Franz spricht. Elisabeth Hauer
an dem schwarz verholzten Tisch lehnt, anmutig, erwartungsvoll.
Endlich, sagt sie als Heinz K. erscheint, endlich, ich habe so gewartet. Wie gefällt es dir hier, fragt Heinz, als er sie mit einem Handkuss begrüßt hat. Unheimlich gut, sagt Eva. Ich habe nichts anders erwartet, meint Heinz, es ist mein Lieblingsplatz. Das kann ich gut verstehen, antwortet Eva. Ich habe eine Decke mitgebracht, sagt Heinz, wir können uns auf die Bank setzten. Eva streift ihren Mantel so weit es geht hinunter und blickt Heinz verträumt an.
In einem Karton hat er Essen mitgebracht. Exquisite Brötchen. Auch eine Flasche Wein nimmt er aus seiner Tasche, zwei Gläser. Sogar an ein Papiertischtuch hat er gedacht, an Servietten. Eifrig macht er sich an die Arbeit, stellt alles auf. Sie sieht ihm verwundert zu. Dass ein Mann sich so verhält, hat sie noch nie erlebt. Fast ist sie gerührt. Während des Essens ist er heiter, er spricht viel und sieht sie immer wieder bewundernd an. Sie fühlt sich plötzlich wohl, sie ist froh, auf ihn gewartet zu haben. Immer wieder fragt er sie, ob es ihr hier auch gefällt, trotz des schon kühlen Wetters. Sie nickt, sie findet ihn überaus sympathisch, sie kennt ihn noch nicht lang. Bisher haben sie einander nur in Gesellschaft gesehen. Eine gute Stunde sitzen sie an diesem Tisch, fast alles essen sie auf, die Flasche wird leer. Fahren wir zu dir, fragt er endlich, fast schüchtern. Sie nickt, sie ist darauf vorbereitet. Er weiß, dass sie ein Haus hat, er weiß nicht, dass es so schön, so elegant, so geräumig ist. In ihrem Schlafzimmer steht nur mehr ein Bett. Es ist weich, gut und warm. Sie ist sehr schön. Nach ihren Ehemännern, von denen einer tot ist, der andere hier schon lang nicht mehr lebt, fragt er nicht. Als sie nachher im Wohnraum sitzen, fragt sie ihn nach seiner Frau. Er bleibt lang still. Ich weiß nicht, sagt er dann.
Von da an traf sich Eva oft mit Heinz K. Manchmal blieb er über Nacht.
Manchmal macht mir das Wetter zu schaffen. Dann spüre ich, wie der Rheumatismus wie in Wellen durch meinen Körper läuft. Ich habe ja meine Medikamente, manchmal aber erfasst mich ein solcher Widerstand gegen sie, dass ich am liebsten alle Schachteln und Fläschchen in den Mist werfen würde. Darf man ja nicht. Mach ich auch nicht. Das Altwerden hat eben gewaltige Schattenseiten.
Schon wieder verfalle ich in den Fehler, von mir zu reden.
Aber es muss ja manchmal raus, was mich bedrückt. Oft sind es nur Kleinigkeiten, mit denen ich nicht fertig werde. Die Reinigung der Wohnung zum Beispiel. Ein Mal in der Woche habe ich eine Hilfe. Eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren, kommt aus Kroatien, spricht aber relativ gut Deutsch, sie ist schon lang hier. Sie ist fleißig, ich muß es zugeben. Die ganze Wohnung wird geputzt, die kleine Wäsche wird gewaschen, was trocken ist, wird gebügelt. Wenn noch Zeit bleibt, kocht sie eine Kleinigkeit für mich. So weit, so gut. Aber sie hat eine Eigenschaft, die mich wirklich stört. Alle Sachen, die im Wohnzimmer sind und deren Platz für mich fix ist, stehen dauernd woanders. Die Bücher, die ich gerade lese, die Hefte, Zeitungen, die Vasen ob leer oder mit Blumen, alles durcheinander. Es erfüllt mich mit Zorn, manchmal auch mit Wut. Oft mit Verzweiflung. Ich stelle dann alles wieder an seinen gewohnten Platz. Aber kaum ist sie da, beginnt das Spiel von Neuem. Einige Male habe ich sie freundlich darauf hingewiesen. Sie hat gelacht und gesagt Herr Doktor, ist egal wo steht, Sie finden alles.
Seither sage ich nichts mehr. Es gibt noch vieles, was mich stört. Schuhe putzen zum Beispiel. Ich habe es früher nie gemacht, eigentlich ist es Frauensache. Ich finde es ein wenig unwürdig, wenn ich auf diesem Schemel sitze, die Bürste in der einen, den Schuh in der anderen Hand. Früher war ich eben beruflich aktiv. Und hatte meinen Status. Jetzt bin ich Pensionist.
Um auf Paul zurück zu kommen. Wenn es um Kleinigkeiten ging, haben wir uns ganz gut verstanden. Wenn es um anderes ging, zum Beispiel um Zukunftspläne, die mich als den Älteren bereits bewegten, gab es wenig Harmonie. Ich war ehrgeizig, zugegeben. Schon zu Beginn der Oberstufe des Gymnasiums stellte sich mir die Frage, welchen Beruf ich später ergreifen sollte. Für mich sah ich nur eine verwaltende oder beratende Tätigkeit als Möglichkeit an, Kunst als Beruf konnte ich mir nicht vorstellen. Noch vor der Matura hatte ich mich für das Studium der Rechtswissenschaften entschieden, was vor allem den Beifall meines Vaters fand. Er war überzeugt, ich sei dafür geeignet. Nach Beendigung des Studiums stünden mir dann mehrere Varianten der Berufswahl offen. Ich glaube, er hoffte, Paul würde sich für den Lehrberuf entscheiden. Aber Paul dachte nicht daran, das wusste ich. Manchmal, wenn wir abends schon im Bett waren und nicht gleich einschlafen wollten, Paul las immer lang, ich beendete bald meine Lektüre, unterhielten wir uns über die Zukunft. Ich kann mir genau vorstellen, wie du einmal sein wirst, wie du privat und beruflich leben wirst, sagte Paul einmal zu mir. Sag es, verlangte ich. Du wirst in den Staatsdienst gehen, du wirst heiraten und ein Kind haben, sagte Paul. Ich war verblüfft. Nicht, dass ich mir meine Zukunft so vorgestellt hätte. Aber die Entschiedenheit, mit der mich Paul in solcher Weise charakterisierte, erschreckte mich. Vielleicht wird mein Leben ganz anders verlaufen, widersprach ich. Nein, sagte Paul, so wird es sein. Willst du wetten. Ich wollte nicht. Und was wird aus dir, fragte ich. Die Antwort kannte ich bereits. Keine Ahnung, sagte Paul und drehte sich zur Wand.
Was die äußeren Umstände meines Lebens betrifft, ist es bei mir wirklich so gekommen. Was die private Atmosphäre betrifft hat Paul sich wahrscheinlich in Vielem geirrt. Davon bin ich überzeugt. Was mich an Paul als wir ungefähr sechzehn und achtzehn waren am meisten störte, was seine ungebrochene Freundschaft zu Franz. Die Wochenenden verbrachten sie fast immer gemeinsam. Nur wenn uns unser Vater zu einem Familienausflug kommandierte, begleitete uns Paul mit hängendem Kopf. Es war nicht aufmüpfig, aber seltsam traurig, nichts interessierte ihn, keine schöne Landschaft, kein Einkehrgasthaus. Er trottete als Letzter hinter uns her, oft riss er ganz ab und wir mussten nach ihm rufen. Sein Verhalten ärgerte besonders unsere Mutter, die von Paul immer wieder behauptete, er könne sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren. Damit brachte sie auch ihre Abneigung gegen Franz zum Ausdruck. Franz betrat selten unser Haus. Ich bin überzeugt, dass es ihm gleichgültig war, wie wir, außer Paul, über ihn dachten. Einmal kam er aber doch. Das war, als ich zum siebzehnten Geburtstag eine Eisenbahnanlage bekam. Schon lang hatte ich sie mir gewünscht, mein Vater meinte, es sollte kein Spielzeug sein, sondern ein Modell, das langsam erweitert würde. Ich nahm an, dass Paul dafür kein Interesse zeigen würde. Ich hatte mich geirrt. Paul bestaunte die noch bescheidene Anlage, er war begeistert und rief sofort: Die muß Franz sehen. Meine Eltern blickten einander verärgert an. Ich, in Geburtstagslaune und in Freude über das unerwartete Geschenk, überwand mich. Er soll kommen, sagte ich. Paul lief sofort weg, um Franz zu holen. Franz kam, freundlich lächelnd, als sei es selbstverständlich, unser Haus zu betreten. Seine ewigen Kniehosen schlotterten um seine braunen Beine, die Strümpfe hinuntergerollt auf die Schuhe, das ewige Haarbüschel in der Stirn, gaben ihm einen verwegenen Ausdruck. Er grüßte ordentlich, dann waren meine Eltern für ihn nicht mehr existent. Mit Paul und mir stand er vor der Anlage, bediente mit Selbstverständlichkeit den Trafo, fragte uns, welche Lok er nehmen dürfe, prüfte vorher sorgfältig das Fahrgestell und war Herr der Situation. Heute wundere ich mich, dass ich damals Franz so uneingeschränkt arbeiten ließ. Aber Paul und ich hatten ja von nichts eine Ahnung. Als die erste Lok fuhr, brüllten wir auf und veranstalteten einen Freudentanz.
Meine Eisenbahnanlage beschäftigte mich lang. Bis hinein in die Zeit meiner Ehe.
Langsam wurde sie größer und damit interessanter, ich sparte wie verrückt, um mir die eine oder andere Lokomotive oder einen Waggon kaufen zu können, die Umgebung der Fahrtstrecken weitete sich zu naturgetreuen Landschaften aus, winzige Figuren, unterschiedlichsten Berufen nachgebildet, belebten sie. Meine technischen Kenntnisse festigten sich. Manchmal aber, wenn mein Wissen nicht ausreichte, brauchte ich Franz. Ohne viel nachzudenken erkannte er Fehler, leitete Züge um und stellte Weichen neu ein. Nachher bedankte ich mich kühl bei ihm und wünschte heimlich, er möge nicht mehr wiederkommen.
Es war aber nicht zu vermeiden.
Wenn er mit seinen Arbeiten fertig war, rief er nach Paul. Der kam in das kleine Dachbodenabteil gestürmt, wo die Anlage stand. Wieder alles in Ordnung, was, sagte er zu mir und sah Franz bewundernd an. Der zuckte lässig die Schultern und ließ alle vorhandenen Züge in rascher, aber sicherer Fahrt über die Anlage sausen. Paul und ich standen dabei, stumm, fasziniert. Gibt es vielleicht eine Jause, fragte Franz nachher.
Wir gingen hinunter in die Küche, wo uns