordfall ist eben ein Mordfall und basta.

      Fakt ist, dass ich nun im ICE Köln-Mannheim sitze und aus dem Fenster des Bordbistros schaue. Bei einer so kurzfristigen Buchung ist eine Sitzplatzreservierung nicht mehr drin, hat es am Schalter geheißen. Und so sitze ich hier und rase mit zweihundertfünfzig Sachen meiner Leiche entgegen. Das Leben kann auch schön sein. Zumindest so lange, wie das Handy nicht klingelt. Meins klingelt. Meins klingelt und vibriert wie ein wild gewordener Rasierapparat. In einer Fortbildung habe ich einmal gelernt, dass man sich auf ein Telefonat erst mental vorbereiten sollte. Das innere Gleichgewicht finden und entscheiden, ob man nun in der Lage ist, ein solches Gespräch souverän zu bewältigen. Schließlich möchte man ja die Kontrolle über so ein Telefonat haben. Der Psychologe von damals hat wohl vergessen, dass wir von der Kripo jedes Gespräch ohne Verzögerung annehmen müssen. Es könnte ein wichtiger Zeuge sein, dem jeden Moment der Mut schwindet. Oder gar ein Opfer, das noch im letzten Atemzug den Namen seines Mörders nennen will.

      Also ran, ohne nachzudenken: „Schlempert.“

      „Schleeeeempeeeeert“,


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