Pläne sind zum Ändern da. Dorina Kasten

Pläne sind zum Ändern da - Dorina Kasten


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Zu Nora hatte sie damals gesagt, es war, als hätte man ihr beide Arme abgehackt. Einerseits fühlte sie sich schuldig an der Misere, andererseits wollte sie auch nicht zurück.

      Ein paar Monate später kam die kleine Marta dann per Gerichtsbeschluss zu ihr. Mandy war schon vierzehn und wollte bei ihrem Vater bleiben. Inzwischen waren sie erwachsen und die Probleme von damals verblasst.

      „Warum hast du deine Stirn in Falten gelegt? Mach das weg! Das bleibt sonst so stehen!“ Hanna, die eben an den Tisch fegte, gackerte sofort los.

      „Ich weiß“, antwortete Nora schuldbewusst, „das hat Mutti immer gesagt, wenn wir Grimassen geschnitten haben.“

      Die beiden Frauen begrüßten sich herzlich. Hanna ließ sich neben ihrer Schwester auf dem Sofa nieder. Sie hatte wie immer ein Kleid an und legte, genau wie Rosi, viel Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Die blondgefärbten Haare waren lang und etwas abgestuft. Auch Schmuck trug sie reichlich. Nora wusste, dass Anton sie großzügig behängte, wie er scherzhaft zu sagen pflegte. Die Wirtin kam an ihren Tisch und nahm in ihrer unnachahmlichen Art die Bestellung auf: „Na, meine Süßen? Was darf ich euch bringen lassen?“, säuselte sie und warf dabei ihre Mähne zurück.

      „Für mich ein Kännchen Kaffee und ein Stück Mohntorte“, erwiderte Nora.

      Hanna wollte nur einen großen Milchkaffee. „Ich bin auf Diät.“ Das war sie seit gefühlten vierzig Jahren. Zugegeben, sie war etwas fülliger als Nora, und irgendwann in letzter Zeit war auch ihre Taille abhandengekommen, aber diese Diäten hatten ihr noch nie etwas anderes als schlechte Laune eingebracht.

      „Warum willst du denn abnehmen? Anton liebt dich doch so wie du bist.“

      „Bald ist Urlaubszeit, da will ich in den Badeanzug vom letzten Jahr passen“, erklärte Hanna.

      „Kauf dir einen neuen. Rosi! Können wir bitte noch ein Stück Mohntorte haben?“

      „Hast ja recht. Jetzt in den Wechseljahren bringt es sowieso nichts mehr“, stellte Hanna resigniert fest; ein paar Minuten später schob sie sich genüsslich ein Stückchen Torte in den Mund.

      „Wann zieht ihr um?“, fragte Nora nun.

      Hanna und Anton hatten ein Haus in Friedrichshagen gebaut und wollten sich um ihre Eltern kümmern. Nora war froh darüber. Auch Antons Mutter lebte noch dort und brauchte mehr und mehr Hilfe.

      „Spätestens im September, denke ich. Am Anfang werden sich bestimmt einige das Maul zerreißen, wenn die Rabenmutter, die ihre Kinder verlassen hat, wieder da ist. Aber was soll’s, da müssen sie durch.“

      „Ach komm, das ist eben auf dem Lande so. Der Tratsch geht auch vorbei, zumal dein Ex ja längst nicht mehr in Friedrichshagen wohnt.“

      Hanna nahm einen großen Schluck Kaffee und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken von der Oberlippe. „Mag sein. Inzwischen ist es mir auch egal. Ich freue mich jedenfalls, wieder dort zu wohnen. Und das Haus wird schön!“, schwärmte sie.

      „Hoffentlich zieht ihr nicht vor Ende September um. Davor habe ich nicht viel Zeit, um dir beim Packen zu helfen.“ Nora berichtete ihrer Schwester in groben Zügen von der Terminverschiebung der Ausstellungseröffnung.

      Hannas Augen wurden groß. „Das ist ja ein dicker Hund! So, so, die Schneekönigin, von der hört man ja nur solche Sachen. Hast du die schon mal lachen sehen? Ich nicht. Ständig total verkniffen, auf allen Zeitungsfotos. Dabei ist sie gerade erst vierzig. Schade um das Mädel!“

      „Sie soll uns einfach nur unsere Arbeit machen lassen. Das würde mir schon reichen“, klagte Nora.

      Rosi kam zum Kassieren und wünschte den Schwestern „schöne Stunden bis zum Wiedersehen“.

      „Ich muss noch mal aufs Klo. Kommst du mit?“, fragte Hanna. Zu zweit gingen sie die schmale Treppe zum WC hinunter. Wie das Café, war natürlich auch das Örtchen etwas Besonderes. Rosentapeten säumten den Weg dorthin; sogar das Toilettenpapier war mit Blumen bedruckt. Walzermusik ertönte aus den Lautsprechern.

      Beim Händewaschen, selbstverständlich mit Rosenseife, fragte Nora ihre Schwester: „Schläfst du eigentlich noch mit Anton?“

      Hanna starrte sie verständnislos an: „Ja, mit wem denn sonst?“

      Nora wurde rot. „Die Betonung lag eigentlich auf dem ersten Wort.“

      „Na, aber hallo! Was dachtest du denn?“

      „Ach, nur so …“

      „Jetzt, wo man nicht mehr verhüten muss, ist das doch alles noch viel entspannter.“

      Daran hatte Nora noch gar nicht gedacht.

      Endlich fiel bei Hanna der Groschen: „Ja, dann lass dir doch mal was einfallen! Verführ ihn, mit Spitzenunterwäsche und so, klappt immer.“ Sie lächelte aufmunternd.

      8

      Nora sah aus dem Küchenfenster zu Ralfs Praxis hinüber. Sie lag genau gegenüber von ihrem Wohnhaus. Schon vor fünfundzwanzig Jahren hatten sie den alten Bauernhof in Hickelshagen übernommen und nach und nach alle Gebäude ausgebaut. Das hatte mehrere Jahre gedauert. Nora hatte manchmal gedacht, sie lebe auf einer Baustelle. Ständig hatten sie Zementstaub und anderen Dreck mit in die Wohnung getragen. Im Flur ließ Nora dauerhaft einen Wischeimer stehen. Manchmal fragte sie sich, wie sie das damals alles geschafft hatte, die Arbeit, das Kind, den Haushalt, die Putzerei und das Kochen für die Handwerker am Wochenende. Aber irgendwie war es wohl gegangen. Ralf hatte auch viel gearbeitet, dennoch hatten sie sich immer mal ein paar Stunden zu zweit gegönnt, um dem Alltag zu entkommen. Bea war bei Else und Otto gewesen, und sie beide waren einem für Nora unbekanntem Ziel entgegengefahren.

      Bei dem Gedanken an Ralfs Einfallsreichtum musste sie lächeln. Einmal hatte er sich einen Jeep geliehen; sie hatten mitten im Wald auf dem Hochsitz eines befreundeten Jägers übernachtet, der sehr komfortabel mit einer Schlafcouch eingerichtet war. Noch jetzt schlug ihr Herz heftiger, wenn sie an diese Nacht dachte. Wie lange das alles schon her war! Die Sprechstunde war fast vorbei. Heute, am Sonnabendvormittag, waren nicht so viele Leute mit ihren kranken Tieren gekommen. Nachmittags hatte Ralf noch Hausbesuche vor. Nora wollte die Zeit nutzen, um sein Lieblingsessen zu kochen, denn heute war ihr dreißigster Hochzeitstag. Ob er wohl daran denken würde? In der Vergangenheit war es selten vorgekommen, dass er diesen Tag vergessen hatte. Meistens brachte er ihr ein kleines Geschenk mit oder lud sie in ein Restaurant ein.

      Na ja, mal schauen, sagte sie sich. Heute hatten sie sich noch gar nicht gesehen. Er war früh aufgestanden, und sie hatte etwas länger geschlafen.

      Sie verharrte immer noch mit ihrer Kaffeetasse am Fenster, als ein großer Jeep auf den Parkplatz einbog. Umständlich kletterte eine Frau aus dem Auto, bemüht, mit ihren spitzen Absätzen nicht in den Rasengittersteinen hängen zu bleiben. Über den roten Locken trug sie einen riesigen Hut, so in Sombrero-Art, wie Nora belustigt feststellte: Ella von Bredenbrick. Die bekannteste Frau in Hickelshagen und darüber hinaus. Nora kam selbst vom Lande und wusste, wie hier, wo jeder jeden kannte, getratscht wurde. Aber wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was über Ella von Bredenbrick erzählt wurde, hatte die Frau eine bewegte Vergangenheit.

      Sie war ungefähr vierzig Jahre alt und lebte in einem großen Haus zusammen mit zehn Hunden. Sie kam fast täglich in die Praxis mit einem der Viecher. Irgendwas war ja immer: Entwurmung, Tollwutspritze oder Durchfall.

      Frau Keipke, Ralfs Mitarbeiterin, hatte sie „Hundemutter“ getauft, weil sie die Tiere wie Kinder behandelte. Zwei Ehemänner hatte sie schon unter die Erde gebracht, die allerdings sehr viel älter als sie gewesen waren. Graf von Bredenbrick, dessen Namen sie trug, war an einem Zuckerschock gestorben. Irgendwie hatte der Notarzt es nicht rechtzeitig zu ihm geschafft. Ihr zweiter Gatte, Ulli Höffer, ein hiesiger Bauunternehmer, war eines Tages aus ungeklärter Ursache vom Gerüst gestürzt. Die Dame hatte nun Geld genug und brauchte nicht zu arbeiten.

      Nora beobachtete amüsiert, wie sie mehrfach versuchte, die Heckklappe ihres Jeeps


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