Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried Zurbrügg

Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug - Gottfried Zurbrügg


Скачать книгу
sich wieder auf sicherem Boden. „Wir haben bei Arabidopsis ein Todesgen festgestellt. Beziehungsweise, Frau Neidhardt vermutet es. Als sie hier war, hat sie mir genau erklärt, was sie sucht. Wenn sie es gefunden hat, möchte sie das Gen auf Baumwolle übertragen und so die gefährlichen Spritzmittel überflüssig machen.“

      „Das ist ihre Forschung“, stellte Dagmar fest. „Was ist deine?“

      „Meine?“, fragte Scherrer. „Meine Aufgabe ist es, die Mittel dafür durch Sponsoren bereitzustellen.“

      „Es geht um dich“, sagte Dagmar. „Um dich und uns! Ist der Husten so schlimm? Hast du Angst, dass mehr dahinter steckt?“

      Scherrer sah sie unsicher an. „Ich gehe nicht gern zum Arzt“, gestand er.

      „Welcher Mann kann damit schon umgehen?“, fragte Dagmar. „Konsultierst du einen Spezialisten?“

      „Zunächst Robert in Remchingen.“

      „Ich kenne ihn“, sagte Dagmar. „Er ist seit Jahren mein Hausarzt.“

      „Dein Hausarzt?“, fragte Scherrer, und plötzlich klang Besorgnis in seiner Stimme.

      Dagmar lachte. „Nein, mir fehlt nichts. Jetzt nicht. Aber hin und wieder braucht man auch einen Arzt und sei es nur zu Vorsorgeuntersuchungen. Viele Dinge erkennt man nicht selber, auch wenn man sich gut beobachtet.“

      „Du meinst das Tonband?“, fragte Scherrer und ärgerte sich über seine heisere Stimme.

      „Das ist deine Sache“, antwortete Dagmar und trank einen Schluck Kaffee. „Hast du Zeit?“

      „Ich habe Zeit“, antwortete Scherrer. „Danke für das offene Gespräch. Wir haben seit Jahren nicht mehr so miteinander gesprochen.“

      „Leider“, sagte Dagmar. „Ich möchte nur wissen, wie es weitergeht.“

      Scherrer stand auf und trat hinter sie. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und sagte. „Dagmar, ich weiß es wirklich nicht.“

      „Das Todesgen interessiert dich nicht nur wegen der Arabidopsis, richtig?“, fragte Dagmar.

      „Ja“, bestätigte Scherrer.

      „Du hast die Ägyptologie auch betrieben, weil dich das Problem der Unsterblichkeit reizt?“, fragte sie weiter.

      „Ja, Überlegungen dazu beschäftigen mich seit vielen Jahren. Weniger die Suche nach der Unsterblichkeit, auch nicht die Frage nach einem Leben nach dem Tode. Ich möchte die Uhr anhalten können, die alles Leben vorantreibt!“, sagte Scherrer.

      „Und dann?“, fragte Dagmar. „Dann ist Zeit nicht mehr, Vergänglichkeit nicht mehr. Dann gibt es auch keine Bewegung und kein Leben. Was ist dann?“

      „Das fragte sie mich gestern auch“, sagte Scherrer.

      „Wer?“, erkundigte sich Dagmar. „Die Kleine aus der Redaktion?“

      Scherrer zuckte zusammen. Sie wusste also Bescheid. „Nein, eine ägyptische Göttin im Traum“, erklärte er. „Es war ein eigenartiger Traum zwischen Wachen und tiefem Schlaf.“

      „Ihr arbeitet in einem Grenzgebiet“, mahnte Dagmar, „da verschwimmen die Grenzen zwischen Forschung und Mystik. Ihr habt euch weit vorgewagt.“

      „Aber es geht doch nur um unsere Forschung“, meinte Scherrer, ließ sie los und ging zu seinem Platz zurück. Er setzte sich, nahm einen Toast und bestrich ihn mit Butter.

      „Nein, Edwin!“, erwiderte Dagmar ernst. „Und das weißt du auch. Dir geht es um Leben und Tod, um Zeit und Ewigkeit. Wirst du mir Bescheid geben, wenn du gefunden hast, was du suchst?“

      „Wie meinst du das?“, fragte Scherrer und ließ das Messer sinken, mit dem er gerade seinen Tost bestrich.

      „Du weißt, was ich meine“, sagte Dagmar. „Wir haben keine Kinder. Wir beide sind ganz allein. Ich möchte nur wissen, wann du mich verlässt.“

      „Ich suche nur einen Arzt auf“, sagte Scherrer und legte Messer und Toast zur Seite.

      „Du hast Post aus Ägypten“, wechselte Dagmar das Thema und wies auf einen Brief, der neben seinem Teller lag.

      Scherrer nahm den Brief und öffnete ihn. Interessiert las er ihn durch. „Eine Einladung zu einer besonderen Ausstellung. Das Grab eines ägyptischen Heilers wurde gefunden. Man lädt mich zur Öffnung des Grabes ein. Nubi sprach bereits am Telefon mit mir darüber.“

      „Es beginnt“, sagte Dagmar.

      „Was beginnt?“

      „Ihr seid dabei, Türen zu öffnen, die besser geschlossen blieben. Irgendwie sind wir beide in das Geschehen mit einbezogen. Aber ich weiß nicht wie und warum. Gestern habe ich in deinem Arbeitszimmer auf dich gewartet.“

      „Entschuldige, dass ich dich warten ließ“, bat Scherrer und trank einen Schluck Kaffee. „Ich habe den Rauch deiner Zigarette gerochen.“ Er verschwieg, dass er vom Garten aus gesehen hatte, wie lange sie gewartet hatte.

      Dagmar lächelte ihn an. „Als ich gestern auf dich wartete, hatte ich das Gefühl, nicht die Einzige zu sein. Auch andere tun das. Es wundert mich nicht, dass du gerade jetzt nach Ägypten eingeladen wurdest. Wirst du fliegen?“

      „Ich will das Ergebnis des Arztbesuches abwarten“, antwortete Scherrer.

      Schweigend aßen beide ihren Toast und vermieden es dabei, sich anzusehen.

      „Du wirst fliegen“, unterbrach Dagmar das Schweigen und fügte hinzu: „Ich weiß es.“

      Sybille wachte erst auf, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Aber wo war sie? Wie war sie in ihr Schlafzimmer gekommen? Was war geschehen? Sie lag in ihrem Bett, sorgfältig zugedeckt.

      Sie sprang aus dem Bett. „Bin ich das?“, fragte sie sich unwillkürlich, als der große Spiegel an der Wand eine schöne, junge, unbekleidete Frau zeigte. Es hat sich nichts verändert und ich weiß nicht, was geschehen ist. Hatte sie ihn geliebt? War sie gut im Bett? Wie war er nun als Liebhaber? Sie wollte ihn doch auf die Probe stellen. Er sollte zeigen, wer er war, wenn er sich auf ein Bettabenteuer einlassen wollte. Aber er hatte genossen, sich entzogen und die Fäden in der Hand behalten. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass sie ihn geküsst hatte, aber dann … Dann war alles ein Traum, der ein wunderbares Gefühl hinterlassen hatte, aber nicht mehr.

      „Alle Achtung, Professor, du bist ein Meister“, sagte sie, „und du, Sybille, warst eingebildet genug, zu glauben, ihm gewachsen zu sein. Hoffentlich hast du ihm wenigstens gefallen.“

      Sie prüfte ihre Figur vor dem Spiegel. Am besten würde sie nichts essen. Das Telefon läutete. Sie nahm ab und hörte die Stimme ihres Chefs. „Frau Walter, wie weit sind Sie mit Scherrers Interview? Gab es neue Erkenntnisse, eventuell eine Sensation?“

      Sybille sah den Hörer an, als sei er eine giftige Schlange, und legte einfach auf. Dann ging sie unter die Dusche und als die warmen Wasserstrahlen an ihrem Körper hinunterrannen, fühlte sie eine zärtliche Berührung, aber nicht mehr, keine Einzelheiten … nur die zarte Berührung. Sie stellte die Dusche auf kalt und die Kälte rief sie in den Tag zurück. Rasch kleidete sie sich an und fuhr ins Büro.

      Dort erwartete man sie bereits. „Eben war ein Bote vom Institut hier. Sie haben Ihre Unterlagen liegen lassen“, sagte die Sekretärin und gab ihr einen dicken Briefumschlag.

      Beim Öffnen fiel ein kleiner Zettel heraus. „Vielen Dank für einen schönen Abend und eine einmalige Nacht!“ Keine Unterschrift, aber mit der Hand fein gestochen geschrieben. Natürlich war die Nacht einmalig. Es würde keine Wiederholung geben, das hatte sie von Anfang an gewusst. Es war auch nicht als Beziehung gemeint, und trotzdem tat es weh, das so zu lesen.

      Sie nahm die Blätter heraus. „Interview Professor Scherrer durch Sybille Walter“ stand in dicker Überschrift


Скачать книгу