Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
zeichnete, sank an seiner Seite nieder und schluchzte:
»Ach Phil, es ist alles so gräßlich!« Ihr Herz war so warm wie die Farbe ihres Haares.
Am folgenden Sonntagmorgen, während Soames sich rasierte, wurde ihm gemeldet, daß Mr. Bosinney unten sei und ihn zu sprechen wünsche. Er öffnete die Tür zum Zimmer seiner Frau und sagte:
»Bosinney ist unten. Geh doch hinunter zu ihm bis ich fertig bin. Ich komme in einem Augenblick. Er ist wahrscheinlich wegen der Pläne hier.«
Irene sah ihn an, ohne etwas zu erwidern, beendete ihre Toilette und ging hinunter.
Er konnte nicht dahinter kommen, wie sie über dies Haus dachte. Sie hatte nichts dagegen gesagt und schien, soweit es Bosinney betraf, sogar sehr freundlich dafür gestimmt.
Vom Fenster seines Ankleidezimmers aus konnte er die beiden unten in dem kleinen Hof mit einander plaudern sehen.
Er beeilte sich mit dem Rasieren und schnitt sich zweimal dabei ins Kinn. Er hörte sie lachen und dachte im stillen: »Sie werden jedenfalls ganz gut miteinander fertig!«
Wie er erwartet hatte, war Bosinney gekommen, um ihn zur Besichtigung der Pläne abzuholen.
Er nahm seinen Hut und ging mit hinüber.
Die Pläne lagen ausgebreitet auf dem Eichentisch in Bosinneys Bureau, und Soames stand blaß, gelassen und forschend lange über sie gebeugt, ohne zu sprechen.
Schließlich sagte er unsicher:
»Das ist ja ein sehr merkwürdiges Haus!«
Die Zeichnung stellte ein rechtwinkliges, zweistöckiges Haus dar, das einen viereckigen Lichthof umschloß. Dieser war in der Höhe des oberen Stockwerks von einer Galerie umgeben und mit einem von acht Säulen getragenen Glasdach überdeckt, die vom Boden emporstiegen.
Für die Augen eines Forsyte war es allerdings ein merkwürdiges Haus.
»Es ist eine Menge Raum verschwendet,« fuhr Soames fort.
Bosinney fing an auf und ab zu gehen, und Soames gefiel der Ausdruck in seinem Gesicht nicht.
»Der Hauptzweck dieses Hauses,« sagte der Architekt, »ist, Ihnen Raum zum Atmen zu schaffen – wie es sich für einen Gentleman gehört!«
Soames spreizte Zeigefinger und Daumen, wie um den Umfang der Vornehmheit zu messen, die er erlangen würde, und erwiderte:
»Jawohl; ich verstehe!«
Ein eigentümlicher Ausdruck, der seinen ganzen Enthusiasmus verriet, kam in Bosinneys Gesicht.
»Ich habe versucht, Ihnen hier den Plan eines Hauses von einer gewissen Eigenart zu zeichnen. Wenn es Ihnen nicht gefällt, sagen Sie es lieber gleich. Allerdings ist es ja – wenn jemand Eigenart von seinem Hause verlangt – das letzte, worauf es ankommt, ob man irgendwo noch einen Toiletteraum hineinzwängen kann!« Er zeigte mit dem Finger plötzlich auf den linken Teil des mittleren Rechtecks: »Hier haben Sie Raum sich zu bewegen. Das ist für Ihre Bilder, durch Vorhänge vom Hof getrennt; wenn man sie zurückzieht, entsteht ein Raum von einundfünfzig, zu dreiundzwanzig Fuß. Dieser zweiseitige Ofen in der Mitte hier, geht mit einer Seite auf den Hof und mit der andern auf den Bildersaal; diese Wand besteht ganz aus Fenstern, durch sie fällt das Licht von Südosten, und Nordlicht kommt vom Hof her. Die übrigen Bilder können Sie oben rund um die Galerie aufhängen oder in den andern Zimmern. In der Architektur,« fuhr er fort und schien Soames nicht zu sehen, obwohl sein Blick auf ihn gerichtet war, was diesem ein unbehagliches Gefühl bereitete – »wie im Leben gibt es keine Eigenart ohne Regelmäßigkeit. Man wird Ihnen sagen, daß das altmodisch ist. Jedenfalls scheint es sonderbar, daß es uns niemals in den Sinn kommt, das Hauptprinzip des Lebens in unsern Bauten zu verkörpern; wir überladen unsere Häuser mit Verzierungen, Krimskrams, Erkern und allerlei, was das Auge abzieht. Das Auge soll im Gegenteil Ruhe finden; man muß mit wenigen starken Linien eine Wirkung erzielen. Wovon alles abhängt, das ist Regelmäßigkeit – ohne die gibt es keine Eigenart!«
Mit unbewußtem Spott heftete Soames seinen Blick auf Bosinneys Krawatte, die durchaus nicht schnurgerade herabhing; er war auch unrasiert und sein Anzug zeichnete sich nicht gerade durch Ordnung aus. Die Architektur schien seine ganze Regelmäßigkeit erschöpft zu haben.
»Wird es nicht wie eine Kaserne aussehen?«
Er erhielt nicht sogleich eine Antwort.
»Ich verstehe schon,« sagte Bosinney, »Sie wollen eins von Littlemasters Häusern – eins jener hübschen, bequemen, wo die Dienstboten in Dachstuben wohnen und die Haustür tiefer liegt, so daß man gleich zu steigen hat. Gehen Sie doch ja zu Littlemaster, er ist ein vortrefflicher Mensch, ich kenne ihn seit lange!«
Soames erschrak. Die Pläne hatten wirklich Eindruck auf ihn gemacht und er hatte seine Befriedigung nur ganz instinktiv verheimlicht. Es wurde ihm schwer, seine Anerkennung auszusprechen. Er verachtete Leute, die freigebig mit ihrem Lobe waren.
Nun befand er sich in der peinlichen Lage, ein Kompliment aussprechen zu müssen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, etwas Vorteilhaftes zu verlieren. Bosinney war ganz der Mann dazu, die Pläne zu zerreißen und sich zu weigern, weiter für ihn zu arbeiten; er war wie ein großes Kind!
Dieses Wesen eines großen Kindes, dem gegenüber er sich so überlegen fühlte, übte auf Soames eine merkwürdige, beinahe magnetische Wirkung aus, denn er hatte niemals etwas Ähnliches in sich gefühlt.
»Ja,« stotterte er endlich, »es ist – es ist jedenfalls originell!«
Er empfand ein geheimes Mißtrauen, ja, sogar eine solche Abneigung gegen das Wort ›originell‹, daß er das Gefühl hatte, sich mit dieser Bemerkung eigentlich nichts zu vergeben.
Bosinney schien erfreut. So etwas mußte einen Menschen wie ihn natürlich freuen! Und Soames ermutigte dieser Erfolg.
»Es ist – ein großes Haus,« sagte er.
»Raum, Licht und Luft,« hörte er Bosinney murmeln, »in Littlemasters Häusern kann man nicht wie ein Gentleman leben – er baut für Fabrikanten.«
Soames machte eine abbittende Bewegung; er war mit einem Gentleman auf eine Stufe gestellt worden; um keinen Preis hätte er sich jetzt noch zu den Fabrikanten rechnen lassen mögen. Doch sein angeborenes Mißtrauen gegen allgemeine Prinzipien erwachte aufs neue. Was zum Teufel hatte es für einen Zweck über Regelmäßigkeit und Eigenart zu reden? Er hatte den Eindruck, als würde das Haus kalt sein.
»Irene verträgt keine Kälte!« sagte er.
»So!« sagte Bosinney sarkastisch. »Ihre Frau? Sie liebt die Kälte nicht? Das lassen Sie meine Sorge sein; sie wird nicht frieren. Sehen Sie hier!« er wies auf vier Zeichen in regelmäßigen Abständen an den Wänden des Hofes. »Ich habe hier Wasserheizung in Aluminiumkörpern vorgesehen; man bekommt sie in sehr hübschen Formen.«
Mißtrauisch betrachtete Soames diese Zeichen.
»Das ist alles sehr gut und schön,« sagte er, »aber was wird es kosten?«
Der Architekt zog einen Bogen Papier aus der Tasche.
»Das Haus müßte eigentlich ganz in Stein gebaut werden, da ich aber annahm, daß es Ihnen zu teuer sein würde, habe ich mich für eine Verblendung entschlossen. Es sollte ein kupfernes Dach haben, aber ich habe statt dessen grünen Schiefer genommen. Im Ganzen, einschließlich der Metallarbeiten, wird es Sie achttausend fünfhundert Pfund kosten.«
»Achttausend fünfhundert?« sagte Soames. »Aber ich habe Ihnen doch achttausend als äußerste Grenze genannt!«
»Unmöglich für einen Groschen weniger,« erwiderte Bosinney kühl. »Sie müssen sich dazu entschließen oder es ganz aufgeben!«
Dies war vielleicht die einzige Art, in der man Soames einen solchen Vorschlag machen konnte. Er war in die Enge getrieben. Eine innere Stimme riet ihm, die ganze Sache fallen zu lassen. Aber die Zeichnung war gut, das wußte er – und es lag eine gewisse Würde über allem, nichts fehlte; selbst die