Franz spricht. Elisabeth Hauer

Franz spricht - Elisabeth Hauer


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bleiben, sie wollte sich gern wieder mit Mode beschäftigen. Da sie aber ihren letzten Arbeitsplatz ohne Angabe von Gründen verlassen hatte, fehlte ihr ein Zeugnis. Jedes Geschäft, jedes Unternehmen fragte danach. Ohne Zeugnis gab es keine Vertrauensgrundlage, und die Vorstellungsgespräche wurden nach kurzer Zeit beendet.

      Sie belegte Kurse zur Umschulung, sie vergaß die Mode und bekam schließlich die Genehmigung, als Tagesmutter zu arbeiten. Vieles musste in ihrer kleinen Wohnung umgestellt werden, das wenigste war kindergerecht. Dagmar hatte sich entschieden, nur Volksschulkinder aufzunehmen. Vor größeren Kindern hatte sie Angst, sie glaubte, mit ihnen nicht fertig zu werden. Der Anfang war schwierig. Wenn die berufstätigen Mütter am frühen Morgen ihre Kinder brachten, bekam sie von ihnen die vielfältigsten Anweisungen. Anfangs versuchte sie, alle zu erfüllen. Das war unmöglich. Sie machte es sich leichter. Die Mütter, zuerst empört, begannen sie langsam zu verstehen. Weil die Kinder gern zu ihr kamen.

      Noch immer hatte sie es nicht aufgegeben, nach der Ursache des seltsamen Todes von Heinz K. zu suchen. Aber sie musste sich eingestehen, dass sie kaum noch Anhaltspunkte finden würde. Die geschiedene Frau von Heinz K. war für sie nicht auffindbar. Bei der Polizei war nicht viel mehr zu erfahren. Der Besitzer des gestohlenen Autos hatte ausgesagt, Heinz K. nicht gekannt zu haben. Das hatte man ihr nach drängenden Fragen noch mitgeteilt. Damit konnte sie nichts anfangen.

      Allmählich wurde aus Dagmar, die mit größter Disziplin auf ihr Äußeres geachtet hatte und stets modisch gekleidet war, eine noch immer hübsche junge Frau, die sich praktisch anzog, die Haare zu einem Pferdeschwanz band, am Abend die übrig gebliebenen Mahlzeiten der Kinder aus Sparsamkeitsgründen aß und so ein wenig rundlicher wurde. Von einigen Unzulänglichkeiten abgesehen war sie glücklich.

      Eva hatte zwei angenehme Tage in der Stadt erlebt, dort Freunde getroffen, im gewohnten guten Hotel übernachtet. Sie war Franz nicht begegnet. Diese sinnlose Angst, die immer in ihr aufbrach, wenn sie die Stadt besuchte, war vorbei, sie fühlte sich erleichtert.

      Eben wollte sie ihr Auto aus der Parkgarage holen, als eine jüngere Frau neben ihr beim Zahlautomaten stand. Die Blicke dieser Frau ließen sie nicht los, nervös sammelte Eva das Wechselgeld ein, die Frau sah sie weiter an, sie vergaß, ihre Zeitkarte in den Automaten zu stecken. Verärgert fragte Eva, ob sie ihr helfen könne. Nein, sagte die Frau, helfen nicht, aber Sie sollen mich in Ruhe lassen. Dann erledigte sie ihre Zahlung und ging. Verblüfft stand Eva da, sie versuchte, sich aus der Unruhe, die sie ergriffen hatte, zu lösen, es war ihr jetzt klar, dass sie diese Frau kannte, aber lang nicht gesehen hatte. Sie war ihr nur einmal begegnet, ein einziges Mal, Jahre waren seither vergangen. So sieht sie also jetzt aus, dachte Eva, damals war sie viel hübscher, aber auch nicht sehr hübsch, verständlich, dass Heinz sie verlassen hat. Wahrscheinlich geht es ihr nicht besonders gut, dachte Eva weiter, als sie in ihrem Auto saß, sehr tüchtig scheint sie nie gewesen zu sein, sie hat zwar, bevor Heinz mit seinem Unternehmen Glück hatte, gearbeitet, aber was war sie, ein paar Fremdsprachen hat sie gekonnt, sonst nichts. Es war gut, dass ich sie sofort nach Heinz’ Tod angerufen habe, um ihr klarzumachen, dass sie von ihm nichts erwarten dürfe, eine geschiedene Frau, die von einem anderen ein Kind hat. Ich bin überzeugt, dass Heinz mich in seinem Testament bedacht hat, schließlich habe ich mich stets um ihn gekümmert, ich glaube, er hat mich geliebt. Und wenn nicht, so hat er gewusst, dass er mir einiges zu verdanken hat.

      Miriam. Ich habe diesen Namen nie gemocht, noch bevor ich sie kannte.

      Als Eva in ihrem Haus ankam, stellte sie die Pakete mit den Einkäufen im Vorzimmer ab und sah sie nicht, wie sonst, genau an. Sie wusste, sie würde jetzt keine Freude an ihnen haben. Morgen, dachte sie, morgen will ich alles prüfen, probieren. Während sie im Badezimmer stand und sich fertig machte für die Nacht, versuchte sie, sich wieder von Miriams Bild zu lösen. Sie scheint es nicht leicht zu haben, dachte sie, irgendwie wirkt sie verbittert. Sie muß wieder arbeiten, ein Kind hat sie auch. Wenn das mich getroffen hätte, unvorstellbar. Aber was geht es mich an. Da lebe ich lieber allein und habe keine Sorgen, kann machen, was ich will. Als ich ihr damals begegnete, mit Heinz an ihrer Seite, wusste ich gleich, diesen Mann will ich haben, es wird ein leichtes Spiel werden mit dieser Frau. Sie hatte unruhige Augen und hielt Heinz am Ärmel seines Sakkos fest, als wollte sie ihn nicht loslassen. Er schien gehemmt, irgendwie verzweifelt, auch als er ziemlich viel getrunken hatte, wurde er nicht locker. Trotzdem oder gerade deswegen hat er mich angerufen, zwei Tage später.

      Bevor Eva schlafen ging, massierte sie ihre Füße, sie waren kalt, sie blieben auch kalt, als sie schon im Bett lag. In der Nacht träumte sie nicht von Heinz K., auch nicht von Paul, sie träumte von Franz. Er stand vor ihr, jung und kräftig und war dabei, sie zu umarmen.

      Mama, fragte Klara, warum sagst du nichts.

      Ich sage nichts, fragte Miriam zurück, das habe ich gar nicht bemerkt.

      Sag wieder was, forderte Klara.

      Wie war es heute im Kindergarten, fragte Miriam. Weiß nicht, sagte Klara.

      Sie richtete das Abendessen für sie beide, wie immer war es eine einfache Speise, die das Kind liebte, an die auch sie sich gewöhnt hatte. Sie saßen dann bei Tisch, Miriam blieb still, Klara hatte ihre Hausschuhe ausgezogen und spielte immer wieder mit ihrem linken Strumpf, den sie von den Zehen wegzog. Sie schien keinen Hunger zu haben.

      Während sie ihre Mutter immer wieder forschend ansah, fragte sie: Kennst du die Geschichte von dem kleinen Buben, der oft von zu Hause weggelaufen ist. Er ist immer wieder zurückgekommen, aber einmal nicht mehr.

      Ich kenne sie, antwortete Miriam, vielleicht hat es ihm zu Hause nicht mehr gefallen.

      Doch, sagte Klara, er hat sich nämlich verirrt. Er hat nicht mehr zurück gefunden.

      So wird es wahrscheinlich gewesen sein, sagte Miriam.

      Du musst nicht warten auf mich, Peter, sagte meine Frau Christine, die damals noch ein junges Mädchen war, als sie wieder einmal zu spät kam. Ich stand an der Straßenecke, wo wir einander immer trafen und schaute mir die Augen nach ihr aus. Sie kam dann an, ohne schlechtes Gewissen, es war ihr klar, dass ich schon lang auf sie gewartet hatte. Den Vorwurf, den ich ihr machen wollte, sprach ich nicht aus. Ich war zu glücklich, sie zu sehen. Sie umarmte mich flüchtig, küsste meine Nasenspitze und fragte unternehmungslustig: Was machen wir? Stets war es das gleiche Spiel. Sie wollte Neues, Aufregendes erleben, und ich hatte kein Geld. Der Vorschlag, wieder einen Spaziergang zu machen, wurde mit heftigem Kopfschütteln von ihr abgelehnt. Auslagen ansehen, fragte ich weiter. Das sei sinnlos, meinte sie, sie könne sich nichts kaufen. Dann Museum, schlug ich vor und rechnete rasch nach, ob es meine finanziellen Möglichkeiten erlauben würden. Ihr Nein hatte ich erwartet.

      Eine Weile standen wir ratlos an jener Ecke, jeder von uns beiden dachte nach, ihr Mund wurde schmäler, sie sah von mir weg und hin auf die Straße und sagte, ohne sich umzudrehen: Warum ist das so? Schon oft hatte ich ihr zu erklären versucht, dass es eben so sei bei Studenten, die ein Stipendium hatten, kaum einen Zuschuss von zu Hause bekamen und die Miete im Heim bezahlen mussten. Andere haben es besser, meinte sie dann. Such dir einen Sohn reicher Eltern, hätte ich gern geantwortet, aber ich meinte es nicht ernst und rettete mich in das stereotype: Später wird es besser, du wirst sehen.

      Wir gingen schließlich in einen Park, es war ein schöner Park, mit vielen alten Bäumen und gepflegtem Rasen. Ich legte meine Hand auf ihre Hand, und langsam bemerkte ich, dass ihre Laune sich besserte. Leute kamen vorbei, sie betrachtete sie genau, sagte manchmal: Der ist ein Arzt, die ist eine Friseurin, der kann nur ein Geschäftsmann sein, und die, schau die, die arbeitet nichts, die ist ungebildet und eine dumme Gans. Ich hatte schon damals für solche Beurteilungen nichts übrig, schon gar nicht, wenn man einen Menschen damit diffamierte. Aber so war sie eben. Ganz anders als ich. Wahrscheinlich habe ich sie deshalb geliebt.

      Sie hat ihr Studium nicht fertig gemacht. Schade. Vielleicht wäre sonst alles anders gewesen.

      Jetzt habe ich mich wieder verirrt, bin auf meine Ehe zurückgekommen und wollte ja von meinem Bruder Paul sprechen. Aber irgendwie gehören sie alle zusammen, diese Schicksale, die ich nun als alter Mann vor mir sehe und zwar, wie ich hoffe, ziemlich klar, ohne persönliches Urteil. Bei manchen Personen wird es mir vielleicht nicht gelingen. Bei Paul


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