Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

Die Forsyte-Saga - John Galsworthy


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der junge Jolyon wider Erwarten, »und sie haben dir wohl auch gesagt, wer sie ist?«

      »Ja,« sagte der alte Jolyon, – »Soames' Frau!«

      Jo pfiff nicht. Seine eigenen Lebensumstände hatten ihm die Fähigkeit genommen bei einem solchen Anlaß zu pfeifen; er blickte seinen Vater nur an, und der Schatten eines Lächelns huschte über sein Gesicht.

      Wenn sein Vater es sah, achtete er dessen nicht.

      »Sie und June waren Busenfreundinnen!« murmelte er.

      »Arme kleine June!« sagte der junge Jolyon weich. Er dachte seiner Tochter als dreijähriges Kind.

      Plötzlich blieb der alte Jolyon stehen und sagte: »Ich glaube kein Wort davon, es ist alles Altweibergeschwätz. Rufe mir eine Droschke, Jo, ich bin totmüde!«

      Sie stellten sich an eine Ecke, um eine leere Droschke abzuwarten, während Wagen auf Wagen mit Forsytes jeder Gattung vom Zoo vorüberfuhr. Geschirre, Livreen, das glänzende Fell der Pferde glitzerten und leuchteten im Maiensonnenschein, und das Rollen der Räder jeder Equipage, ob Landauer, Kalesche, Viktoria oder Coupé, schien stolz zu verkünden:

      »I and my horses and my men you know,

       Indeed the whole turn-ut have cost a pot,

       But we were worth it every penny. Look

       At Master and at Missis now, the dawgs!

       Ease with security-ah! that's the ticket!«

      Und für einen Forsyte ist das bekanntlich die rechte Begleitung zum Spazierenfahren.

      Unter diesen Wagen kam einer, von zwei Falben gezogen, in schnellerer Fahrt als die andern vorbei. Er sprang auf seinen starken Federn, und die vier Personen in seinem Innern schienen zu schaukeln wie in einer Wiege.

      Dieses Gefährt zog die Aufmerksamkeit des jungen Jolyon auf sich, und plötzlich erkannte er auf dem Rücksitz Onkel James, der trotz seines weißer gewordenen Bartes nicht zu verkennen war. Ihm gegenüber saßen mit Sonnenschirmen, die den Rücken vor der Sonne schützten, Rachel Forsyte und ihre jüngere, aber verheiratete Schwester, Winifred Dartie, in tadellosen Toiletten und bewegten die Köpfe wie zwei Vögel, die sie im Zoo gesehen hatten. Neben James, nachlässig zurückgelehnt Dartie in einem nagelneuen, engzugeknöpften Gehrock, und an jedem Handgelenk einen breiten Streifen des sorgfältig vorgezogenen Leinen.

      Ein ganz besonderer, wenn auch gedämpfter Glanz, eine Spur mehr vom besten Firnis oder bester Politur gaben diesem Gefährt seinen Charakter und schienen es vor allen andern auszuzeichnen, als wäre es durch einen gewissen Schwung – wie er das wahre ›Kunstwerk‹ von einem gewöhnlichen ›Bilde‹ unterscheidet – der typische Triumphwagen, der eigentliche Thron des Forsytetums.

      Der alte Jolyon bemerkte ihr Vorüberfahren nicht; er tröstete Holly, die müde war, aber im Wagen waren sie auf die kleine Gruppe aufmerksam geworden; die Damen reckten plötzlich ihre Köpfe, mit krampfhaften Bewegungen wurden die Schirme vorgehalten, nur James' Gesicht mit langsam sich öffnendem Munde ragte unbefangen hervor, wie der Kopf eines großen Vogels. Dann wurden die schildartigen Schirmrunden kleiner und kleiner und verschwanden ganz.

      Der junge Jolyon hatte gesehen, daß er erkannt wurde, sogar von Winifred, die nicht mehr denn fünfzehn gewesen, da er sein Recht eingebüßt, als ein Forsyte betrachtet zu werden.

      Sie hatten sich nicht sehr verändert! Er erinnerte sich genau des Aussehns ihrer Equipage zu jener Zeit: Pferde, Leute, Wagen, alle waren ohne Zweifel heute andere, aber sie hatten ganz das gleiche Gepräge wie vor fünfzehn Jahren, die gleiche zierliche Aufmachung, der gleiche, klug berechnete Dünkel – Behagen und Sicherheit! Genau der Schwung, genau das Halten der Sonnenschirme, der Geist des Ganzen genau wie damals.

      Und von den stolzen Schilden der Schirme geschützt, kam Wagen auf Wagen im Sonnenschein vorüber.

      »Eben fuhr Onkel James mit seinen Damen vorbei,« sagte der junge Jolyon.

      Sein Vater blickte finster drein.

      »Hat dein Onkel uns gesehen? Ja? Hm! Was hat er denn in dieser Gegend zu suchen?«

      Eine leere Droschke näherte sich in diesem Augenblick, und der alte Jolyon hielt sie an.

      »Wir sehen uns bald wieder, mein Junge!« sagte er. »Kehre dich nicht daran, was ich über den jungen Bosinney gesagt habe – ich glaube kein Wort davon!«

      Er küßte die Kinder, die ihn zurückzuhalten suchten, stieg ein und fuhr davon.

      Der junge Jolyon, der Holly auf den Arm genommen hatte, blieb regungslos an der Ecke stehen und sah der Droschke nach.

      Siebentes Kapitel

      Ein Nachmittag bei Timothy

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn der alte Jolyon beim Einsteigen in seine Droschke gesagt hätte: Ich will kein Wort davon glauben, hätte es seine Empfindungen wahrer ausgedrückt.

      Das Gefühl von James und seinen Damen in Gesellschaft seines Sohnes gesehen worden zu sein, hatte in ihm nicht nur einen Unmut erweckt, der ihn immer überkam, wenn etwas ihn ärgerte, sondern auch jene geheime, zwischen Brüdern so natürliche Feindseligkeit, deren Wurzeln – oft kleine Kinderstubeneifersüchteleien – im Verlauf des Lebens zuweilen zäher werden, tiefer eindringen und ganz im Verborgenen eine Pflanze tragen, die mitunter die bittersten Früchte zeitigt.

      Bisher hatte es unter den sechs Brüdern keine andere unfreundliche Empfindung gegeben, als jene durch den geheimen und natürlichen Argwohn veranlaßte, daß die andern reicher sein könnten als sie selbst. Es war ein Gefühl, das sich durch die Nähe des Todes – dem Ende aller Handicaps – und infolge der Verschwiegenheit ihres Geschäftsführers bis zur höchsten Neugierde steigerte, wenn er zu Nicholas wohlweislich von James' Einkommen sprach, zu James von dem des alten Jolyon, zum alten Jolyon von Rogers, zu Roger von Swithins, während er Swithin gegenüber die höchst erregende Bemerkung zu machen pflegte, daß Nicholas ein reicher Mann sein müsse. Timothy allein bildete eine Ausnahme, da er seine goldsichern Staatspapiere besaß.

      Allein jetzt war, wenigstens zwischen zweien von ihnen, ein ganz anderes Gefühl der Kränkung entstanden. Von dem Moment ab, wo James die Impertinenz gehabt hatte, die Nase in seine Angelegenheiten zu stecken – wie er es ausdrückte – wollte der alte Jolyon dieser Geschichte über Bosinney keinen Glauben mehr schenken. Seine Enkelin durch ein Mitglied ›der Familie dieses Menschen‹ gedemütigt! Er war überzeugt, daß Bosinney verleumdet wurde. Seine Pflichtvergessenheit mußte einen andern Grund haben.

      June war wohl auf ihn losgefahren, oder sonst etwas; sie war so empfindlich jetzt!

      Jedoch wollte er Timothy ein wenig sein Herz ausschütten und sehen, ob er ihm weitere Winke geben würde! Und er wollte kein Gras darüber wachsen lassen, sondern gleich zu ihm gehen und wohl auf der Hut sein, damit er in dieser Sache den Weg nicht nochmals zu machen brauchte.

      Er sah James' Wagen die Straße vor Timothys Haus versperren. Also waren sie vor ihm hingelangt und schnatterten wohl darüber, daß sie ihn gesehen hatten! Und weiterhin standen Swithins Grauschimmel Nase an Nase mit James' Falben, wie im Konklave über die Familie, während die Kutscher über ihnen im Konklave saßen.

      Der alte Jolyon legte seinen Hut in der engen Halle auf einen Stuhl, wo der Bosinneys vor langer Zeit damals für eine Katze gehalten worden war, strich sich mit seiner dünnen Hand ärgerlich über das Gesicht mit dem hängenden weißen Schnurrbart, wie um jede Spur eines Ausdrucks zu verwischen, und begab sich nach oben.

      Er fand das Vorderzimmer gefüllt. Es war zu jeder Zeit voll genug – ohne Gäste – ohne daß jemand darin war – denn Timothy und seine Schwestern fanden ein Zimmer, der Tradition ihrer Generation gemäß, nicht wirklich ›hübsch‹, wenn es nicht ›ordentlich‹ möbliert war. Es enthielt darum elf Stühle, ein Sofa, drei Tische, zwei Schränke, unzählige Nippsachen und ein großes


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