Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht. Michael Schlinck

Kommissar Schlemperts zweiter Fall: Recht & Unrecht - Michael Schlinck


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ich soll nicht mehr so auf Konfrontation gehen mit unserem Vorgesetzten?“, werfe ich ihm an den Kopf.

      „Da hast du schon recht. Aber diese Aktion ist doch komplett für den Allerwertesten“, ist Timo nun auch am Zweifeln.

      „Komm, Timo, ist doch nur für einen Tag. Ich lass auch mein Smartphone nicht aus den Augen.“ Damit kann ich den jungen Mann sichtlich beruhigen.

      Für weitere Diskussionen haben wir dann auch keine Zeit, da es an unserer Bürotür klopft. Ich öffne und mustere den Mann, der davorsteht. Schlank, circa einsfünfundachtzig groß, schätzungsweise Ende sechzig, markantes Gesicht mit deutlich herausstehenden Wangenknochen, tief sitzenden dunklen Augen mit grauen, buschigen Brauen, blitzblank polierte Schuhe und eine Art Ausgehuniform. Die Körperspannung vorbildlich und die Augen geradeaus. Einzig der Schlapphut mit allen möglichen Angelaccessoires will ganz und gar nicht zu ihm passen. Wer putzt sich schon so heraus, um dann mit Angelhaken, Blinker und kleinen Plastikfischen am Schlapphut strammzustehen?

      „Guten Morgen, ich bin Kommissar Schlempert“, stelle ich mich vor.

      „Schmitt! Hans Schmitt, Leutnant a. D. und Vorstand der Silzer Angellerchen“, sagt er in einem Tonfall, der mich glauben lässt, beim Militär zu sein.

      „Ah, Herr Schmitt. Ich freue mich sehr, dass Sie so schnell Zeit für uns gefunden haben.“ Und dann bitte ich ihn: „Kommen Sie doch mit zu meinem Schreibtisch.“

      „Es ist mir eine Ehre, der Zivilgewalt Unterstützung zukommen zu lassen“, sagt er und folgt mir – mit exakt fünfzig Zentimetern Abstand. Bei jedem Schritt kann ich sein Rasierwasser deutlich riechen.

      Ich setze mich auf meinen Sessel. Er bleibt neben dem Sessel stehen, der für ihn angedacht ist. Ich bitte ihn, doch Platz zu nehmen. Er bleibt stehen. Es sieht aus, als hätte er einen Stock verschluckt, und sein Blick ist weiter schnurgeradeaus gerichtet. Ich wiederhole meine Bitte, Platz zu nehmen. Er erwidert: „Bitte, stehen zu dürfen.“

      Also gut. Des Menschen Wille ist sein Königreich.

      So beginne ich mit der Befragung: „Ihnen ist die männliche Person bekannt, die sich am letzten Samstag am See in Silz aufgehalten hat?“

      „Korrekt!“

      Das kann ja noch heiter werden. Ich rufe an meinem Bildschirm den Obduktionsbericht auf und wähle ein Bild vom Gesicht des Opfers, drehe den Bildschirm und frage: „Hat es sich dabei um diese Person gehandelt?“

      Hans Schmitt senkt für einen Augenblick den Kopf, um anschließend wieder schnurgeradeaus zu starren und ein „Korrekt“ auszurufen.

      Der macht mich noch verrückt mit seiner Militärnummer. „Nehmen Sie doch Platz“, bitte ich ihn wiederholt. „Das ist doch viel bequemer.“

      Ohne dass er sich rührt, vernehme ich ein „Negativ“.

      Wie soll man sich denn da konzentrieren? Jetzt beginnt auch noch Laura am Nachbartisch aktiv zu werden. Wieso zieht sie die Jacke aus? Nun kontrolliert sie die beiden Waffen, steht auf, zieht ihren voll bepackten Überlebensgürtel in Position und tritt neben mich.

      Wo bin ich eigentlich? Und was will ich hier? Sollte ich tatsächlich mal ein Konzept gehabt haben, so ging es mir in den letzten Sekunden verloren.

      „Leutnant Schmitt“, sagt sie in festem Ton, „setzen.“ So kann man doch nicht mit einem Zeugen umgehen. Laura kann.

      „Ungerne“, sagt der große Mann und setzt sich tatsächlich hin, stocksteif und mit starrem Blick, aber immerhin sitzt er.

      So. Nun erst mal Gedanken sortieren und weiter geht’s. „Wann ist Ihnen der rote Fiat denn zum ersten Mal aufgefallen?“

      „Februar, genaues Datum unbekannt!“ Immerhin sparen die knappen Antworten Papier beim Protokoll.

      „Wollen Sie damit sagen, dass das Opfer schon seit Februar am See campiert hat?“

      „Negativ.“

      „Ja, wie jetzt?“ Ohne dass ich es will, werde ich etwas ungehalten. Das ist aber auch eine Befragung unter erschwerten Bedingungen.

      „Zum ersten Mal im Februar, dann im April und am letzten Donnerstag wieder.“

      Damit lässt sich doch was anfangen. „Hatten Sie persönlichen Kontakt mit dem Mann?“

      „Positiv.“

      „Auch bei seinem letzten Besuch?“ Geht das denn schon wieder los?

      „Positiv.“

      Mir steigt langsam die Galle bis zum Hals. „Und wie lief die Unterhaltung beim letzten Treffen ab?“

      „Negativ. Keine Unterhaltung. Nur Blickkontakt.“

      Nun bricht mir der Schweiß aus und meine Gesichtsfarbe wechselt zu Burgunderrot.

      Wieder baut sich Laura neben mir auf, zupft ihre Pistolenhalfter zurecht und sagt streng: „Leutnant Schmitt, sitzen Sie doch bequem und reden Sie frei.“

      Augenblicklich lässt mein Gegenüber seine Schultern fallen und schlägt die Beine übereinander. Und ich? Ich glaube, ich hab mich gerade in Laura verliebt.

      „So, Herr Schmitt, nun einmal in chronologischer Reihenfolge bitte!“

      „Also“, fängt er nun ganz normal an zu reden, „Ende Februar war der Panda zum ersten Mal auf der Wiese am See zu sehen. Als er am Folgetag immer noch da war, ging ich dann hin. Ich wollte ja nicht neugierig erscheinen, aber wenn jemand bei Minusgraden offensichtlich im Auto übernachtet, will man doch nach dem Rechten sehen.“

      Ist das derselbe Mann, der eben noch strammgestanden hat und nur mit „Positiv“ oder „Negativ“ geantwortet hat? Egal. Jetzt ist das Ganze angenehmer.

      „Der junge Mann war sehr höflich und sprach mit einem fremdländischen Akzent. Genau kann ich den nicht beschreiben. Mal dachte ich an Belgisch oder Flämisch, kann aber auch Luxemburgisch oder eine Mischung aus allem gewesen sein. Jedenfalls stellte er sich mit dem Namen Scharell vor. Er erzählte, dass er ein paar Tage bleiben wolle, um jemanden zu besuchen.“

      „Wen? Sprach er davon, wen er besuchen wollte?“, unterbreche ich ihn nun doch.

      „Leider nicht“, bekomme ich zur Antwort. „Alles, was mir aufgefallen ist, ist, dass unten am Weg des Öfteren ein alter Motorroller stand.“

      „Wem gehörte der Roller? Haben Sie auch den Fahrer gesehen?“

      „Gesehen habe ich nie jemanden bei Scharell. Er war immer, wenn er hier war, sehr zurückgezogen und scheu. Der Roller war weiß mit so einem rosa Aufkleber am Tank. Mehr weiß ich leider auch nicht.“

      Das klingt ja schon fast wie eine Entschuldigung von Hans Schmitt. Der, wenn er nicht im Militärmodus agiert, sehr sympathisch ist.

      Ich wäre fürs Erste durch. Timo, der das Protokoll mitgeschrieben hat, lässt sich eben dies noch unterschreiben. Danach bedanke ich mich noch einmal bei dem älteren Herrn, der allerdings keine Anstalten macht aufzustehen.

      „Wir sind dann so weit, Herr Schmitt“, fordere ich ihn auf, zu gehen, was er allerdings ignoriert. „Wir haben es bereits nach vierzehn Uhr und würden nun gerne Pause machen“, werde ich noch deutlicher.

      Keine sichtbare Reaktion.

      Nun baut sich Laura wieder neben mir auf und bittet ihn freundlich, zu gehen: „Leutnant Schmitt, abgetreten.“

      An der Tür wendet er sich noch einmal zu einem militärischen Gruß, wobei sich mindestens ein Angelhaken in seinen Zeigefinger bohrt. Und das dermaßen fest, dass, als er die Hand wieder herunternimmt, der Schlapphut samt Toupet daran herunterhängt.

      Traumhaft, dieses Bild!

      Als wir dann zusammen zum Essen gehen, sagt Laura in einem ruhigen Moment: „Dieter, wenn du darüber reden willst, dann stehe ich dir jederzeit zur Verfügung.“

      Was sie damit meint, entzieht sich meiner


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