Auszeit. Gaby Trippen

Auszeit - Gaby Trippen


Скачать книгу

      Ich muss kurz an Sven denken. Aber komisch, da ist nichts mehr. Der Reiz, das Kribbeln, da ist mittlerweile überhaupt nichts mehr. All das, was ich mit dem Gedanken an ihn verbunden habe, ist wie weggeblasen. Es fühlt sich schal an. Wie etwas völlig Nebensächliches angesichts dieses immensen Kraters, der sich gerade vor mir auftut. Vielleicht geht es mir wie einem Unfallopfer, dem beide Beine abgetrennt wurden. Das Bewusstsein registriert noch keinen Schmerz, begreift auch noch nicht die Tragweite dessen, was vorgefallen ist, hat aber schon wahrgenommen, dass da etwas ganz Schlimmes, Fürchterliches passiert ist, etwas, dessen Konsequenzen es jetzt noch gar nicht absehen kann. Neben dieser Erkenntnis verblasst alles andere.

      Ich habe einen ganz trockenen Hals, kein Wunder, seit Stunden habe ich nichts getrunken. Gegessen schon gar nichts. Mit einem Glas Apfelschorle gehe ich zurück ins Wohnzimmer. Der Fernseher läuft immer noch, ein Krimi, ein Spielfilm oder ein Thriller, keine Ahnung. So spät schauen wir nur sehr selten Fernsehen, meistens sitzt Richard vor seinem Computer und ich liege mit einem Buch im Bett. In den letzten Monaten ist er allerdings nur noch selten so spät ins Bett gekommen, meistens sind wir aneinandergekuschelt eingeschlafen, sehr oft angenehm entspannt und zufrieden nach gewissen wiederentdeckten Aktivitäten im ehelichen Schlafzimmer.

      Ob ich wohl doch mal ins Bett gehe? Sollte Richard morgen zum Frühstück wieder hier sein, wäre es gut, wenn ich nicht total übernächtigt und verquollen aussehe.

      Knapp zehn Minuten später bin ich ausgezogen und bettfertig. Normalerweise trage ich nachts nur einen Slip, nur, wenn ich mal allein nächtigen muss, ziehe ich ein T-Shirt an. Nachthemden besitze ich gar nicht, schon lange nicht mehr. „Kind, was ist, wenn du mal ins Krankenhaus musst, dann hast du nichts anzuziehen!“ Ich höre noch meine Mutter, die nicht nur aus Sauberkeitsgründen darauf achtete, dass ich immer ordentliche Unterwäsche und Strümpfe anhatte, sondern sehr stark auch für den Fall, dass ich mal einen Unfall haben könnte und ins Krankenhaus müsste. „Stell dir vor, du hast dann einen ausgeleierten Slip an oder ein Loch im Socken!“ Aber heute besitze ich kein Nachthemd mehr. Das T-Shirt trage ich auch nur für den Fall, dass ein Einbrecher kommt, der soll mich ja nicht gleich nackt sehen, wer weiß, auf welche Gedanken ihn das bringen könnte. Komisch, dass mir das egal ist, wenn Richard neben mir liegt. Er schläft übrigens auch nackt, sommers wie winters.

      Was er wohl jetzt anhat, oder vielleicht gar nichts? Wo mag er wohl sein, jetzt, in diesem Moment? Ob ich noch mal auf seinem Handy...? Fünf Stunden ist er jetzt schon weg, langsam kann es doch mal gut sein mit dem Ehefrau-Verlassen-Spiel, oder? Jeder Spaß hat mal ein Ende. Aufwachen, Andrea, das ist kein Spaß!

      Jetzt kommt die absolute Gewissensfrage: Soll ich die Schlafzimmertür auflassen oder nicht? Die offene Tür bedeutet nämlich sofortige Beschlagnahme des Bettes durch die Mäuse. Eigentlich haben die Mäuse nachts striktes Schlafzimmerverbot. Es reicht schon, dass sie tagsüber auf der Tagesdecke liegen, das heißt, hauptsächlich Fräulein Meier liegt dort, und pocht auch auf ihr Recht als die Dienstälteste in diesem Hause. Herr Schröder hopst ab und an auch mal aufs Bett, bleibt dort aber nie lange liegen, entweder es ist ihm zu langweilig, oder, und das kommt häufiger vor, Fräulein Meier erklärt ihm, dass das hier einzig und allein ihr Reich ist.

      Ganz zu Anfang, als Herr Schröder noch ein Hundebaby war, hat sie ihn geduldet neben sich auf dem Bett. Da kam er noch gar nicht allein hoch, sondern wurde von Richard oder mir wie ein Menschenbaby herumgetragen und halt manchmal auch ins Bett gelegt, weil er ja „soooo süß“ war.

      Wenn wir morgens die Schlafzimmertür aufmachen, kommen sie einträchtig aus dem „Mäusequartier“ gelaufen, meist genau zeitgleich und nebeneinander durch die Tür, das klappt nicht immer ohne Rempelei. Das Mäusequartier, das ist Richards Arbeitszimmer, da steht eine Couchgarnitur mit einem Glastisch, ursprünglich einmal die Einrichtung seines früheren Chefbüros von vor einigen Jahren, als die Unternehmensberatung Häussler noch nicht in dem vornehmen Innenstadtbüro residierte, sondern etwas bescheidener in einem Gewerbegebiet am Stadtrand. Sofa und Sessel haben nun die Mäuse mit Beschlag belegt, Fräulein Meier als die Größere schläft auf dem Sofa, und Herr Schröder kringelt sich gemütlich auf dem Sessel zusammen. Als Herr Schröder noch ein Baby war, hatten wir Angst, dass er sich nachts langweilt und eines der zahlreichen Stromkabel anknabbert und auf diese Weise sein junges Leben aushaucht, aber toi toi toi, bis heute ist nichts passiert.

      Früher hat Fräulein Meier nachts zwischen uns im Bett geschlafen. Bis auf Richard, der es hinnahm, aber nicht eben begeistert war, fanden wir das alle toll. Ihr weiches Fell, ihre Wärme, manchmal schnarcht sie, meistens aber schnurrt sie vor Wohlbehagen, wie eine Katze, ihr gefiel es und ich bin ja eh immer froh, wenn ich all meine Lieben nachts warm und sicher um mich herum weiß. Das ist mein Gluckentum, ansonsten vielleicht nicht so stark ausgeprägt wie bei anderen Frauen.

      Ziemlich genau vor einem Jahr haben wir dann Fräulein Meier nachts aus dem Schlafzimmer verbannt. Erst wusste sie überhaupt nicht, wie ihr geschah, aber schon nach wenigen Nächten spazierte sie von selbst rüber ins Arbeitszimmer, wenn wir Anstalten machten, ins Bett zu gehen. Letztendlich glaube ich, dass sie gar nicht so böse darüber war, denn in den letzten Jahren ist sie zunehmend gereizter geworden da zwischen uns im Bett. Wenn sich mal einer von uns nachts rührte und sie dabei versehentlich anstieß und aus dem Tiefschlaf riss, gab’s erst unwilliges, zuletzt aber schon richtig böses Geknurre, und manchmal hat sie dann auch geschnappt, nicht böse, das auf keinen Fall, Fräulein Meier ist eine Seele von Hund, eben aus Schreckhaftigkeit. Zum Glück hat sie bis jetzt keinen von uns erwischt, aber ich denke, auch das wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Und als dann Herr Schröder kam, war sowieso klar, dass das Schlafzimmer nachts den zweibeinigen Hausbewohnern vorbehalten war.

      Richard steht am Wochenende meist so gegen acht Uhr spätestens auf und geht an seinen Computer. Mails lesen, eBay-Auktionen verfolgen, Fernschach spielen, und macht, was weiß ich noch alles. Das ist für die Mäuse, vor allem für Herrn Schröder, aber schon viel zu spät, wenn wir wochentags um halb sieben aufstehen, schläft er meistens noch, aber irgendwann zwischen halb acht und acht Uhr spätestens steht er bei uns vor der Tür. „Quietsch quengel, quengel, quietsch“, hört man dann. Das heißt: „Ich bin wach und möchte beschäftigt werden.“ Meistens macht Richard die Schlafzimmertür gleich wieder hinter sich zu, damit ich weiterschlafen kann, aber manchmal ist er nicht schnell genug und dann wird volle Attacke geritten: Beide Hunde stürzen sich auf mich, so dass ich gar nicht schnell genug die Decke fest um mich herum stopfen kann, denn Hundekrallen auf nackter Haut muss man nicht wirklich haben. Fräulein Meier stupst mich sanft an, gibt zärtliche, aber zahlreiche und sehr feuchte Küsschen, Herr Schröder springt mit allen Vieren gleichzeitig aufs Bett und zwickt und kneift mich überall, wo er mich kriegen kann. Entweder jage ich die beiden dann noch mal raus oder ich gebe mich geschlagen und stehe auf. Dann ist das Bett ja wieder ihr Reich…

      Heute Nacht ist mir ganz sicher nicht nach Toben zumute, wohl aber nach Kuscheln und Richard sieht’s ja nicht… Wenn er morgen früh wieder da sein sollte, höre ich ja sein Auto und kann immer noch schnell genug die Mäuse aus dem Bett werfen, also warum nicht?

      Vor vielen Jahren hatten wir einen Kompagnon in der Firma, eine ganz kuriose Figur war das. Der hatte sich, nachdem wir den Vorgänger von Fräulein Meier bekommen hatten, auch einen Hund anschaffen müssen, obwohl das bei seinem unsteten Junggesellenleben absoluter Blödsinn war. Ende vom Lied war jedenfalls, dass ich auch auf diesen Hund aufpasste, eine ganz liebe Hündin war es übrigens, ein Schäferhund-Irgendwas-Mix, aber auf den Namen komme ich absolut nicht mehr. Schon länger nicht mehr, aber heute Nacht ganz sicher nicht. Wann immer tagsüber Geschäftstermine anstanden, zu denen er die Hündin nicht mitnehmen konnte, blieb sie bei mir im Büro, und wenn Richard und er über Nacht wegblieben, nahm ich halt beide Hunde mit nach Hause. „Aber untersteh dich und lass diese Töle auch noch in unser Bett!“, waren Richards mahnende Worte Was sollte ich denn machen? Das Bett war so groß und die beiden, unser Bazi und dieses liebe Schäferhundmädchen haben sich so süß aneinandergekuschelt, oder mich in die Mitte genommen, und so war ich dann auch nicht so ganz alleine.

      Das Nächste, was ich wahrnehme, ist eine Bewegung am Bett: Fräulein Meier krabbelt auf Richards Seite hinein und rollt sich gemütlich zusammen. Mein Blick fällt auf die Uhr auf seinem Nachttisch: 2:48. Da muss ich doch kurz eingenickt


Скачать книгу