Franz spricht. Elisabeth Hauer
auf einer Bank, den Kopf zurückgeworfen und schlenkerte mit den Beinen. Das tat er oft, und ich fragte ihn jedes Mal, was er dabei denke. Alles Mögliche, sagte er dann ohne mich anzusehen. Ich fand es lächerlich.
Erst als ich vor ihm stand, sah er auf. Wo sind deine Sachen, fragte ich. Welche, fragte er zurück. Die, die wir nicht haben sollen, antwortete ich. Die habe ich verschenkt, sagte er. An wen, fragte ich verblüfft. Franz, sagte er, als sei es selbstverständlich. Warum, fragte ich. Er ist mein Freund, sagte Paul. Aber der hat doch von diesen Sachen mehr als du, meinte ich. Jetzt hat er noch mehr, sagte Paul. Ich verstand ihn nicht. Und die Münze? fragte ich noch. Hättest du sie auch verschenkt? Klar, sagte Paul. Wieder an Franz? fragte ich. An wen sonst, sagte er.
Dieser Franz, dachte ich. Er nützt ihn aus. Er nützt meinen Bruder aus.
Er hätte ja auch mir alle diese Dinge geben können.
Ich will mich aber nicht schlecht machen. Kinder sind meistens Egoisten. Paul war vielleicht keiner. Paul war als Kind und später als Erwachsener nicht berechenbar. Niemals. Und nicht nur für mich. Ich muß jetzt abschweifen. Meine Enkelin Klara hat mich angerufen. Diese zarte Stimme am Telefon zu hören ist eine schöne Sache. Sie macht den Tag heller. Opa, sagte sie, wann kommst du uns besuchen. Wenn deine Mutter Zeit hat, antwortete ich. Aber ich habe immer Zeit, sagte sie. Das weiß ich, sagte ich, aber ihr müsst beide Zeit haben.
Kurze Stille. Ja, sagte sie dann. Die Mama ruft dich an. Gut, sagte ich und dachte vielleicht. Vielleicht.
Unlängst habe ich in den Sachen meiner Frau herumgestöbert. Viel ist nicht mehr da. Das meiste habe ich verschenkt, manches weggeworfen. Aber einige Kleider, die für mich eine besonders schöne Erinnerung bedeuten, habe ich aufgehoben. Ein Frühjahrskostüm – Kostüme sind heute lächerlich, ich weiß, ist aber schade – einen Bademantel, ein Nachthemd aus Seide, das sie immer mitnahm, wenn wir auf Urlaub fuhren, einen weißen Strohhut mit schwarzem Band. Den trug sie zur Hochzeit unserer Tochter. Sie verwendete stets ein bestimmtes Parfum, L’air du temps. Manchmal bilde ich mir ein, diesen Duft noch zu spüren.
Heute habe ich noch keinen Spaziergang gemacht. Ich müsste einmal die Richtung wechseln. Woanders hingehen. Ich frage mich aber wozu. Es geht um die Bewegung, die ich machen soll. Der Arzt verlangt es, meine Vernunft verlangt es. Vielleicht sollte ich versuchen, meine Vernunft auszuschalten. Ob das noch möglich ist. Wäre einen Versuch wert, aber nicht heute.
Ich sehe schon, ich schweife ab. Es soll nur ein Bericht werden, den ich schreibe, er soll von meinem Leben und von den Menschen, die es begleiteten, handeln. Ich müsste weiter über Paul berichten, der eine wichtige, nein, eine bedeutende Rolle für mich spielte. Er hat mein Leben stark beeinflusst. Auch durch seine Frau.
Es brennen zu viele Lichter in meiner Wohnung. Das ist nicht nötig. Ich werde sie ausschalten. Nur meine Bettlampe nicht, die brauche ich zum Lesen. Ich bin noch an Vielem interessiert. Was das betrifft, bin ich nicht nachlässig.
Meine Frau hat mich geliebt. Ich weiß es, sie hat mich geliebt.
Miriam fiel es in letzter Zeit immer schwerer, die Fragen ihrer Tochter zu beantworten. Warum habe ich keinen Papa, fragte Klara immer öfter. Seit sie den Kindergarten besuchte, wusste sie, dass die meisten Kinder einen Papa hatten. Du hast ja auch einen, sagte sie zu Miriam, ich weiß es, das ist der Opa. Die erste Antwort, die sie Klara gab, hielt nicht lang. Er sei auf Reisen, auf Reisen in sehr ferne Länder, hatte sie erklärt.
Wann kommt er zurück, hatte Klara gefragt. Noch lang nicht, hatte sie gesagt. Vor einigen Tagen hatte Klara gemeint, lang sei nun eigentlich vorbei. Die Antwort, es würde noch eine Weile dauern, hatte nicht die gewünschte Wirkung. Sie erkannte es an Klaras Blick. So geht es nicht weiter, dachte sie, nein, so geht es nicht weiter.
Seit Miriam dieser Anruf erreicht hatte, an jenem Abend, den sie nicht aus ihrer Erinnerung streichen konnte, dachte sie wieder öfter an ihren geschiedenen Mann. Die Scheidung lag nun zehn Jahre zurück. Schon bald nachher glaubte sie, sie hätte sich von ihm gelöst. Ganz gelöst, das wollte sie. So schien es auch zu sein, als sie Klaras Vater kennen lernte.
Es war eine stürmische Liebe, deren Ende sie voraussah. Als es dann kam, schneller als sie gedacht hatte, brach sie fast zusammen. Sie war schwanger.
Und allein in einer kleinen, ungemütlichen Wohnung. Der Freund war weg. Nicht mehr erreichbar. Zuerst sagte sie zu ihrem Vater, das Kind sei von ihrem geschiedenen Mann. Der Versuch einer Wiedervereinigung. Er glaubte ihr nicht. Sie gab es dann auf. Immer öfter sagte sie zu ihm vieles, was nicht stimmte. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass er mehr wusste, als sie dachte. Aber es war gut so. Für beide.
Ihre Ehe war in gegenseitigem Einverständnis gelöst worden. Auf Unterhaltszahlungen hatte sie verzichtet. Später tat es ihr leid. Als sie allein war, ging es. Als dann das Kind kam, konnten sie gerade durchkommen. Ihr Vater gab ihr monatlich einen kleinen Betrag mit der Auflage, dass sie aufschreiben sollte, wofür sie ihn ausgegeben hatte. Das schadete ihrer Beziehung. So nett er zu Klara war, so oft er ihr auch kleine Geschenke machte, dieses Verhalten konnte sie ihm nicht verzeihen.
Dass ihr Exmann tot war, hatte sie aus der Zeitung erfahren. Sie wusste, das Erbe würde ziemlich umfangreich sein. Fabrik, Immobilien, Geldwerte. Ich hätte damals anders handeln sollen, dachte sie.
Etwas hatte der Tod ihres Exmannes in ihr bewegt. Etwas, von dem sie noch nicht wusste, was es war. Vielleicht war es auch die Stimme dieser Frau am Telefon gewesen. Eine Stimme, kalt und überheblich.
Franz
spricht
Verstehen Sie, ich lebe gesund. Das ist nicht schwer für mich, denn schon in meiner Kindheit war es so. Gemüse aus dem Garten, selbst gebackenes Brot, viel Erdäpfel, wenig Fett, manchmal Obst, Fallobst, das ich selbst aufklaubte. Fleisch selten. Manchmal Wurst. Kennen Sie diese billige Wurst, stark geräuchert, allerdings mit viel Speck drin, die man mit einem Taschenmesser schneiden kann. Mein Vater hat sie manchmal zur Arbeit mitgenommen. Den letzten Zipf, wo kaum noch was drinnen war, haben wir Kinder gekriegt. Das war schon gut. Heute bekommt man diese Art Wurst kaum mehr. Aber ich weiß einen Marktstand, wo sie manchmal noch verkauft wird. Dort schau ich öfter vorbei. Aber sonst. Wie Sie sehen. Gesunde Nahrung. Also ich bin ja noch ziemlich tätig. Habe meine kleine Werkstatt unten im Kellerabteil. Wollen Sie die einmal besichtigen. Nichts Besonderes, aber vielleicht originell. Ich habe nämlich die verschiedensten Metallsägen, auch elektrische und einen Schweißapparat. Damit mache ich meine Arbeiten. Kleine Kunstwerke, wenn ich so sagen darf, alles aus Metall. Eine Burg habe ich bereits gebaut. Das Modell eines Autos. Mercedes. Und sonst Kleinigkeiten, Häuser, Ställe, Zäune, alles aus Metall. Man kann das, was man gelernt hat, eben nicht vergessen und macht es im Kleinen weiter. Was man später lernt, alles nichts. Auch wenn man dazu gezwungen wird, wie ich. Haben Sie den Peter wieder einmal gesehen. Ja, stimmt, Sie kennen ihn nicht, ich vergesse es immer wieder.
Die Abende sind lang, sehr lang. Dann kommen immer so dumme Gedanken. Krankwerden, niemanden haben, der einem hilft. Ja, so ist es halt. Kommen Sie doch einmal am Abend herauf. Wir könnten dann Kartenspielen. Schnapsen vielleicht.
»
Sie hatte ein kleines Auto, schon seit Jahren. Es war schlecht gepflegt, dafür nahm sie sich nie Zeit. Nun aber wusch Dagmar den Wagen, putzte ihn innen und außen. Es ging ihr um die Arbeit, nicht um das Ergebnis. Seit sie vom Tod des Heinz K. wusste, war sie voller Unruhe. Sie dachte unentwegt daran, wie sie mehr darüber erfahren könnte. In jenen Zeitschriften, die über die Society berichteten, war nichts über Heinz K. zu finden. Was seine Person betraf, hatte er sich stets bedeckt gehalten. Die Polizei gab keine Auskunft über die näheren Umstände seines Todes. Es sei ein Unfall gewesen, darüber habe man berichtet.
An das Modegeschäft, an die Arbeit, die sie dort zu machen hatte, dachte Dagmar kaum noch. Beides gehörte nicht mehr zu ihrem Leben. Heinz K. hatte ihr einmal gesagt, dass er geschieden sei. Als sie mehr darüber hatte wissen wollen, hatte er gemeint, das gehe sie nichts an. Sie hatte nicht gewagt, weiter danach zu fragen. Er konnte sehr abweisend werden, er sprach dann fast nichts mit ihr. Das wollte sie nicht. Vor allem das Gespräch mit ihm, das sich nicht nur um banale Dinge drehte, war ihr wichtig geworden.