Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
war.
Er vertiefte sich wieder in die Pläne, während Bosinney in sein Schlafzimmer ging, um sich zu rasieren und anzukleiden.
Schweigend gingen die beiden zurück zum Montpellier Square, wobei Soames ihn mit einem Seitenblick beobachtete.
Der Bukanier ist eigentlich ein hübscher Mensch – dachte er – wenn er anständig angezogen ist.
Irene stand über ihre Blumen gebeugt, als die beiden Herren eintraten.
Sie sprach davon, June herüber holen zu lassen.
»Nein, nein,« sagte Soames, »wir haben noch Geschäftliches zu besprechen.«
Beim Lunch war er fast herzlich und nötigte Bosinney fortwährend zum Essen. Er freute sich, ihn in so guter Laune zu sehen und ließ ihn den Nachmittag über mit Irene allein, während er, seiner sonntäglichen Gewohnheit nach, seinen Bildern verstohlen einen Besuch abstattete. Zur Teezeit ging er ins Wohnzimmer hinunter und fand sie in einer Unterhaltung, die wie er es ausdrückte, vom Hundertsten ins Tausendste ging.
Er stand unbemerkt in der Tür und beglückwünschte sich dazu, daß alles ins richtige Geleis gekommen war. Ein Glück, daß sie und Bosinney gut mit einander standen; sie schien anzufangen, sich mit der Idee des neuen Hauses zu befreunden.
Bei ruhiger Überlegung unter seinen Bildern hatte er beschlossen, die fünfhundert Pfund noch zuzuschießen, wenn es notwendig war, aber er hoffte, daß der Nachmittag Bosinneys Kostenanschlag vielleicht herabgemindert hatte. Es war ihm sicher ein Leichtes die Sache zu ändern; es mußte doch mehr als einen Weg geben die Kosten zu verringern, ohne die Wirkung zu beeinträchtigen.
Er wartete darum eine gelegene Zeit ab, bis Irene dem Architekten die erste Tasse Tee reichte. Ein Sonnenstrahl, der durch die Spitzen des Fenstervorhangs fiel, wärmte ihre Wange, leuchtete im Gold ihres Haares und in ihren sanften Augen. Derselbe Strahl vielleicht erhöhte auch Bosinneys Farbe und gab seinem Gesicht diesen fast bestürzten Ausdruck.
Soames war Sonnenschein verhaßt, darum stand er sofort auf und zog die Vorhänge zu. Darauf nahm er seine Tasse Tee aus den Händen seiner Frau und sagte in kühlerem Ton als er beabsichtigt hatte:
»Gibt es keine Möglichkeit, es doch für achttausend zu machen? Sie könnten gewiß eine Menge Kleinigkeiten ändern?«
Bosinney trank seine Tasse in einem Zuge aus und antwortete:
»Nicht eine!«
Soames sah, daß seine Frage einen ungreifbaren Punkt seiner persönlichen Eitelkeit getroffen hatte.
»Gut,« erwiderte er in verdrießlicher Nachgiebigkeit, »es muß wohl alles nach Ihrem Willen gehen.«
Wenige Minuten später erhob Bosinney sich um zu gehen, und Soames stand ebenfalls auf, um ihn hinauszubegleiten. Der Architekt schien in unglaublich guter Laune zu sein. Nachdem er ihn mit raschen Schritten hatte fortgehen sehen, kehrte Soames verstimmt ins Wohnzimmer zurück, wo Irene die Noten wegräumte, und fragte in einem Anfall unwiderstehlicher Neugierde:
»Na, wie findest du denn den Bukanier?«
Er sah auf den Teppich, während er auf ihre Antwort wartete, und die ließ eine ganze Weile auf sich warten.
»Ich weiß nicht,« sagte sie schließlich.
»Findest du, daß er gut aussieht?«
Irene lächelte. Und Soames hatte die Empfindung, daß sie sich über ihn lustig mache.
»Ja,« erwiderte sie, »sehr!«
Neuntes Kapitel
Tante Anns Tod
Gegen Ende September kam ein Morgen, an dem Tante Ann unfähig war, die Abzeichen ihrer persönlichen Würde aus den Händen ihres Mädchens entgegen zu nehmen. Nach einem Blick auf das alte Gesicht verkündigte der Arzt, den man eiligst herbeigerufen hatte, daß Miß Forsyte hinübergeschlummert sei.
Tante Juley und Hester waren von Schreck überwältigt. An ein solches Ende hatten sie nie gedacht. Wahrscheinlich hatten sie sich überhaupt niemals vorgestellt, daß einmal ein Ende kommen mußte. Im geheimen fanden sie es unbegreiflich von Ann, sie so ohne ein Wort, ja selbst ohne jeden Kampf verlassen zu haben. Es sah ihr gar nicht ähnlich.
Was sie so tief ergriff, war vielleicht der Gedanke, daß eine Forsyte das Leben so hatte fahren lassen können. Wenn einer, warum dann nicht alle!
Es währte eine volle Stunde, ehe sie sich entschließen konnten es Timothy zu sagen. Wenn man es ihm doch nur verheimlichen könnte! Oder es ihm allmählich beibringen!
Lange standen sie flüsternd vor seiner Tür. Und als es überstanden war, flüsterten sie wieder mit einander.
Sie fürchteten, daß er es mit der Zeit immer mehr empfinden würde. Indessen hatte er es besser aufgenommen, als sie erwarten konnten. Allerdings mußte er das Bett hüten!
Tante Juley blieb, von dem Schlag niedergeworfen, in ihrem Zimmer. Ihr von Tränen entstelltes Gesicht war durch kleine Wülste vorquellenden Fleisches, das vor Erregung geschwollen war, in Felder eingeteilt. Ein Leben ohne Ann, mit der sie, nur durch das Interregnum ihrer kurzen Ehe, die ihr jetzt so unwirklich vorkam, dreiundsiebzig Jahre zusammen gelebt hatte, schien ihr undenkbar. In bestimmten Zwischenräumen ging sie an ihre Kommode und nahm unter den Lavendelsäckchen ein frisches Taschentuch heraus. Ihr warmes Herz konnte den Gedanken nicht ertragen, daß Ann so kalt dalag.
Tante Hester, die schweigsame, geduldige, dies Stauwasser der Familienenergie, saß bei zugezogenen Vorhängen im Wohnzimmer. Auch sie hatte zuerst geweint, aber still, ohne sichtbare Wirkung. Ihr Hauptprinzip, die Energie aufrecht zu erhalten, verließ sie auch im Kummer nicht. Schmächtig und reglos saß sie da, den Blick unverwandt auf den Kaminrost gerichtet, die Hände müßig im Schoße ihres schwarzen Seidenkleides. Bald würde man sie wahrscheinlich aufstören und verlangen, daß sie etwas tue. Als ob das irgend einen Zweck hätte! Es würde Ann nicht wieder zum Leben zurückrufen. Wozu quälte man sie?
Zum Tee um fünf Uhr kamen drei von den Brüdern, Jolyon, James und Swithin. Nicholas war in Yarmouth und Roger hatte einen schweren Gichtanfall. Mrs. Hayman, die vorher schon allein dagewesen und nachdem sie Ann gesehen, wieder fortgegangen war, hatte Timothy sagen lassen – doch wurde es ihm nicht bestellt – man hätte es sie früher wissen lassen sollen. Eigentlich beherrschte sie alle ein Gefühl, daß man sie früher hätte benachrichtigen sollen, als ob sie dadurch etwas versäumt hätten. James sagte schließlich:
»Ich habe es lange kommen sehen; sagte ich euch nicht, sie werde den Sommer nicht überleben?«
Tante Hester antwortete nicht darauf; es war fast Oktober, aber wozu darüber streiten; manche Leute sind nie zufrieden.
Sie schickte hinauf, um der Schwester sagen zu lassen, daß die Brüder da wären. Mrs. Small kam sofort herunter. Sie hatte ihr Gesicht gebadet, das noch immer geschwollen war, und obwohl sie streng auf Swithins Beinkleider blickte, denn sie waren von hellem Blau – er war direkt aus dem Klub gekommen, wo die Nachricht ihn erreicht hatte – sah sie heiterer aus als sonst, denn ihr Instinkt das Verkehrte zu tun, verleugnete sich auch jetzt nicht.
Alsdann gingen alle fünf hinauf um die Leiche zu sehen. Unter das reine weiße Laken war eine Steppdecke gebreitet, denn jetzt bedurfte Tante Ann der Wärme mehr denn je; die Kissen waren entfernt, und Kopf und Rücken ruhten flach in unbeugsamer Steifheit, wie man sie ihr Leben lang gekannt. Ein Häubchen, an beiden Seiten bis zu den Ohren herabgezogen, umrahmte ihre Stirn, und zwischen ihm und dem weißen Laken wandte sich ihr Gesicht, fast ebenso weiß wie dies, mit geschlossenen Augen den Gesichtern ihrer Brüder und Schwestern zu. In seinem unaussprechlichen Frieden war das Gesicht kräftiger denn je, fast nur Knochen unter dem kaum runzligen Pergament der Haut – das eckige Kinn, Kiefer, Backenknochen, die Stirn mit den eingefallenen Schläfen, die gemeißelte Nase – diese