Franz spricht. Elisabeth Hauer
Paul und mir tat. Es war ein rasches, fast zorniges Hinschieben zu dem Platz, wo er saß, während sie Paul und mir Glas und Teller mit sanften Handbewegungen zuwies. Manchmal dachte ich, Franz müsse es merken. Aber er aß und trank mit großem Appetit, es schien ihn nicht zu stören. War er fertig, stand er auf, bedankte sich bei meiner Mutter und verschwand. Mit spitzen Fingern legte sie seinen Teller in die Spüle.
Später gewöhnte ich mich an Franz’ Hilfe. Außerdem wurde auch ich ständig besser.
Und irgendwann brauchte ich Franz nicht mehr. Paul kam zuerst oft zu mir herauf und fragte, ob es vielleicht Probleme mit der Anlage gebe. Ich verneinte kühl. Als Paul erkannte, dass Franz’ Erscheinen überflüssig geworden war, kam auch er nicht mehr in das Dachbodenabteil.
Die Eisenbahnanlage gehörte nun mir allein. Aber was ist daraus geworden. Einige Kisten, die nun in dem mir zugewiesenen Keller stehen. Ihr Inhalt. Nicht mehr gebraucht. Verstaubt oder von der Feuchtigkeit beschädigt. Keinen Blick mag ich mehr hinein werfen. Wer interessiert sich heute noch für Modelleisenbahnen. Heute gibt es andere Möglichkeiten, die junge und auch ältere Menschen interessieren. High Tech und so. Nichts mehr für mich.
Womit Franz sich heute beschäftigen mag. Ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht gesehen. Kann sein er lebt nicht mehr.
Miriam, ich habe da eine Idee. die ich dir gern verraten würde. Ja, bitte, wenn es nicht zu lang dauert.
Du weißt doch, ich hatte eine Eisenbahnanlage.
Ja. Ich kann mich noch an die Klagen meiner Mutter erinnern.
Bitte nichts davon. Aber vielleicht habe ich dazu einen guten Gedanken.
Schieß los.
Klara ist jetzt fünf. Und schon sehr vernünftig.
Ja?
Ich könnte ihr, natürlich nur, wenn es sie interessiert, eine kleine Anlage bauen.
Bitte Papa, sie ist ja kein Bub, hör auf.
Hör zu. Nur eine kleine. Eine hübsche Lok und zwei, drei Waggons. Ein paar Bäume, ein Tunnel.
Verzeih, ich glaube nicht, dass es Klara interessiert.
Ich könnte sie vielleicht in dein Wohnzimmer stellen, braucht ja nicht viel Platz.
Ausgeschlossen. So beengt, wie es bei uns ist.
Ich könnte auch bei mir …
Papa, hör auf. Manchmal hast du schon sonderbare Ideen.
Also nicht, meinst du.
Also nicht, meine ich.
Grüß bitte Klara vom Opa.
Mach ich.
Manchmal hatte Dagmar Zeiten, da wusste sie nichts mit sich anzufangen. Sie fühlte sich nicht wohl, sie glaubte sogar krank zu sein, irgendwas musste ihr fehlen. Dann lief sie in die Apotheke, versorgte sich mit Naturpräparaten, die nahm sie drei, vier Tage lang, dann fühlte sie sich wieder besser. Sie merkte es an dem Benehmen der Kinder, die wieder fröhlicher wurden und ihr nicht mehr verstört aus dem Weg gingen.
Wenn sie Zeit hatte, dachte sie darüber nach, was mit ihr los sein könnte. Sie dachte an Heinz K., seinen Tod hatte sie, wie sie überzeugt war, überwunden. Sie dachte an sein seltsames, unerklärliches Verhalten, an den gestohlenen Wagen, an sein gewolltes Sterben. Ich habe es verarbeitet, sagte sie sich, alles, was durch ihn geschehen ist, hat keinen Platz mehr in mir.
Als sie sich eines Tages wieder nicht gut fühlte, fasste sie den Entschluss, aufs Land zu fahren. Irgendwohin, wo es tiefe Wälder und weite Wiesen gab. Irgendwo übernachten, in einem bescheidenen Haus, einmal keine fordernden Kinderstimmen hören, ausschlafen, spazieren gehen, vielleicht abends ein ruhiges, unverfängliches Gespräch mit den Quartiergebern führen. Dagmar erklärte den Müttern, sie müsse weg, sie brauche einige Tage Erholung, ja, einige Tage nur. Die Mütter hatten Verständnis.
Dagmar packte die notwendigsten Sachen in eine große Tasche, setzte sich in ihr Auto und fuhr los.
Es war Herbst, eine ruhige Zeit. Die Straßenkarte lag neben ihr, sie sah sie nicht an.
Nur wenn sie irgendwo nicht weiter wüsste, wollte sie sie zu Hilfe nehmen. Sie schlug ein ruhiges Tempo ein und beschleunigte selten. Noch war das Laub von einem warmen Rot. An den Nadelbäumen erkannte man noch nicht die Zeichen des Herbstes. Die Luft war warm und frisch zugleich. Im Schatten blühten noch Zyklamen. Vielleicht will ich gar kein Ziel, dachte sie, vielleicht fahre ich nur um zu fahren. Wie sinnlos. Damit kann ich mein Leben nicht ausfüllen. Vielleicht fahre ich nur, um mich vollständig zu verirren. Was bringt das. Vielleicht fahre ich, um nicht mehr nach Hause zu kommen. Das wäre nicht gut. Ein Zuhause muss man haben. Ich dachte, ich hätte es.
Warum jetzt diese Unsicherheit, diese Flucht vor dem Alltäglichen. Irgendwas fehlt mir. Und ich weiß nicht, was. Vielleicht muß ich einen Menschen suchen, der sich für mich interessiert. Wo soll ich ihn finden. Vielleicht brauche ich nur neue Gedanken, eine Idee, die ich verfolgen kann. Vielleicht ist alles, was ich jetzt mache, ohne Sinn, diese Fahrt mit dem Auto, diese Fahrt im Herbst, diese Fahrt, von der ich nicht weiß, wohin sie mich bringt. Ich werde die nächste Abzweigung nehmen. Die nächste Abzweigung, ja. Egal wohin sie führt. Ich will es gar nicht wissen. Irgendwohin.
Sie bog ab und sah nicht auf das Schild, das den nächsten Ort anzeigte. Als sie ihn erreichte, sah sie nicht auf seinen Namen. Sie fuhr weiter und weiter. Die Landschaft veränderte sich, und sie wünschte, sie könnte sich mit ihr verändern. Die Zeit verging, plötzlich bemerkte sie, dass sie bald kein Benzin mehr haben würde. Ich will nicht stehen bleiben, dachte sie, warum muß ich machen, was ich nicht will.
Sie fuhr die nächste Tankstelle an und fragte den Tankwart, wo sie übernachten könne. Dort drüben sagt er und wies auf ein Gasthaus, das nicht aussah, als hätte es viele Gäste.
Ist es in Ordnung, fragte sie. Der Tankwart zuckte die Achseln. Das wollte ich nicht, dachte sie, ich wollte bei netten Leuten bleiben, bei Leuten, die ein einziges Zimmer vermieten, bei Leuten, mit denen ich reden kann.
Sie stieg aus, nahm ihre Tasche und betrat das Gasthaus. Der Schankraum war düster und leer. Aus der Küche kam ein Mann, der aussah, als wollte er keine Gäste. Sie fragte nach einem Zimmer. Er gab ihr den Schlüssel und verlangte sofortige Bezahlung. Das Zimmer hatte den Geruch von Einsamkeit und Leere. Dagmar legte ihre Tasche auf das Bett und wusste, sie würde die Decke nicht brauchen und in ihren Kleidern schlafen.
Eine Zeitlang saß sie auf dem einzigen Stuhl, sie bewegte sich nicht, alle Gedanken schaltete sie aus.
Warum bin ich nicht weitergefahren, fragte sie sich endlich. Sie wusste keine Antwort.
Am nächsten Tag war sie wieder zu Hause. Im Gasthaus hatte sie noch gefrühstückt, der Wirt war freundlich gewesen, freundlicher, als sie ihn vom Abend vorher in Erinnerung hatte. Wissen Sie, hatte er gesagt, Gasthäuser wie dieses sind nicht mehr gefragt. Zuwenig Komfort. Ich hoffe, Sie haben sich trotzdem wohl gefühlt. Ich habe was vergessen, sagte sie verlegen und lief noch einmal hinauf in das Zimmer. Dort zerknüllte sie die Bettwäsche, so, als hätte sie darin geschlafen.
Franz
spricht
Schauen Sie mich an. Ich bin zwar nicht mehr jung, aber, wie man so sagt, noch recht gut erhalten. Ich war nie ein Kraftlackel, wissen Sie, so einer, der mit seinen Muskeln herumprotzt. Aber Kraft hab ich trotzdem gehabt, nicht wenig. An Raufereien war ich nie beteiligt. Das liegt mir nicht. Aber zurechtgewiesen habe ich manchen, der geglaubt hat, er kann mir was antun. Aufgestellt hab ich mich vor ihm, einfach aufgestellt und hab ihn fixiert. Dann hat er bald seine Arme fallen lassen und seine Faust aufgemacht. So war das.
Ich hab auch geglaubt, wenn man einem Menschen gut zuredet, kann man bei ihm was erreichen. Das ist mir nicht immer geglückt. Aber versucht hab ich es und diesen Versuch nie aufgegeben. Zum Beispiel damals, als es Streik gegeben hat in unserer Fabrik. Wie alt war ich damals. Zweiundzwanzig vielleicht.
Es war so. Wir Arbeiter wollten mehr Lohn. Die