Auszeit. Gaby Trippen

Auszeit - Gaby Trippen


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deshalb, weil er ein Mann ist. Gitta, seine Frau, könnten wir aufnehmen, sie hat sich aber bislang noch nicht wirklich darum bemüht, die beiden gehen auch abwechselnd und teilweise zu anderen Zeiten als wir. Die anderen haben schon mal behauptet, Rolf baggere mich an, flirte mit mir, obwohl ich doch morgens völlig ungestylt und je nach Wetter auch ziemlich dreckig daherkomme. Es soll Leute geben, die mich nicht erkennen, wenn sie mich nur morgens im Feld sehen und mich dann mal tagsüber im Business-Outfit treffen. Ich bin natürlich geschmeichelt, gehe auf seinen Ton auch manchmal ein, aber er ist nicht mehr als ein netter Kerl für mich, der absolut nicht in mein Beuteschema passt. Das sieht Richard leider nicht so.

      Aber um Rolf ging es gar nicht heute. Eigentlich ging es um gar nichts Bestimmtes, außer um Manuelas neueste Eroberung und die Tatsache, dass wir ab nächsten Monat mit Herrn Schröder nicht mehr in die Welpenspielstunde kommen können, weil er dann ein Jahr alt ist, und somit sonntags mal wieder Zeit für ein ausgedehntes Frühstück haben könnten. Ja, und dann trafen wir den netten alten Herrn von der Ecke mit seiner uralten Dackeldame, die sich vor lauter Rheuma und Arthrose kaum noch bewegen kann, und sind mit ihm zusammen noch ein Stück gegangen.

      Eigentlich hätten bei mir schon die Alarmsirenen schrillen sollen, so still wie Richard war. Gab nur knappe Antworten und Kommentare, sprach auch nur das Nötigste mit dem älteren Herrn und schimpfte auch nur in Maßen mit Herrn Schröder, als der den Rest von dem toten Kaninchen aus dem Feld schleppte. Normalerweise ist er sehr gesprächig auf unseren Spaziergängen, manchmal mehr, als mir lieb ist, wenn ich einfach nur die Stille und die Natur genießen und den Hunden zuschauen möchte. Irgendwie habe ich das aber wohl ignoriert, war zu eingebunden in meine eigene Welt, blieb auf meiner Insel, statt auf seine rüberzuspringen, so haben wir das kürzlich in der Weiterbildung zum psychologischen Berater gelernt.

      Zuhause schloss er die Tür auf und ging gleich durch in sein Arbeitszimmer. Ich reinigte acht Hundepfoten und fing an, den Salat fürs Abendessen vorzubereiten. Das ist das letzte Normale, an das ich mich erinnere. Was danach kam, das blendet mein Verstand zurzeit noch aus.

      Aber immerhin bin ich jetzt wieder in der Lage, mich zu bewegen. Eskortiert von den Hunden schaffe ich es irgendwie, steifbeinig und wie in Trance, in die Küche zu gehen. Ich fülle die beiden Näpfe mit dem jeweiligen Futter, Fräulein Meier bekommt noch ihre Tabletten gegen Osteoporose dazu, sie ist irgendwo zwischen dreizehn und vierzehn Jahre alt, genau wissen wir es nicht, weil sie aus dem Tierheim kommt. Wir haben sie seit über zehn Jahren, unsere meistens absolut liebe und verträgliche Deutsch-Kurzhaar-Jagdhündin. Ihren Namen hatte sie schon, als wir sie bekamen, ob ihre Vorbesitzer sie so genannt haben oder erst die Leute im Tierheim, wissen wir nicht. Aber da sie nun einmal darauf hörte und wir ihn auch ganz witzig fanden, haben wir ihn beibehalten und Herrn Schröder dann analog einen ähnlichen Namen verpasst.

      Dem geht das alles mal wieder viel zu langsam. Er fiept und hopst um mich herum, als ich die Tabletten aus der Verpackung drücke und möglichst unauffällig unters Futter mische, damit die Dame sie auch wirklich frisst und nicht aussortiert, nach dem Motto, „Du, Frauchen, das gehört da nicht rein, hab ich liegengelassen, war doch in Ordnung so?“

      Wenn ihr Napf fertig ist, kommt seiner an die Reihe. Dann werden beide auf den Boden gestellt, jeder in eine Ecke, ihrer zuerst, dann seiner. So ist die festgelegte Reihenfolge, so muss es sein, dann gibt es in der Regel auch keine Kampfhandlungen.

      Im Großen und Ganzen verstehen sich die beiden nämlich sehr gut, Fräulein Meier hat den kleinen Dalmatinerrüden zwar nicht unbedingt als Sohn angenommen, als wir ihn mit neun Wochen bekamen, sieht ihn aber doch mittlerweile als liebenswerten und nur manchmal etwas nervigen Familienzuwachs an. Ärger gibt es nur, wenn es ums Essen geht, da müssen wir nach wie vor aufpassen. Deshalb muss die Rangordnung auch ganz strikt eingehalten werden: Erst bekommt sie ihr Futter, danach er. Stehen die beiden Näpfe zu dicht beieinander, fühlt sie sich bedroht und knurrt, und ich würde auch nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sie nicht zuschnappen würde. Seit ein paar Tagen hat sie aber eine neue Angewohnheit: Wenn sie ihre Portion etwa zur Hälfte aufgefressen hat, geht sie mit gefletschten Zähnen auf ihn und seinen Napf los, er nimmt daraufhin sicherheitshalber Reißaus und überlässt ihr den Rest seiner Mahlzeit. Das geht natürlich gar nicht, und so steht zurzeit immer eine „Autoritätsperson“ zwischen den beiden Näpfen und überwacht das Essensritual. Wenn beide fertig sind, ist der Friede sofort wiederhergestellt und wird meistens durch eine intensive Schmuseeinheit besiegelt. Wenn es doch bei uns Menschen auch so einfach wäre…

      Nebenan im Wohnzimmer hat der Freitagskrimi mittlerweile angefangen, ich muss wohl völlig unbewusst auf das Zweite Programm geschaltet haben. Normalerweise säßen wir jetzt vor dem Fernseher, jeder sein Tablett auf dem Schoß beziehungsweis neben sich auf dem Beistelltisch, ich koche meist so, dass wir gemütlich vor dem Bildschirm essen können, das Esszimmer wird bei uns nur selten, meist wenn Besuch da ist, benutzt. So hätte es auch heute Abend sein sollen, noch vor einer Stunde deutete für mich nichts darauf hin, dass nur wenig später diese normale Welt so vollständig aus den Fugen geraten sein würde. Jetzt stehe ich allein hier und starre auf den Fernseher, sehe die Gestalten, ohne dass wirklich etwas davon in mein Bewusstsein dringt. Ähnlich wie in dem edel eingerichteten Anwaltsbüro auf dem Bildschirm, mit dem vielen Glas, den vielen Fenstern, sieht es auch in unserem Büro in der Innenstadt aus. Nicht ganz so vornehm, aber doch sehr repräsentativ, weil wir auch oft Kunden dort empfangen, in unserer Unternehmensberatung, die sich aus einem Anderthalb-Mann-Unternehmen zu einer renommierten Firma entwickelt hat, in den letzten zwanzig Jahren. Ob er wohl dorthin gefahren ist? Auf dem Sofa in seinem Büro könnte er zur Not schlafen, für ein Nickerchen zwischendurch hat er es schon öfter genutzt. Und vielleicht auch für andere Dinge „zwischendurch“.

      Soll ich dort anrufen? Die Zentralnummer zu wählen, macht wenig Sinn, dort höre ich nur meine eigene Ansage auf dem Anrufbeantworter. Die eigene Stimme am Telefon zu hören, klingt immer komisch, finde ich. Ich weiß noch, als ich den Text aufgesprochen habe, beim Üben, als das Gerät noch ausgeschaltet war, ging es wunderbar, aber in dem Moment als die Aufnahme lief, fand ich das alles nur noch lustig und hatte einen Lachanfall nach dem anderen. Erst mithilfe intensivster Gedanken an das Finanzamt - das half bisher bei mir immer - gelang es uns, eine halbwegs seriös und professionell klingende Ansage hinzubekommen: „Guten Tag, lieber Anrufer! Sie sind mit der Unternehmensberatung Häussler in Leverkusen verbunden. Unser Büro ist montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr besetzt, das heißt aber nicht, dass wir nicht auch später noch für Sie da sind. Bitte hinterlassen Sie uns nach dem Piepton eine Nachricht mit Ihrer Telefonnummer, und wir melden uns umgehend bei Ihnen. Vielen Dank!“

      Richards persönliche Durchwahl kennen nur die besten Kunden, die, für die er wirklich „rund um die Uhr“ zur Verfügung steht, für die wir schon so viele Urlaube verschoben oder ganz abgesagt haben. Dann natürlich die Mitarbeiter und ja, wer noch? So genau weiß ich das gar nicht und vielleicht möchte ich es auch lieber gar nicht wissen.

      Wie lange ist er jetzt eigentlich schon weg? Eine halbe Stunde vielleicht, vierzig Minuten. Wenn, dann sollte er inzwischen im Büro angekommen sein. Soll ich? Dort oder auf seinem Handy? Aber nein, es würde nicht zu ihm passen, dass er rangeht, schließlich sieht er unsere Privatnummer auf dem Display, und er ist nicht der Typ für Diskussionen am Telefon. Ich könnte auf meinem Handy die Funktion zur Rufnummernunterdrückung suchen, aber irgendwie ist mir das zu albern. Ich probiere es. Das Ergebnis ist wie erwartet: Seine Durchwahl im Büro ist auf sein Handy weitergeleitet und da läuft die Mailboxansage. Ohne die Möglichkeit, eine Nachricht aufzusprechen. Seltsam, wann hat er das denn geändert? Wie oft hab ich ihm dort schon etwas hinterlassen, wenn ich ihn nicht gleich erreicht habe. Lange Zeit habe ich mir nichts dabei gedacht, wenn er nicht an sein Handy ging. Ein anderer zeitgleicher Anruf, ein Funkloch, Gespräch mit einem Kunden oder Mitarbeiter, was auch immer. Bei mir ist es ja auch so. Mein Vater zum Beispiel hat die wundersame Angewohnheit, immer kurz vor Richard anzurufen, so dass ich den zweiten Anruf nicht schnell genug entgegennehmen kann. Und wie oft ist es wirklich vertrackt: Stundenlang ruft überhaupt niemand an und dann gleich mehrere Leute gleichzeitig. Als wenn sie sich abgesprochen hätten.

      Nun stehe ich da, immer noch mitten im Wohnzimmer, und starre abwechselnd auf das Telefon und den Fernseher. Lessing und Matula haben den Fall gelöst und gehen zusammen etwas trinken, und irgendwie habe


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