Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

Die Forsyte-Saga - John Galsworthy


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ich nur sagen, daß die Summe, da es sich um frühere Dienste handelt, zu groß ist.«

      Der Aktionär setzte sich.

      Der alte Jolyon wartete eine Sekunde und sagte dann: »Ich beantrage nun, daß der Bericht und –«

      Der Aktionär erhob sich abermals.

      »Darf ich fragen, ob die Herren des Aufsichtsrats sich vergegenwärtigt haben, daß es nicht ihr Geld ist, daß – ich zögere nicht zu sagen, daß, wenn es ihr Geld wäre –«

      Ein anderer Aktionär mit einem runden unfreundlichen Gesicht, den Soames als den Schwager des verstorbenen Oberinspektors erkannte, stand auf und sagte warm: »Meiner Meinung nach genügt die Summe nicht!«

      Jetzt sprang Pastor Boms auf. »Wenn ich eine Äußerung wagen darf,« begann er, »möchte ich sagen, die Tatsache, daß der – hm – der Verstorbene Selbstmord begangen hat, müßte bei unserem verehrten Vorsitzenden schwer – sehr schwer ins Gewicht fallen. Ich zweifle nicht, daß dies der Fall gewesen ist, denn – ich spreche für mich und ich denke im Namen jedes einzelnen der Anwesenden (hört – hört) – er erfreut sich in hohem Maße unsers Vertrauens. Wir alle, so hoffe ich, haben den Wunsch mildtätig zu sein. Aber ich bin sicher (er blickte streng zu dem Schwager des Verstorbenen hin), er wird irgendwie durch eine schriftliche Erklärung oder vielleicht besser durch eine Verminderung des Betrags unserer ernsten Mißbilligung darüber Rechnung tragen, daß ein so vielversprechendes und wertvolles Leben ruchlos einer Sphäre entrückt wurde, in der sowohl seine eigenen Interessen wie – wenn ich so sagen darf – unsere Interessen so gebieterisch sein Fortbestehen verlangten. Wir sollten – nein, wir dürfen – eine so ernste Pflichtvergessenheit nicht unterstützen.«

      Der geistliche Herr nahm seinen Platz wieder ein, und der Schwager des Verstorbenen erhob sich noch einmal: »Ich halte daran fest was ich gesagt habe; die Summe genügt nicht!«

      Der erste Aktionär fiel ein: »Ich bestreite die Rechtsgiltigkeit der Zahlung. Meiner Ansicht nach ist diese Zahlung nicht rechtsgiltig. Der Anwalt der Gesellschaft ist anwesend, ich darf ihm wohl die Frage vorlegen.«

      Aller Augen richteten sich auf Soames. Es war etwas vorgefallen!

      Kalt und mit festgeschlossenen Lippen erhob er sich; seine Nerven zitterten in ihm, seine Aufmerksamkeit riß sich endlich von jener Wolke los, die sein Gemüt bedrückte.

      »Der Punkt,« sagte er mit leiser dünner Stimme, »ist keineswegs klar. Da keine Aussicht auf künftige Entschädigung besteht, ist es zweifelhaft, ob die Zahlung streng rechtsgiltig ist. Auf Wunsch, kann die Ansicht des Gerichts darüber eingeholt werden.«

      Der Schwager des Verstorbenen runzelte die Stirn und sagte in nachdrücklichem Tone: »Wir zweifeln nicht daran, daß die Ansicht des Gerichts eingeholt werden kann. Darf ich um den Namen des Herrn bitten, der uns diese überraschende Mitteilung gemacht hat? Mr. Soames Forsyte? So, so!« Er blickte in spitziger Weise von Soames zum alten Jolyon hin.

      Röte überflog Soames' blasse Wangen, aber er blieb unbeirrt in seiner Überlegenheit. Der alte Jolyon heftete seine Augen auf den Sprecher.

      »Wenn,« sagte er, »der Schwager des Verstorbenen nichts mehr zu bemerken hat, beantrage ich, den Bericht und die Be –«

      In diesem Augenblick jedoch stand einer der fünf stillen, biederen Aktionäre auf, die Soames' Sympathie erweckt hatten. Er sagte:

      »Ich lehne den ganzen Antrag ab. Man erwartet von uns Mitleid mit Weib und Kindern dieses Mannes, die, wie Sie sagen, von ihm abhängig waren. Mag sein, daß sie es waren; mich geht es nichts an, ob es so war oder nicht. Ich protestiere im Prinzip gegen die ganze Sache. Es ist hohe Zeit, diesem sentimentalen Humanitarianismus Einhalt zu tun. Das Land geht dabei zugrunde. Ich protestiere dagegen, daß mein Geld an diese Leute gezahlt wird, von denen ich nichts weiß, die nichts getan haben es zu erwerben. Ich protestiere gegen das Ganze; das ist nicht Geschäft. Ich schlage deshalb vor, Bericht und Rechnungen zurückzugeben und die ganze Bewilligung zu streichen.«

      Der alte Jolyon war stehen geblieben, während der kräftige, ruhige Mann sprach. Die Rede erweckte ein Echo in allen Herzen, denn sie unterstützte die von allen kräftigen Männern so befürwortete Bewegung gegen die Freigebigkeit, die damals bereits unter den gesunderen Mitgliedern der Gesellschaft begonnen hatte.

      Die Worte »das ist kein Geschäft« hatten selbst auf den Aufsichtsrat Eindruck gemacht; jeder empfand insgeheim, daß es wirklich so war. Aber sie kannten auch das herrische Temperament und die Hartnäckigkeit des Vorsitzenden. Er mußte innerlich ebenfalls fühlen, daß es kein Geschäft war, aber er hatte für seinen eigenen Vorschlag einzutreten. Würde er darauf zurückkommen? Es war eigentlich nicht anzunehmen.

      Alle warteten in Spannung. Der alte Jolyon hob die Hand auf; die goldene Brille zwischen Zeigefinger und Daumen zitterte leicht mit einem leisen Anflug von Drohung.

      Er wandte sich zu dem kräftigen, ruhigen Aktionär.

      »Sie kennen ja die Leistungen des Verstorbenen bei Gelegenheit der Minen-Explosion, wünschen Sie wirklich trotzdem, daß ich den Abänderungsantrag stelle?«

      »Jawohl.«

      Der alte Jolyon tat es.

      »Stimmt irgend jemand dafür?« fragte er und sah sich ruhig um.

      Und nun empfand Soames, der seinen Onkel ansah, die Macht des Willens in dem alten Mann. Niemand rührte sich. Der alte Jolyon blickte dem kräftigen ruhigen Aktionär fest in die Augen und sagte:

      »Ich beantrage nun, ›den Bericht anzunehmen und die Beträge für das Jahr 1887 zu bewilligen.‹ Sie stimmen dafür? Alle, die dafür sind, unterzeichnen in gewohnter Weise. Dagegen – nicht. Angenommen. Die nächste Sache, meine Herren.«

      Soames lächelte. Allerdings, Onkel Jolyon hatte eine Art und Weise!

      Aber jetzt wandte seine Aufmerksamkeit sich wieder Bosinney zu. Sonderbar, daß der Gedanke an diesen Menschen ihn selbst in den Geschäftsstunden heimsuchte.

      Irenens Besuch des Hauses – aber das hatte ja nichts auf sich, nur hätte sie es ihm erzählen können; doch, sie erzählte ihm freilich nie etwas. Von Tag zu Tag wurde sie stiller und empfindlicher. Er wünschte zu Gott, daß das Haus fertig wäre und sie darin, fort von London. Die Stadt war nichts für sie, ihre Nerven waren nicht kräftig genug. Und der Unsinn mit den getrennten Zimmern war wieder aufgetaucht!

      Die Versammlung fing an sich aufzulösen. Unter der Photographie des verlorenen Schachtes wurde Hemmings von Pastor Boms beim Knopfloch festgehalten. Der kleine Mr. Booker verzog seine borstigen Brauen zu einem grimmigen Lächeln und rief dem alten Scrubsole ein paar Abschiedsworte zu. Die beiden haßten sich wie Gift. Es handelte sich zwischen ihnen um einen Teer-Vertrag, den der kleine Mr. Booker sich über des alten Scrubsole Kopf hinweg von der Gesellschaft für seinen Neffen gesichert hatte. Soames hatte das von Hemmings erfahren, der den Klatsch liebte, besonders über seine Direktoren, den alten Jolyon, vor dem er sich fürchtete, allerdings ausgenommen.

      Soames wartete eine Gelegenheit ab. Als der letzte Aktionär durch die Tür verschwand, näherte er sich seinem Oheim, der eben seinen Hut aufsetzte.

      »Kann ich eine Minute mit dir reden, Onkel Jolyon?«

      Es ist ungewiß, was Soames von dieser Unterredung erwartete. Abgesehen von jener etwas geheimnisvollen Scheu, die der alte Jolyon seiner philosophischen Ader oder wie Hemmings zweifellos gesagt haben würde – seines Kinnes wegen allen Forsytes im allgemeinen einflößte, bestand und hatte zwischen dem jüngeren und dem älteren Manne immer eine spitzige Feindseligkeit bestanden. Sie lauerte in der trockenen Art sich zu grüßen, in ihren unverblümten Anspielungen auf einander und war vielleicht durch des alten Jolyon Wahrnehmung der stummen Hartnäckigkeit (er nannte es schon eher ›Eigensinn‹) des jungen Mannes oder den geheimen Zweifel entstanden, auf seine Weise mit ihm fertig werden zu können.

      Diese beiden Forsytes, in mancher Hinsicht wahre Antipoden, besaßen jeder auf seine Art – in größerem Maße als die übrige Familie – jene notwendige, eingehende, kluge ›Geschäftseinsicht‹,


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