Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

Die Forsyte-Saga - John Galsworthy


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Haus mußte neu gestrichen werden, wenn er sich nicht entschloß aufs Land zu ziehen und zu bauen.

      Zum hundertsten Mal in diesem Monat überdachte er diesen Plan. Sich zu überstürzen hatte keinen Zweck! Er lebte in sehr behaglichen Verhältnissen, mit seinem wachsenden Einkommen das fast dreitausend Pfund im Jahr betrug; aber sein angelegtes Vermögen war vielleicht nicht so groß wie sein Vater glaubte – James neigte zu der Annahme, daß es seinen Kindern besser ging, als es der Fall war. »Achttausend kann ich leicht aufbringen,« dachte er, »ohne Robertson oder Nicholl in Anspruch zu nehmen.«

      Er war stehen geblieben, um sich einen Bilderladen anzusehen, denn Soames war ein ›Liebhaber‹ von Bildern und hatte Montpellier Square Nummer 62 ein kleines Zimmer, wo an der Wand aufgestapelt eine Menge Gemälde standen, die aufzuhängen er keinen Platz hatte. Er brachte sie, gewöhnlich in der Dämmerung, auf seinem Wege aus der City mit nach Haus und pflegte sich an Sonntag-Nachmittagen in diesem Zimmer aufzuhalten, wo er Stunden damit zubrachte, die Bilder gegen das Licht zu wenden, die Zeichen auf ihrer Rückseite zu prüfen und sich gelegentlich Notizen zu machen.

      Es waren fast nur Landschaften mit Figuren im Vordergrund, ein Zeichen geheimer Auflehnung gegen London, gegen die großen Häuser, die endlosen Straßen, wo sein Leben und das Leben der Seinen und seiner Klasse sich abspielte. Von Zeit zu Zeit nahm er dann ein oder zwei Bilder in einer Droschke mit und hielt auf dem Wege in die Stadt bei Jobson an.

      Er zeigte sie selten jemand. Irene, auf deren Urteil er im geheimen etwas gab und es vielleicht darum nie forderte, kam nur bei seltenen Gelegenheiten in das Zimmer, um irgend eine Hausfrauenpflicht zu erledigen. Er forderte sie nicht auf, die Bilder anzusehen, und sie tat es auch niemals. Das war für Soames ein neuer Kummer. Er haßte ihren Stolz und fürchtete ihn heimlich.

      Aus der Spiegelscheibe des Bilderladens schaute sein eigenes Bild ihn an.

      Sein schlichtes Haar unter der Krempe des großen Hutes hatte einen Glanz wie der Hut selbst. Seine blassen schmalen Wangen, die Linie seiner glatt rasierten Lippen, das feste Kinn mit dem vom Rasieren grauen Schimmer und die zugeknöpfte Straffheit seines schwarzen Schoßrockes machten einen Eindruck von Zurückhaltung und Verschwiegenheit, von unerschütterlicher, sicherer Gelassenheit; aber seine kalten grauen Augen mit dem gespannten Blick und der Falte zwischen den Brauen, musterten ihn nachdenklich, als wüßten sie von einer geheimen Schwäche.

      Er sah nach dem Gegenstand der Bilder, dem Namen der Maler und berechnete ihren Wert, aber ohne die Befriedigung, die ihm dieses innerliche Taxieren sonst gewährte, und ging weiter.

      Nummer 62 würde für ein weiteres Jahr völlig ausreichen, wenn er sich entschloß zu bauen! Die Zeiten waren günstig zum Bauen, Geld war seit Jahren nicht so teuer gewesen; und die Baustelle, die er bei Robin Hill gesehen hatte, als er im Frühjahr hingefahren war um Nicholls Hypotheken zu prüfen – wo konnte er eine bessere finden! Zwölf Meilen von Hyde Park Corner gelegen, würde der Wert des Bodens sicher steigen und immer mehr einbringen als er dafür zahlte, so daß ein wirklich in gutem Stil gebautes Haus die beste Kapitalanlage war.

      Das Bewußtsein, der einzige in der Familie zu sein, der ein Landhaus besaß, kam bei ihm kaum in Betracht, denn für einen echten Forsyte waren Gefühle, selbst das Gefühl der gesellschaftlichen Stellung, ein Luxus, den man sich erst gestatten durfte, nachdem das Verlangen nach mehr materiellen Freuden gestillt war.

      Irene aus London fortbringen, ihr die Möglichkeit nehmen auszugehen und Leute zu sehen, sie von ihren Freunden trennen und von allen die ihr den Kopf verdrehten! Das war's! Sie war zu dick befreundet mit June! June konnte ihn nicht leiden. Er erwiderte dies Gefühl. Sie waren von gleichem Blut.

      Alles wäre gewonnen, wenn er Irene aus der Stadt herausbekommen konnte. Das Haus würde ihr gefallen, und es machte ihr vielleicht Spaß, sich an der Ausschmückung mit zu beteiligen, sie hatte sehr künstlerische Anlagen!

      Das Haus mußte in gutem Stil gebaut sein, so daß immer ein guter Preis zu erzielen war, mußte etwas Eigenartiges sein, wie das letzte Haus von Parker, das einen Turm hatte. Aber Parker hatte ihm selbst gesagt, sein Baumeister habe ihn ruiniert. Man wisse nie, woran man mit diesen Leuten sei. Hatten sie einen Namen, so veranlaßten sie einen zu Ausgaben ohne Ende und wären noch dünkelhaft obendrein.

      Und einen gewöhnlichen Architekten zu wählen, hatte keinen Sinn – der Gedanke an Parkers Turm schloß die Verwendung eines gewöhnlichen Architekten aus.

      Darum hatte er an Bosinney gedacht. Nach der Gesellschaft bei Swithin hatte er Erkundigungen eingezogen, deren Resultat dürftig aber ermutigend war:

      »Einer von der neuen Richtung.«

      »Tüchtig?«

      »Das wohl – aber ein bißchen – ein bißchen hoch hinaus!«

      Es war ihm nicht gelungen ausfindig zu machen, was für Häuser Bosinney gebaut hatte, noch wie seine Preise waren. Er hatte den Eindruck gewonnen, als würde er selber die Bedingungen stellen können. Je mehr er über die Idee nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. Damit würde die Sache in der Familie bleiben, der Gedanke kam den Forsytes förmlich instinktmäßig; und er erhielt es wohl zu Vorzugspreisen, wenn nicht gar unter den billigsten Bedingungen – das war auch ganz in der Ordnung, wenn man bedachte, daß Bosinney Gelegenheit gegeben war, seine Talente zu entfalten, denn das Haus durfte kein gewöhnliches Bauwerk sein.

      Soames freute sich bei dem Gedanken an die Aufträge, die es dem jungen Manne sicher einbringen würde; denn wie jeder Forsyte konnte er durch und durch Optimist sein, wenn irgend etwas dabei zu gewinnen war.

      Bosinneys Bureau befand sich ganz in der Nähe, in der Sloane Street, so daß er die Pläne beständig würde überwachen können.

      Übrigens würde Irene wohl auch nichts dagegen haben London zu verlassen, wenn der Bräutigam ihrer besten Freundin die Sache bekäme. Junes Heirat hing vielleicht davon ab. Irene konnte anstandshalber ihrer Heirat nicht im Wege stehen; das würde sie niemals tun, dazu kannte er sie zu gut. Und June würde sich freuen, darin sah er auch einen Vorteil.

      Bosinney sah gescheit aus, aber er machte auch den Eindruck – und das war einer seiner größten Vorzüge – als wäre er nicht recht auf seinen Vorteil bedacht; in Geldsachen war es gewiß leicht, mit ihm fertig zu werden. Soames hatte bei diesen Betrachtungen nicht im Sinne dies auszunutzen; es war eine ganz natürliche Anschauungsweise bei ihm – die Anschauungsweise jedes guten Geschäftsmannes – all der Tausende von guten Geschäftsleuten, an denen vorbei er sich seinen Weg durch Ludgate Hill bahnte.

      Er handelte also nach den unerforschlichen Gesetzen seiner großen Klasse – nach den Gesetzen der Natur selbst – wenn er mit einem Gefühl von innerer Zufriedenheit daran dachte, daß es leicht sein würde, in Geldsachen mit Bosinney fertig zu werden.

      Während er sich weiter durch das Gewühl drängte, zog die Kuppel des St. Paulsdomes seine Blicke auf sich, die er sonst auf den Boden vor sich geheftet hielt. Dieser alte Dom übte einen eigentümlichen Zauber auf ihn aus, und er pflegte nicht nur einmal, sondern zwei-, dreimal in der Woche seine tägliche Pilgerfahrt zu unterbrechen, hineinzugehen und sich fünf oder zehn Minuten in den Seitenschiffen aufzuhalten, um die Namen und Inschriften auf den Grabmälern zu betrachten. Der Reiz, den diese große Kirche auf ihn ausübte, war unerklärlich, es sei denn, daß es ihm darin gelang, seine Gedanken auf die Angelegenheiten des Tages zu konzentrieren. Wenn irgend eine Sache, die von besonderer Bedeutung war oder besonderen Scharfsinn erforderte, auf seiner Seele lastete, ging er unwandelbar hinein und wanderte mäuschenstill von Inschrift zu Inschrift. Und wenn er dann auf die gleiche geräuschlose Weise wieder umkehrte, pflegte er, jedesmal ein klein wenig mehr eigensinnige Entschlossenheit in seinem Gang, die Straße hinaufzugehen, als hätte er etwas gesehen, das zu kaufen er sich vorgenommen hatte.

      Auch an diesem Morgen ging er hinein, aber anstatt sich von Grabmal zu Grabmal zu stehlen, richtete er die Augen empor zu den Säulen und Wandflächen und blieb regungslos stehen.

      Sein emporgewandtes Gesicht mit dem andächtigen, ehrfurchtsvollen Ausdruck, den Gesichter in der Kirche anzunehmen pflegen, war weiß wie Kalk geworden in dem weiten Gebäude. Die behandschuhten Hände hatte er vor sich über


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