Auszeit. Gaby Trippen
Vater nicht in die väterlichen Fußstapfen getreten, um es mal ganz krass zu formulieren, aus ihm ist nicht wirklich etwas geworden. Der Kontakt zu den Eltern ist im Lauf der Jahre immer spärlicher geworden, Vater und Sohn waren zu verschieden, als dass sie sich viel zu sagen gehabt hätten.
Für Richards Ausbildung und sein Studium kam, wann immer es nötig war, die Großmutter auf. Während des Grundwehrdienstes und der Banklehre verdiente er ja nicht viel, und als Student sah es auch nicht besser aus. Zumal er sich voll aufs Lernen konzentrierte und nicht, wie viele seiner Kommilitonen, nebenbei jobbte, um die Kasse aufzubessern.
Dass Richard der Großmutter nicht allzu sehr auf der Tasche liegen musste und ihr auch später nie sonderlich viel Dankbarkeit zollen musste, lag an der weisen Voraussicht seines Großvaters. Dieser hatte nämlich alle Geldgeschenke zu Geburtstagen, Weihnachten, Kommunion und ähnlichen Gelegenheiten immer schön auf die Bank gebracht und dort gewinnbringend angelegt. Dadurch hatte Richard zu seinem 18. Geburtstag ein recht nettes Sümmchen zur Verfügung, davon konnten wir uns das erste Auto und eine kleine Wohnung leisten, und es blieb auch noch ein bisschen was zum Leben übrig.
Sie war dünkelhaft und hartherzig, diese Matriarchin, das muss man so sagen und das unterschreibe ich auch heute noch, nach so vielen Jahren. Den geringen Betrag, den sie monatlich zu unserem Lebensunterhalt beisteuerte, mussten wir uns redlich verdienen. Sie ließ uns antreten, wann immer es sie danach verlangte, wir kutschierten sie zu allen möglichen Gelegenheiten durch die Gegend, standen für sie stramm, wenn für die illustre Damenrunde Kuchen gekauft werden musste - natürlich ausschließlich Erdbeertorte vom angesagtesten Konditor der Stadt - wir hüteten ihre Wohnung und gossen die Blumen, wenn sie im Urlaub war, nur um dann zuschauen zu dürfen, wie sie das Silber nachzählte, um sicherzugehen, dass wir uns nicht daran bereichert hatten, und vieles mehr.
Unzählige Male nervte sie uns mit der späteren Verteilung ihrer Habseligkeiten auf die nähere und weitere Verwandtschaft, wer gerade hoch in ihrer Gunst stand, wurde entsprechend bedacht. In einer kurzen und einmaligen Phase der „innigen Vertrautheit“ zwischen uns bekam ich die Aufgabe, ihr Hab und Gut zu katalogisieren. Viele Nachmittage brachte ich damit zu, jedes einzelne Porzellanstück, Vasen, Silber, aber auch die zum Teil defekten Unterhosen ihres Verblichenen akribisch aufzulisten, hierzu sollten die durch das gerade frisch bestandene Abitur unter Beweis gestellten intellektuellen Fähigkeiten der künftigen Schwiegerenkelin ja wohl ausreichen. Was später aus dieser Liste geworden ist, weiß ich nicht, da Richard und ich zum Zeitpunkt ihres Todes nicht mehr zu ihren Günstlingen zählten, gingen diese und andere materielle Segnungen an uns vorüber.
Der Bruch kam an einem Silvesternachmittag, sie hatte die Feiertage in ihrem Stammdomizil im Schwarzwald verbracht und wollte eigentlich erst Anfang Januar zurückkommen. Aus irgendwelchen Gründen hatte sie sich aber mit der Hoteliersfamilie derart überworfen, dass man ihr die umgehende Abreise nahelegte, und so stand sie völlig außerplanmäßig am späten Silvesternachmittag bei uns auf der Matte. Zu ihrem Sohn und der Schwiegertochter wollte sie nicht gehen, auf die war sie zu der Zeit auch gerade mal wieder böse, und in ihre leere Wohnung, dazu noch ohne Lebensmittel, wollte sie auch nicht. Es war dann Richards und meine Sache, so lange bei ihren diversen Verwandten und Freundinnen herumzutelefonieren, bis wir ein Ehepaar fanden, das sich bereiterklärte, die alte Dame bis zum Neujahrstag bei sich aufzunehmen.
Wir holten sie also am Spätnachmittag vom Bahnhof ab und fuhren sie samt ihren Koffern zu Onkel Adi, Tante Else und Cockerspaniel Bruno, Gott hab alle drei selig mittlerweile. Wie sich herausstellte, wollte sie dort aber auch nicht lange bleiben, sie gab uns explizite Anweisungen: „Und morgen früh um acht Uhr holt ihr mich dann wieder ab und bringt mich in meine Wohnung.“ Punktum. Ohne Wenn und Aber, und schon gar nicht verbunden mit einem „Bitte“. Und da explodierte Richard. Normalerweise ist er ja eher ruhig, es braucht schon einige Zeit, um ihn so richtig in Rage zu bringen, wobei es zwei Varianten seiner Unmutsäußerungen gibt, vor denen man sich hüten sollte: zum einen, wenn er richtig laut wird und schreit, und zum anderen, wenn er ganz ruhig wird, aber nach außen hin völlig beherrscht auftritt, obwohl es in seinem Innern brodelt. An jenem Nachmittag trat Variante zwei in Kraft: Er war schneeweiß im Gesicht, hielt den Wagen an und sagte sehr leise, aber mit umso mehr Betonung: „Das reicht! Es ist Silvesterabend, Andrea und ich sind eingeladen und werden erst frühmorgens nach Hause kommen. Wie kommst du dazu, von uns zu verlangen, dass wir um acht Uhr früh auf der Matte stehen, um dich zu kutschieren, du kannst dir genauso gut ein Taxi nehmen. Wir können dich von mir aus morgen Mittag oder Nachmittag, wenn wir ausgeschlafen sind, abholen, aber ganz sicher nicht morgen früh!“
Es half nichts, sie bestand auf acht Uhr morgens. Und da legte Richard ihr nach wie vor in diesem gefährlich ruhigen Ton nahe, doch bitte künftig ihr Leben allein zu leben und uns in Ruhe zu lassen. „Wenn es dir schlecht geht und du bist wirklich in Not, kannst du uns gerne anrufen, aber ansonsten verschwinde bitte aus unserem Leben.“
Für Außenstehende mag sich diese Situation gar nicht so schlimm anhören, aber sie war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wir waren jung, gesund, hatten das ganze Leben mit all seinen Möglichkeiten noch vor uns, wir waren beide nicht wirklich materialistisch eingestellt, so verlockend konnte die Aussicht auf ein späteres Erbe gar nicht sein, als dass wir uns weiterhin so sehr gängeln und schikanieren lassen wollten.
Es kam, wie wir uns gedacht hatten: Von Stund an blieben die monatlichen Zuwendungen aus, es gab in den Jahren bis zu ihrem Tod vielleicht noch zwei oder drei belanglose Telefonate, das letzte Mal, als Richard sein Examen bestanden hatte und sofort im Anschluss eine Stelle in einer alteingesessenen und renommierten Kölner Unternehmensberatung bekam.
Als sie starb, war Richard nicht wirklich betroffen. Er nahm es hin, wie es war, sie hatte ihren Platz in seinem Leben regelrecht verwirkt. Ich hatte mir so manchmal Sorgen gemacht, dass er es bedauern würde, sich vor ihrem Tod nicht mit ihr versöhnt zu haben, aber diese Bedenken waren grundlos. Wer einmal weg ist, der ist weg aus dem Leben des Richard Häussler.
Oh je, welch blöde und beängstigende Assoziation ist mir denn da wieder gelungen? Denselben kalten und ruhigen Ton, in dem er seiner Großmutter die Verwandtschaft aufgekündigt hatte, hat er gestern Abend auch mir gegenüber angeschlagen. Als er mir die Liebe aufkündigte.
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