Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
hohen Eiche mit vom Alter geborstenem Stamm und einem ungeheuren Dach von Zweigen und Laub, die am Rande der Anhöhe stand.
Soames mußte seine Schulter berühren, ehe er aufblickte.
»Ah! Forsyte,« sagte er, »ich hab einen Platz für Ihr Haus gefunden. Da, sehen Sie!«
Soames sah ihn sich an und sagte dann kühl:
»Alles sehr gut und schön, aber dieser Platz würde mich noch einmal so viel kosten.«
»Zum Henker mit den Kosten, Mensch! Sehen Sie sich die Aussicht an!«
Fast ihnen zu Füßen erstreckte das reife Korn sich bis zu einem kleinen dunkeln Wäldchen drüben, wo es sich verlor. Weite Felder und Hecken dehnten sich bis zu dem fernen graublauen Hügelland. Zur Rechten sah man in einem silbernen Streifen den Lauf des Flusses.
Der Himmel war so blau und die Sonne so strahlend, daß es war, als herrsche ein ewiger Sommer über dieser Gegend. Taumelig im reinen Äther wirbelten die Flocken der Distelblüte rund um sie her. Die Hitze tanzte über dem Korn, und alles durchdringend ward sie zu einem leisen, unmerklichen Summen zwischen Himmel und Erde, festlich wie das Gemurmel fröhlicher Minuten.
Soames sah sich um. Unwillkürlich schwellte etwas ihm die Brust. Hier im Anblick von alledem zu leben, es seinen Freunden zeigen zu können, sich darüber zu unterhalten, es zu besitzen! Seine Wangen glühten. Die Hitze, der Glanz, die Glut nahmen seine Sinne gefangen wie vor vier Jahren Irenens Schönheit seine Sinne gefangen genommen und in ihm das Verlangen nach ihr erweckt hatten. Er warf verstohlen einen Blick auf Bosinney, dessen Augen, die Augen des ›Jahrmarkt-Tigers‹, wie der Kutscher ihn genannt hatte, wild über die Landschaft zu schweifen schienen. Die Sonne fiel auf die vorspringenden Teile seines Gesichts, auf die vorstehenden Backenknochen, die Spitze seines Kinns und die vertikalen Erhöhungen über den Brauen. Und Soames beobachtete dies kräftige, enthusiastische, unbekümmerte Gesicht mit einem unbehaglichen Gefühl.
Eine lange leise Windwelle kräuselte das Korn und wehte ihnen einen warmen Lufthauch ins Gesicht.
»Ich könnte Ihnen hier ein Mordsding herbauen,« sagte Bosinney, der endlich das Schweigen unterbrach.
»Das will ich meinen,« erwiderte Soames trocken. »Sie brauchen es nicht zu bezahlen.«
»Für etwa achttausend könnte ich Ihnen einen Palast bauen.«
Soames war sehr blaß geworden – er kämpfte mit sich. Er senkte die Augen und sagte eigensinnig:
»Das kann ich mir nicht leisten.«
Und langsam schritt er mit seinem schleichenden Gang den Weg zu der ersten Baustelle zurück.
Sie verbrachten dort einige Zeit, da sie die Einzelheiten des geplanten Hauses besprachen, und Soames begab sich dann nochmals in das Haus des Agenten.
Nach etwa einer halben Stunde kam er wieder heraus und ging mit Bosinney zum Bahnhof.
»Also,« sagte er, kaum die Lippen öffnend, »ich habe schließlich doch Ihre Baustelle genommen.«
Dann schwieg er wieder und dachte betroffen darüber nach, wie es gekommen war, daß dieser Mensch, den er eigentlich verachtete, ihn in seinem eigenen Entschluß hatte wankend machen können.
Fünftes Kapitel
Eine Forsytesche Häuslichkeit
Wie Tausende von Aufgeklärten seiner Klasse und seiner Generation in dem großen London, die nicht mehr an rote Plüschmöbel glauben und wissen, daß moderne italienische Marmorgruppen › vieux jeu‹ sind, bewohnte Soames Forsyte ein Haus, das allen Ansprüchen genügte. Es hatte einen kupfernen Türklopfer von eigenartiger Gestalt, Fenster, die sich nach außen öffnen ließen, hängende, mit Fuchsien gefüllte Blumenbretter, und an der Rückseite (sehr vornehm) einen kleinen, mit nephritgrünen Fliesen belegten Hof, von rosenroten Hortensien in pfaublauen Kübeln umgeben. Hier konnten sich unter einem pergamentfarbenen japanischen Sonnenschirm, der den ganzen Raum bedeckte, Bewohner und Gäste vor neugierigen Blicken schützen, wenn sie ihren Tee tranken und in Muße die neuesten von Soames' kleinen silbernen Dosen betrachteten.
Bei der inneren Einrichtung waren der Empirestil und William Morris bevorzugt. Für seine Größe war das Haus behaglich; überall waren zahllose kleine, Vogelnestern gleichende Nischen, und kleine silberne Nippsachen lagen umher wie Eier.
In dieser allgemeinen Vollkommenheit waren zwei verschiedene Geschmacksrichtungen sehr wählerischer Art mit einander im Streit. Es lebte eine Herrin darin, die sich auf einem wüsten Eiland ein zierliches Heim zu schaffen gewußt hätte, und ein Gebieter, dessen Schönheitssinn, den er nur im Gedanken an sein Emporkommen pflegte, eigentlich eine den Gesetzen des Wettbewerbs entsprechende Kapitalsanlage war.
Dieser berechnete Schönheitssinn hatte bei Soames schon in seiner Schulzeit das Verlangen erweckt, der erste unter den Jungen zu sein, der im Sommer weiße und im Winter Manchesterwesten trug, sie hatte ihn davor bewahrt, öffentlich mit verschobener Krawatte zu erscheinen und ihn veranlaßt, seine Lackstiefel blank zu reiben, wenn sich bei der Schulfeier eine große Menge versammelte, um ihn Molière rezitieren zu hören.
Wie vielen Londonern, war Soames eine makellose Sauberkeit angeboren; es war unmöglich, sich vorzustellen, daß bei ihm ein Härchen in Unordnung geraten könnte, daß seine Krawatte ein Haar breit von der senkrechten Linie abweichen, sein Kragen ohne Glanz sein könnte. Nicht um die Welt hätte er auf sein tägliches Bad verzichtet – es war Mode Bäder zu nehmen, und mit welch bitterer Verachtung sah er auf Leute herab, die es unterließen!
Irene aber konnte man sich als Nymphe vorstellen, die von der Frische und dem Anblick ihrer eigenen holden Gestalt erfreut, in verstecktem Weiher badet.
In diesem häuslichen Konflikt hatte die Frau nachgeben müssen. Wie bei dem Kampf zwischen Sachsen und Kelten, der noch in der Nation fortlebte, war das eindrucksfähigere und empfänglichere Temperament in eine konventionelle Form hineingezwängt worden.
So war das Haus nun von hundert andern Häusern mit den gleichen hohen Ansprüchen kaum zu unterscheiden, war: ›Das reizende kleine Haus von Soames Forsyte geworden, ganz eigenartig – wirklich elegant!‹
Liest man für Soames Forsyte James Peabody, Thomas Atkins, Emmanuel Spagnoletti oder den Namen sonst irgend eines Engländers des besseren Mittelstandes in London, der Anspruch auf guten Geschmack erhebt, so paßt derselbe Satz auf sie, mag die Einrichtung auch verschieden sein.
Am Abend des achten August, eine Woche nach der Expedition nach Robin Hill, saßen im Speisezimmer dieses Hauses, das – ganz eigenartig – wirklich elegant! – war, Soames und Irene bei Tisch. Warmes Mittagessen am Sonntag galt in diesem, wie vielen andern Häusern als eine besondere Vornehmheit. Soames hatte es gleich zu Anfang seiner Ehe zur Bedingung gemacht. »Es muß am Sonntag warmes Mittagessen geben,« pflegte er zu sagen, »sonst haben die Dienstboten nichts zu tun und spielen den ganzen Tag Harmonika.«
Die Anordnung war keinem Widerstand begegnet. Denn – Soames sah es als ein ziemlich bedauerliches Zeichen an – die Dienstboten hingen an Irene, die aller unverletzlichen Tradition zum Trotz, deren Recht auf einen Anteil an den Schwächen der menschlichen Natur anzuerkennen schien.
Das glückliche Paar saß sich nicht gegenüber, sondern an den rechtwinklig zu einander stehenden Seiten des hübschen Tisches aus Rosenholz. Sie speisten ohne Tischtuch – eine besondere Eleganz – und hatten bis jetzt noch kein Wort gesprochen.
Soames liebte es, sich bei Tisch von Geschäften oder seinen Einkäufen zu unterhalten, und solange er sprach, verstimmte Irenens Schweigsamkeit ihn nicht. An diesem Abend aber war es ihm unmöglich zu sprechen. Die Absicht zu bauen hatte ihm die ganze Woche auf der Seele gelastet, und er war entschlossen, es ihr zu sagen.
Die Unruhe angesichts dieser Eröffnung erregte ihn sehr; sie durfte ein solches Gefühl in ihm nicht aufkommen