Franz spricht. Elisabeth Hauer

Franz spricht - Elisabeth Hauer


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die Dunkelheit, gequält von der Frage nach ihrer Schuld. Sie glaubte sie zu finden und verwarf diese Gedanken wieder. In ihren Vorstellungen hielt sie Heinz Lieblosigkeit und Egozentrik vor und fand gleich darauf eine Entschuldigung, die ihr Gefühl ihr eingab. Warum hatten wir kein Kind, dachte sie.

      An den Wochenenden wartete sie darauf, dass es regnen würde. Wenn es wirklich geschah, ging sie auf die Straße, ohne Schirm, ohne Mütze, ließ das Wasser über ihr Gesicht laufen und sammelte die Tropfen auf ihrer Zunge. Sie glaubte, sie könnte so ihre Liebe zu Heinz wegschwemmen, die immer noch da war, es wäre wie eine Reinigung von erlebtem Schmerz und sinnloser Reue. Sie ging durch die Stadt ohne Plan, ohne wirklich zu wissen, wo sie war. Wenn sie heimkam, setzte sie sich in die Küche, aß irgendwas, blieb auf dem harten Hocker sitzen, wie um sich zu bestrafen. Wenn ihr Vater sie besuchte und in ungeschickter Art zu trösten versuchte, sagte sie, es gehe ihr gut. Er war eben nichts für dich, sagte ihr Vater. Dann wurde sie wütend auf ihn und konnte kaum ihren Zorn unterdrücken.

      Ich muß mich ablenken, dachte sie, diesen Entschluss muß ich fassen, Aber sie wusste nicht, wie.

      Bleib nicht beim Ersten, hatte ihre Mutter gesagt. Der Erste ist immer der Falsche.

      Wenn sie sich an die Ehe ihrer Eltern erinnerte, hatte ihre Mutter Recht gehabt.

      Bald darauf kam ihre Mutter ins Krankenhaus, und Miriam durchlebte eine schwierige Zeit. Die Krankheit ihrer Mutter war schwer, sie wollte nicht kämpfen, man befürchtete das Schlimmste. Aber im Krankenhaus traf sie diesen Anderen, der ihre Verzweiflung bemerkte. Er sprach sie an, erklärte seine Schwester sei hier, sie sei operiert worden, es habe Komplikationen gegeben. Miriam brauchte Trost wie er. Auf dem kahlen Gang saßen sie auf harten Stühlen nebeneinander. Er erzählte von seiner Familie, die in Ordnung war und von seiner großen Zuneigung zu seiner Schwester. Er erzählte von seinem Beruf als Jurist in einer bekannten Kanzlei. Er sagte, er sei nicht verheiratet, finanziell gehe es ihm gut. Er bedauerte Miriam wegen der Krankheit der Mutter, deren Zimmer er einmal flüchtig betrat. Er war sympathisch, ruhig und teilnahmsvoll. Die Genesung der Mutter, die man eigentlich nicht mehr erwartet hatte, schritt fort, und Miriam bedauerte, bald nicht mehr ins Krankenhaus gehen zu können. Er bedauerte es auch.

      Er gab ihr seine Karte, er hatte einen interessanten Namen. Die Affäre zwischen ihnen war leidenschaftlich, kurz und enttäuschend. Aber Klara war entstanden. Als Miriam es sicher wusste, war alles schon vorbei. Sie sah keine Veranlassung, ihn davon zu unterrichten. Klara sollte allein ihr gehören. Sie wollte ihn vergessen, was ihr auch weitgehend gelang. Nur manchmal kamen diese Träume, die sie nicht wollte.

      Am nächsten Tag ging es Klara schon besser, nach einer Woche war sie gesund. Miriam ging wieder ins Büro, holte abends Klara vom Kindergarten ab. Die vielen Vorwürfe ihres Vaters, dessen Besuch sie nicht gewünscht hatte, berührten sie nicht. Klara sei ansteckend, hatte sie gesagt, sie könne es nicht verantworten, wenn er käme. Seine Anrufe blieben einige Zeit lang aus.

      Franz

      spricht

      Es ist nicht Eitelkeit, was ich Ihnen jetzt sag, aber glauben Sie mir, die Frauen sind mir nachgelaufen. Richtig nachgelaufen. Das hab ich schon bemerkt, als ich noch ganz jung war. Die Mädchen damals in unserer Siedlung, die haben es mir ganz deutlich gezeigt.

      Die Mädchen aus dem Ort waren ein wenig anders, mehr stolz vielleicht. Aber genauso neugierig. Genauso bereit. Ich will nicht übertreiben, ich hab es aber genau erkannt. Wissen Sie, ich war nie stolz auf mein Aussehen, das war auch nicht so aufregend, aber eben anders als das von den Gymnasiasten oder das von den primitiven Burschen aus der Siedlung. Ich hab mich ja nie für was Besseres gehalten. Ich war eben immer der Franz und dieser Franz war ziemlich okay. Es war auch nicht so, dass ich ganz früh angefangen hab mit den Mädchen, ich wollt erst alles wissen, wie das so ist und ob man vorsichtig sein muß, wenn eine gleich den Rock aufhebt. Und Frauen. Die haben mich zwar interessiert, aber doch, eine Scheu hab ich gehabt vor ihnen. Das hat sich später dann alles gegeben, aber so früh dran, wie Sie vielleicht glauben, war ich nicht. Da war der Peter, der Bruder vom Paul anders. Wohl zwei Jahre älter als ich, aber ganz schön drauf aus, mit einer was anzufangen. In der Kirche war er jeden Sonntag, ja. Aber kein Heiliger war er. Da hat es eine Geschichte gegeben, ich glaub er war damals siebzehn, mit einem Mädchen aus der Siedlung. Katharina, Kathi. Normalerweise ist er durch unsere Siedlung dahingerauscht, ohne sich umzuschauen. Aber die Kathi hat er angeschaut. War auch sehr hübsch. Ein wenig rundlich, aber hübsch. Später war sie richtig dick, aber da war sie schon verheiratet. Also auf jeden Fall hat er sich was mit ihr angefangen. Ich hab das bemerkt, weil ich sie einmal im Wald gesehen hab, wo der Peter ja normalerweise nie hingegangen ist. Unter einem Busch sind sie gesessen, mich haben sie nicht bemerkt, aber ich sie, sie waren ziemlich beschäftigt. Ich will ja nicht sagen, dass es das Äußerste war, aber schon nah dran. Ich mich davongeschlichen und gleich dem Paul erzählt. Der wollte es mir zuerst nicht glauben. Hat es aber dann doch geglaubt. Der Paul hat gewusst, dass ich ihn niemals anlüge. Er hat gemeint, er würde mit dem Peter reden. Lass ihn doch, hab ich gesagt, aber wie passt das zu ihm, die Kathi aus der Siedlung. Gar nicht, hat der Paul gesagt, aber nicht wegen der Kathi ihrer Herkunft, sondern weil er nur seinen Spaß haben will mit ihr. Du willst doch nicht, dass er bei ihr bleibt, habe ich gefragt. Nein, hat der Paul geantwortet, aber es ist nicht fair, ihr vielleicht was zu vorzumachen. Damals hab ich nicht gewusst, was fair heißt. Heute weiß ich es. Nein, Peter war nicht fair. Paul war es. Immer, glaub ich.

      Interessant ist, dass sich die Kathi später umgebracht hat. Da war sie bereits eine ganze Weile verheiratet. Ein Kind hat sie auch gehabt.

      Man hat viel darüber geredet. Damals hab ich noch in der Fabrik gearbeitet. Aber wie das schon ist. Irgendwann ist Gras über den Tod von der Kathi gewachsen. Der Mann hat wieder geheiratet.

      Seltsam, was einem alles wieder einfällt. Ist doch ganz interessant, was ich Ihnen so erzähle. Oder nicht?

      Morgen hab ich ein Date mit meinem Anwalt. Langsam fang ich auch schon an mir solche Worte anzugewöhnen. Früher hat man Termin gesagt. Wahrscheinlich auch ein Fremdwort. Aber egal. Die Sache ist fast aussichtslos. Nur, ich geb nicht so leicht auf. Irgendwas muss meine geschiedene Frau noch herausrücken. Schließlich hab ich in diesem Haus gearbeitet wie ein Fremdarbeiter. Dass die Bude heute noch so in Schuss ist, hat sie mir zu verdanken.

      Entschuldigen Sie, manchmal bin ich halt leicht verbittert. Das vergeht aber. Sie kommen doch wieder zu mir? Bald. Ja?

      »

      Eine Bank, ein Tisch in einer gottverlassenen Gegend. Rundherum Bäume, deren Stämme kahl, deren Wipfel vom Wind zerzaust sind. Sträucher, ineinander gewachsen, die Zweige zum Boden geneigt. Es ist später Herbst. Irgendwann ist bereits Schnee gefallen, seine Reste liegen auf der schwarzen Erde. Wer kommt hierher. Wer findet überhaupt diesen Platz. Wer ist jemals auf dieser Bank gesessen, wer hat sein Brot auf diesen Tisch gelegt.

      Eva dreht sich um. Nur die Skizze in ihrer Hand hat ihr den Weg gewiesen. Nun ist sie angekommen und ist allein. Ihre Schuhe sind nicht für diesen Boden geeignet, auf dem Schnee rutscht sie, auf der Erde sinkt sie ein. Warum bin ich hier, denkt sie, was soll ich hier machen. Ich hätte mich nicht auf diese Zusammenkunft einlassen sollen. Immer wieder schaut sie auf ihre Uhr. Er kommt zu spät. Um sich mit ihr zu treffen, darf niemand zu spät kommen, so hat sie es immer gehalten. Ich gehe jetzt, denkt sie, ich verlasse diesen Platz, der nur unheimlich ist, sonst nichts. Wie ist er überhaupt auf die Idee gekommen, mich hierher zu bitten. Ich hätte nicht einwilligen müssen, ich habe es mir anders vorgestellt. Wenn schon nicht romantisch, so doch bedeutungsvoll. Hier kann es niemandem gefallen. Niemandem.

      Sie zieht ihre Handschuhe an, die sie vorsorglich mitgenommen hat. Dann zieht sie die Handschuhe wieder aus, weil sie aus ihrer Tasche Make-up, Spiegel und Kamm nehmen will. Sie versucht, ihr Aussehen in Ordnung zu bringen. Die Nase ist rot, die Wangen sind rot von der Kälte. Ihr Haar ist feucht geworden, hat seine Form verloren.

      Sie kann nichts reparieren. Wütend wirft sie alles in die Tasche zurück. Sie verlässt den Platz, geht ein Stück vor, um auf die Straße zu sehen. Dort steht nur ihr eigenes Auto. Kein anderes Fahrzeug ist da. Eva bewegt sich langsam zur Straße hin. Sie will nach Hause. Noch zögert sie. Da kommt ein Wagen, sie


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