Franz spricht. Elisabeth Hauer
hab ich gesagt, als ich das Geschäft betreten habe. In der Auslage ist mir nämlich eine Krawatte ins Aug gestochen, rot mit weißen Punkten, ein schönes Rot, leuchtend. Nicht richtig auffallend, aber doch. Normaler Weise hab ich damals keine Krawatten gebraucht, ein zwei Mal höchstens, zu Weihnachten und vielleicht zu einer Hochzeit. Das Geschäft war nicht in unserem Ort, da bekommt man überhaupt keine Krawatten, sondern in der Hauptstadt, wohin es mich zufällig verschlagen hat.
Dummerweise hab ich mir den Preis in der Auslage nicht angeschaut. Als ich im Geschäft drinnen war, hab ich erst gesehen, was für ein Geschäft es ist. Fein. Nobel. Und teuer. Ich wollt gleich wieder hinaus. Sie müssen das verstehen. Wenn was nichts für mich ist, weiß ich das gleich. Ich hab also die Tür schon wieder in der Hand. Da ruft mich wer. Franz. Franz. Ich kenn doch die Stimme. Wer war’s. Paul natürlich. So ein Zufall. War mir nicht ganz recht, dass mich Paul so sieht, in dieser ländlichen Kleidung, und er so fein, in dunklem Anzug. Aber Paul sofort zu mir her, fast gesprungen ist er und hat mich umarmt. Ich hab mich sehr gefreut, aber gefreut hab ich mich auch, dass der Verkäufer das sieht, der mich schon beim Hereingehen verächtlich angeschaut hat.
Was machst du da, fragt Paul und ich: Nichts, ich wollte gerade wieder gehen. Du wolltest doch was kaufen, sag mir, was du kaufen wolltest. Nichts, ich wollte wieder gehen. Also, sagt Paul, ich mache dir jetzt ein kleines Geschenk, dann gehen wir was trinken. Ich wollte unbedingt mit Paul was trinken gehen, drum hab ich mich überwunden und auf die Krawatte gezeigt. Der Verkäufer hat sie unbedingt an mein Flanellhemd halten wollen, das war ein Theater. Wir waren dann lang in einer Weinstube. Paul hat mir viel erzählt. Ich habe nichts davon vergessen, das können Sie mir glauben. Zum Schluss hat er gesagt, dass er sich aus der Stadt zurückziehen will. Dass er sich ein Haus bauen will. In unserem Ort. Dort war ich dann oft. Dort hab ich auch seine Frau kennen gelernt.
Die Eva.
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Nun war das Wetter feucht geworden, es regnete oft. Auch an trockenen Tagen war der Garten bereits unansehnlich, fast alle Blumen waren verblüht, die Zweige der Sträucher und Bäume zeigten sich kahl. Eva benutzte nur noch die gekiesten Wege. Wenn sie das Haus verlassen musste, um die Post zu holen oder dem Kaufmann zu öffnen, der die Lebensmittel zustellte, schlüpfte sie in alte, feste Schuhe. Alles, was mit Schmutz und Nässe zusammenhing, war ihr verhasst. Für den kommenden Tag hatte sie ein Treffen mit Freunden in der Stadt ausgemacht, sie freute sich darauf, die vergangene Woche hatte sie allein verbracht. Noch war es nicht schlimm gewesen, noch wusste sie sich zu beschäftigen. Schon oft hatte sie überlegt, eine kleine Wohnung in der Stadt zu nehmen, um dort den Winter zu verbringen. Aber sie hatte sich noch immer nicht dazu entschließen können. Vielleicht war es, um Franz nicht wieder zu begegnen. Das wollte sie sich nicht eingestehen.
Das Klavier stand in der Mitte des Wohnraumes. Es benötigte viel Platz, es war ein richtiger Flügel. Eva hatte es so gewollt. Man sollte sehen, dass hier, in diesem Haus, das sie stets Villa nannte, jemand war, der Klavierspielen konnte. Paul hatte ihr gern, sehr gern sogar, diesen Flügel geschenkt. Als sie ihm zum ersten Mal diese Idee unterbreitete, hatte er sie erstaunt angesehen, dann gefragt, ob sie wirklich Klavierspielen könne, er habe ja keine Ahnung gehabt. Ich kann, hatte Eva gesagt und gleich hinzugefügt: Ich konnte. Aber es wird nicht so schwer sein, wieder anzufangen.
Es war natürlich Unsinn, dass sie gleich mit Chopin-Etüden beginnen wollte, Etüde e-moll op. 25, nach der Paderewski-Ausgabe. Irgendwann, vor Jahren, hatte sie diese Etüde recht und schlecht gespielt, nach so langer Zeit wollten ihr ihre Finger nicht gehorchen. Das wird schon, hatte Paul gesagt, lass dir Zeit. Mit Chopin wurde sie allein nicht fertig. Sie wählte leichtere Stücke von anderen Komponisten, aber auch das ging nicht gut. Paul engagierte eine Klavierlehrerin. Immer wieder wurde Eva von zorniger Ungeduld erfasst. Endlich war es so weit, und sie spielte Paul die Etüde vor. Mit vielen Fehlern, aber sie kam bis zum Ende. Paul verhielt sich zuerst still. Ich bewundere deinen Willen, sagte er dann. Wenn du so weiter machst, wird aus dir noch eine Konzertpianistin. Sie wusste, dass er es nicht ehrlich meinte. Sie wusste, dass dieser Satz Kritik enthielt und die Überzeugung, sie sei für das Klavierspiel nicht begabt. Aber Paul hätte dieses Urteil niemals ausgesprochen.
Eva legte Chopins Etüden zur Seite. Sie spielte Unterhaltungsmusik, Operetten, Schlager und erntete von den Besuchern Applaus. Paul saß immer dabei, klatschte vor allen anderen und küsste sie dankbar vor dem Schlafengehen. Meine Frau gibt nie auf, sagte er mit einem Lächeln. Nein, deine Frau gibt nie auf, antwortete Eva. Nun stand der Flügel da, und seit Pauls Tod hatte sie nicht mehr gespielt. Alles Mögliche hatte sie versucht, um den Flügel auch ohne Noten zu beleben. Eine Schale aus Meißner Porzellan hatte sie hingestellt, Photographien von Freunden, von ihr selbst, nur keine von Paul. Große Vasen mit Blumen standen dort im Sommer, und ein kleiner, silberner Christbaum im Advent. Sie spielen? fragten oft ihre Besucher.
Nicht mehr, antwortete sie dann. Jedes Mal, wenn sie diese beiden Worte aussprach, hatte sie das Gefühl, etwas verloren zu haben, was sie eigentlich nicht bedauern sollte.
Sie überlegte in den Ort zu gehen, dorthin war es nicht weit. Die Villa lag etwas abseits, rundherum gab es keine Häuser. Aber hinter dem Garten war gleich der Wald, eine wilde Wiesenfläche, die nie gemäht wurde, breitete sich davor aus. Eva hasste diese Wiese. Im Sommer fürchtete sie sich vor Schlangen, vor Ungeziefer, vor den Bienen, die sich an den üppigen Blumen ernährten. Sie hatte Paul nie verstanden, der erklärte, er liebe diese Wiese, die irgendwie zu seinem Haus gehöre, er liebe den Wald, der sich so dunkel und stark an sie anschließe. Er sei überzeugt, dass Wiese und Wald sein Haus bewachen würden, sie seien wie ein Schutzwall für Eva und ihn. Er sagte das oft. Vor allem dann, wenn er verreisen musste und Eva allein zurückblieb. Die Haushaltshilfe, die bei ihnen wohnte war für Eva kein Trost. Die hatte selbst Angst. Sie wolle eine Alarmanlage, hatte Eva verlangt. Paul lehnte es ab, überraschenderweise.
Keiner aus dem Ort würde hier einbrechen. Und fremdes Gesindel, woher sollte es kommen. Es war unlogisch, was er sagte. Das wusste er, das wusste Eva. Aber er hielt an seinem Entschluss fest. Eva hatte dann in jedem Zimmer ein Telefon, später trug sie auch ihr Handy immer mit sich. Als sie wieder heiratete, verschwand ihre Angst.
Ihr neuer Mann war stark, er würde mit jedem Einbrecher fertig werden. Und er verreiste nie.
Als Eva dann endgültig allein war und entschlossen, es zu bleiben, kam die Alarmanlage ins Haus. Aber Evas Angst verlor sich nie.
Wie immer im Herbst strahlte der Ort eine Stille aus, die nicht erklärbar war. Die kleinen Geschäfte, es gab es nicht mehr viele, waren leer, im Supermarkt zeigten sich wenig Käufer. Eva trat ein ohne zu wissen, was sie kaufen sollte. Ratlos streifte sie durch die Gänge, begleitet von einem Geruch, der Essbares wie Ungenießbares in sich trug. Die Kassierin sah ihr nach und vergaß die Frau, deren Einkäufe sie gerade berechnete. Mit gespieltem Interesse betrachtete Eva den Inhalt von Etageren und Vitrinen, langsam ging sie daran vorbei, ihr Blick nahm das Sichtbare nicht auf. Frauen gingen vorüber, die sie vom Sehen kannte, deren Namen sie nicht wusste. Ihren Namen kannte man, man wusste, wo sie wohnte, man glaubte ihr Privatleben zu kennen, ihre Eigenschaften, ihre Vorlieben. Es war ihr klar, dass man ihr Verhaltensweisen zuschrieb, die nicht der Wahrheit entsprachen. Alles was sie tat, wurde mit Neugierde betrachtet, beredet und beurteilt. Als Paul noch lebte, hatte man ihr ein gewisses zweifelndes Wohlwollen entgegengebracht. Damit war es nach Pauls Tod vorbei. Ihre zweite Ehe, ihr Leben nachher allein in der Villa gaben Anlass zu vielen Spekulationen. Eva hatte sich entschlossen, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Einkäufe, die sie ab und zu im Ort machte, sollten es beweisen. Sie wusste, dass dann, wenn man sie sah, wieder Gespräche begannen, die von Paul handelten. Von seinem tadellosen Charakter, von seiner Menschlichkeit, von seinem sozialen Handeln. Er war eben von hier, aus diesem Ort. Einer von ihnen. Und dann diese Heirat.
Eine Frau streifte an sie an. Entschuldigung, sagte sie und stellte sich so, dass sie Eva ins Gesicht sah. Aber ja, sagte Eva und ging weiter. Die Frau ging hinter ihr her, sie spürte ihre Blicke im Rücken. Sie nahm dann ein Shampoo und einen Haarlack und ging damit zur Kassa. Nichts mehr sonst, fragte die Kassierin. Nichts mehr sonst, antwortete Eva. Als sie den Supermarkt verließ, suchten ihre Augen nach der nächsten Mülltonne, um sich von ihren Einkäufen zu befreien.
Ich werde in die Stadt ziehen, ich will in die