Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht. Michael Schlinck

Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht - Michael Schlinck


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steht er nun, der Nachbar, und grinst und winkt mich zu ihm her. Wer kann da schon Nein sagen. Ich könnte schon, doch das gute Benehmen verbietet es mir. So kommt es, dass ich trotz meines erbärmlichen Zustands bei ihm stehen bleibe.

      „Hey, Dieter, ich muss dir unbedingt von meiner neuen Geschäftsidee erzählen“, sprudelt es aus ihm heraus und das ohne Begrüßung. Bin mal gespannt, was nun kommt. Sicher macht er nun Pudding aus Kuhdung oder so. Seine Buttermilch holt er auch als Abfallprodukt aus einer Butterfabrik und das mit einem alten Güllefass. Wenn man das sieht, vergeht einem die Lust auf Bio. Wobei erwähnt werden muss, dass er menschlich echt okay ist, der Reiner. Als letztes Jahr unser Haus brannte, hat er meine Musikinstrumente aus dem Keller vor einem Wasserschaden gerettet, während meine Familie und ich mit Rauchvergiftung im Krankenhaus verweilten.

      „Wir haben jetzt auch Gästezimmer mit Wellness-Kur“, erzählt er voller Stolz. „Schönheit von innen mit Reiner Buttermilch.“

      Hab ich es mir doch gedacht. Seine Ideen werden immer abstruser.

      „Toll. Hast du das Gewerbe denn schon beim Fremdenverkehrsamt angemeldet?“, sag ich, weil mir gerade nichts anderes einfällt.

      „Woher denn. Ich melde doch nichts an. Das spart Steuern, weißt du?“

      Ja, das weiß ich. Aber dass ich nun offizieller Mitwisser bin, stört mich ungemein. „Steuerhinterziehung nennt man das!“, warne ich ihn.

      Doch er sagt trocken und allen Ernstes: „Nicht meine, deine!“ Hä? „Schau doch, da der Staat nichts von meinem landwirtschaftlichen Betrieb weiß, braucht er mich auch nicht zu subventionieren. Das spart Steuern.“

      Nun sag ich nichts mehr, weil mir einfach nichts mehr einfällt.

      Dafür ist mein Nachbar umso gesprächiger: „Heute ist auch schon unser erster Kurgast eingetroffen. Ich kann dir sagen, ein ganz heißes Gerät! Eine Dame der besseren Gesellschaft von Frankfurt. Irgendeine Kaufhauserbin. Schau doch nur mal zur Wäscheleine! Solche Teile sollte sich Kordula auch mal zulegen. Dann wäre mal wieder was los auf der heimatlichen Pritsche, wenn du verstehst, was ich damit sagen will.“

      Und ob ich verstehe. Sofort verbiete ich meinem Gehirn, die dazugehörenden Bilder zu liefern. Es verweigert mir den Gehorsam. Nun bin ich nicht nur deprimiert, jetzt ist mir auch noch übel.

      Durch den Blick zur Wäscheleine wird dieses Gefühl noch verstärkt, was nicht an den schwarzen Teilen aus Spitze und Nylon liegt, die dort hängen, sondern an den selbst gehäkelten Schafswolleunterhosen, die Kordula gehören und gleich daneben hängen. Reiners Lebensgefährtin ist eben der Inbegriff von Öko.

      Ohne ein weiteres Wort gehe ich nun nach Hause. Ob zum Kotzen oder zum Duschen, weiß ich noch nicht. Das entscheide ich dann spontan.

       Papa. Mein Gebet richtet sich an meinen geliebten Papa. Lieber Papa im Himmel, der mich immer beschützt hat, mich großgezogen hat nach Mutters Tod. Der für mich gesorgt hat. Dann im Kampf für ein freies Land gefallen ist. Papa, ich habe die Ukraine verlassen. Anstatt für die Freiheit zu sterben, bin ich in die Freiheit geflüchtet. Ich weiß, dass du es sicher als feige empfindest, einfach bei Nacht und Nebel abzuhauen, um dann illegal in einem fremden Land zu sein. Aber mir ist es das wert. Keine Schüsse. Keine Leichen auf offener Straße. Kein Rauch in der Luft und keine Einschlagkrater.

       Das ist es mir wert, mich zu verstecken. Ich wurde aufgenommen und kann ein wenig arbeiten. Und lerne Sprachen. In jeder freien Minute lerne ich. So kann ich schon etwas Deutsch, Englisch und Französisch. Das sei wichtig, wenn ich dann mal voll arbeite, wurde mir gesagt.

       Außerdem gibt es einen Mann. Er hat mich auf der Flucht gefunden und über die Grenzen gebracht. Er ist anders als die anderen. Er ist einzigartig und trotzdem wie du, Papa. Ich liebe ihn und er liebt mich. Ich weiß das. Er ist der Mann meines Lebens. Endlich weiß ich, warum ich lebe. Endlich weiß ich, für wen ich lebe.

       In Liebe, deine Veroschka.

       Dienstag

      Der Weg zur Arbeit macht heute deutlich mehr Freude, was daran liegt, dass ich nach den Tagen im Wohnmobil und in dem alten Streifenkadett endlich wieder in meinem Mini sitze. Das Teil ist schon der Hammer. Der ist es doch wert, meinen ungeliebten Job zu machen. Das Fahren macht mir so viel Freude, dass ich nun einen Umweg über Annweiler in Kauf nehme, um eines meiner Lieblingsteile der B48, die Ebersbach, zu fahren. Und das gleich dreimal, zweimal runter und dazwischen einmal hoch.

      So kommt’s, dass ich als Letzter im Büro erscheine. Laura und Timo sitzen schon fleißig an ihren Bildschirmen.

      „Moin, Dieter“, begrüßen mich die beiden und Laura fügt hinzu: „Heut ist richtig was zu tun. Es gibt E-Mails aus Frankreich, von der Gerichtsmedizin und von der Spurensicherung.“

      Obwohl ich es hasse, am Schreibtisch zu sitzen, fahre ich meinen Rechner hoch und hoffe darauf, den alles entscheidenden Hinweis in den Schriftstücken zu finden.

      Meine erste Mail bremst gleich wieder meinen Enthusiasmus. Klar, jedes Wort ist französisch. Zum Glück hab ich ja Laura und durch ihre Hilfe erfahre ich dann, dass unser mutmaßliches Opfer am 07.04.1986 in Venlo, Holland geboren wurde. Mutter Charlotte van de House, geborene Bouchet, französische Staatsbürgerin, verstorben 2002. Vater Jan van de House, verstorben 1989. Da werden uns die Eltern wohl nicht mehr bei der Identifizierung helfen können. Ich beauftrage Lara damit, in Holland zu recherchieren, ob es irgendwo Verwandte gibt, die uns wenigstens bei der Identifizierung helfen können.

      Als Nächstes nehme ich mir den Obduktionsbericht vor. Widerwillig schaue ich mir die Fotos vom Leichnam an. Man muss zugestehen, es war ein junger, gut aussehender Bursche, langes, blondes Haar, braun gebrannte Haut. Einzig der ungepflegte Bart passt nicht so zu seinem Gesicht. Sieht eigentlich gar nicht nach Bart aus, eher als würde der Träger eben nur alle paar Monate dazu kommen, sich zu rasieren. Das alles passt ja prima zu meiner Globetrotter-Theorie.

      Wieso wird so ein Weltenbummler ausgerechnet in meinem Gebiet ermordet? Zum Mäusemelken ist das.

      Auf der nächsten Seite ist dann eine Großaufnahme seines Halses zu sehen, auf dem deutlich ein Hämatom zu erkennen ist, ein Knutschfleck, um es beim Namen zu nennen. Auf den nächsten Seiten ist detailliert sein Intimbereich abgelichtet. Bilder, die ich im Normalfall schnell überblättern würde, wenn da nicht die ganzen Blutergüsse wären, zudem jede Menge Verletzungen und Risse in der Haut. Entweder hat der Mann an einem absolut bizarren Liebesspiel teilgenommen oder es wollte ihm jemand im wahrsten Sinne des Wortes die Eier herausreißen.

      Nun lese ich doch gespannt den Text. Im Großen und Ganzen werden meine Eindrücke von den Bildern darin bestätigt. Durch UV-Strahlung gebräunt, Hämatom am Hals durch Saugeinwirkung, Genitalverletzung durch Zugeinwirkung einer Hand. Jetzt wird es aber interessant. In seiner Harnröhre befanden sich noch Spermarückstände. Auch der Hormoncocktail in seinem Blut hat es in sich. Zum einen das Übliche, was jemand im Blut hat, wenn man so dem sicheren Tod entgegenrast, also Adrenalin und so, zum anderen hatte er aber auch Testosteron und Östrogen im Blut und das in hohem Maße, alles eindeutige Anzeichen dafür, dass er noch kurz vor seinem Tod sehr erregenden Verkehr hatte. DNA-Spuren im Intimbereich zeigen an, dass es sich um eine Sexpartnerin gehandelt hat.

      Eine Frau kommt wiederum für die Verletzungen kaum infrage. Die Größe der Hand und die Kraft, mit der sie zugefügt wurden, deuten eindeutig auf einen Mann.

      Was suchen wir nun? Eine Frau mit dem Oberkörper und den Händen von Arnold Schwarzenegger oder doch einen Mann nach Geschlechtsumwandlung? Sind es am Ende zwei verschiedene Personen? Wenn dem so ist, sind sie dann unabhängig voneinander oder arbeiten sie zusammen? Fragen über Fragen. Mir platzt gleich der Schädel. Am liebsten würde ich Urlaub beantragen.

      Jetzt nehme ich mir den Bericht von meinem Freund Martin Schneider zur Brust. Er hat eigentlich zwei Berichte angefertigt, den vom Tatort und den vom Fahrzeug.

      Am Tatort war nicht viel zu finden, ein paar Fasern, eine Motorrollerspur,


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