Die Forsyte-Saga. John Galsworthy

Die Forsyte-Saga - John Galsworthy


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zurück, als er ihn auf dem weichen pelzigen Körper fühlte.

      »Mehrere,« sagte der alte Jolyon und blickte von einem zum andern. »Ich trat eben auf eine.«

      Es schwiegen alle.

      Dann fragte Mrs. Small, indem sie die Finger in einander flocht und mit feierlicher Ruhe um sich blickte: »Und wie geht's der lieben June?«

      Ein leiser Humor blitzte in den ernsten Augen des alten Jolyon auf. Eine merkwürdige alte Frau, diese Juley! Sie ist einzig darin, immer das Verkehrte zu sagen!

      »Schlecht!« sagte er; »London bekommt ihr nicht – zu viele Leute, viel zu viel Geschwätz und Geklatsche überall.« Er legte Nachdruck auf die Worte und sah wieder James gerade ins Gesicht.

      Niemand sprach.

      Sie hatten alle ein Gefühl, daß es zu gefährlich sei, nach irgend einer Richtung hin einen Schritt zu unternehmen oder eine Bemerkung zu wagen. Etwas von der Vorahnung des drohenden Verhängnisses, wie sie den Zuschauer einer griechischen Tragödie überkommt, hatte sich diesem reichmöblierten Zimmer mit den weißhaarigen alten Männern in Schoßröcken und vornehm gekleideten Frauen mitgeteilt, die alle von dem selben Blut waren, unter all denen eine ungreifbare Ähnlichkeit bestand.

      Nicht daß sie sich dessen bewußt gewesen wären, denn die Anwesenheit so verhängnisvoller böser Geister kann nur empfunden werden.

      Jetzt erhob Swithin sich. Er wollte hier nicht sitzen mit diesem Gefühl – er ließ sich von keinem einschüchtern! Noch würdevoller als sonst manövrierte er durchs Zimmer und schüttelte jedem einzeln die Hand.

      »Bestelle Timothy von mir,« sagte er, »daß er sich zu sehr verweichlicht!« Dann wandte er sich zu Francis, die er ›fesch‹ fand, und fügte hinzu: »Du mußt an einem dieser Tage eine Spazierfahrt mit mir machen.« Aber das beschwor die Vision jener andern denkwürdigen Fahrt herauf, über die so viel gesprochen worden war, und er stand einen Augenblick ganz still, mit glasigen Augen, wie in Erwartung auch die Bedeutung dessen zu erhaschen, was er selbst darüber gesagt; doch plötzlich überlegte er, daß ihm all das ganz einerlei sei und sagte zum alten Jolyon: »Na, adieu, Jolyon! Du solltest nicht ohne Überzieher herumgehen, du wirst dir noch Ischias oder sonst was holen!« Dann gab er der Katze mit der Spitze seiner Lackstiefel einen leisen Stoß, und seine ungeheure Gestalt entfernte sich.

      Als er gegangen war, blickte einer verstohlen den andern an um zu sehen, wie er das Wort ›Spazierfahrt‹ aufgenommen hatte, dieses Wort, das als einzige – so zu sagen offizielle – Nachricht in Bezug auf das vage dunkle Gerücht, das die Zungen der Familie in Bewegung setzte, jetzt berüchtigt war und eine überwältigende Bedeutung bekommen hatte.

      Einem Impuls gehorchend, sagte Euphemia mit kurzem Lachen: »Ich bin froh, daß Onkel Swithin mich nicht zu Spazierfahrten auffordert.«

      Um wieder einzulenken und über kleine Verlegenheiten hinwegzuhelfen, die dieser Gegenstand vielleicht herbeiführen könnte, erwiderte Mrs. Small: »Er nimmt jeden gern mit, meine Liebe, der gut angezogen ist und mit dem er ein wenig Ehre einlegen kann. Ich werde nie die Fahrt vergessen, zu der er mich mitnahm. Das war ein Erlebnis!« Und über ihr pausbäckig rundes Gesicht breitete sich für einen Augenblick eine seltene Zufriedenheit, doch gleich ließ sie wieder den Kopf hängen und Tränen traten ihr in die Augen. Sie gedachte einer langen Spazierfahrt, die sie einst mit Septimus Small unternommen.

      James, der in seinem kleinen Sessel wieder in unruhiges Grübeln versunken war, erwachte plötzlich daraus: »Ein komischer Kerl, dieser Swithin,« sagte er, aber es kam ihm nicht ganz aus dem Herzen.

      Das Schweigen des alten Jolyon und sein strenger Blick hielt sie alle in einer Art von Lähmung. Die Wirkung seiner Worte hatte ihn selbst betroffen gemacht, sie schien die Bedeutung des Gerüchts, das er hatte unterdrücken wollen, noch zu verstärken; aber er war immer noch ärgerlich.

      Er war noch nicht fertig mit ihnen – Nein, nein – sie sollten noch etwas zu hören bekommen!

      Seine Nichten wollte er nicht schelten, er hatte ja keinen Streit mit ihnen – ein junges, präsentables weibliches Wesen war der Huld des alten Jolyon immer sicher – aber dieser James, und in geringerem Maße vielleicht all die andern verdienten, was ihnen zugedacht war. Auch er fragte nach Timothy.

      Wie in dem Gefühl, daß ihrem jüngeren Bruder eine Gefahr drohe, bot Tante Juley ihm plötzlich Tee an: »Er ist ganz kalt und schlecht geworden,« sagte sie, »da er hinten im Wohnzimmer so lange steht und auf dich wartet, aber das Mädchen wird gleich frischen für dich machen.«

      Der alte Jolyon stand auf: »Danke,« sagte er und blickte streng zu James hin, »aber ich habe keine Zeit für Tee und – Skandal und all das Übrige! Es ist Zeit für mich nach Haus zu kommen. Adieu, Julia, adieu Hester, adieu Winifred.«

      Ohne weitere Abschiedsförmlichkeiten ging er hinaus.

      Als er wieder in seiner Droschke saß, verdampfte sein Ärger schnell, denn so ging es immer wenn er zornig war – hatte er sich erst Luft gemacht, so war es vorbei. Traurigkeit überkam ihn jetzt. Er hatte ihnen zwar den Mund gestopft, doch um welchen Preis! Um den Preis der Gewißheit, daß dieses Gerücht, dem er keinen Glauben hatte schenken wollen, wirklich ein wahres war. June war verlassen, und wegen der Frau von jenes Mannes Sohn! Er fühlte, daß sie recht hatten und zwang sich zu tun, als wäre es nicht so; aber der Schmerz der sich hinter diesem Vorsatz verbarg, begann langsam und sicher in blinden Groll gegen James und seinen Sohn umzuschlagen.

      Die in dem kleinen Wohnzimmer zurückgebliebenen sechs Damen und der eine Mann kamen in so ungezwungene Unterhaltung, wie es nach solch einer Begebenheit nur möglich war, denn obgleich jeder einzige von ihnen überzeugt war, niemals zu klatschen, wußte doch jeder genau, daß die andern sechs es taten; darum waren alle ärgerlich und verlegen. Nur James schwieg, bis ins Innerste seiner Seele verstört.

      Plötzlich sagte Francie: »Weißt du, ich finde, Onkel Jolyon hat sich in diesem letzten Jahr sehr verändert. Meinst du nicht auch, Tante Hester?«

      Tante Hester machte eine kleine Bewegung der Abwehr: »Oh, frage Tante Julia!« sagte sie. »Ich weiß nichts darüber.«

      Keiner von den andern hatte Furcht zuzustimmen, und James murmelte verdrießlich: »Er ist nicht halb das, was er war.«

      »Ich habe es längst bemerkt,« fuhr Francie fort, »er hat furchtbar gealtert.«

      Tante Juley schüttelte den Kopf, ihr Gesicht war plötzlich wieder ungeheure Trübsal.

      »Der arme gute Jolyon,« sagte sie, »es müßte jemand auf ihn acht geben!«

      Wieder herrschte Schweigen, und dann, wie in der Furcht einzeln zurückgelassen zu werden, standen alle fünf Besucher gleichzeitig auf und verabschiedeten sich.

      Mrs. Small, Tante Hester und ihre Katze blieben wieder allein, das Schließen einer Tür in der Ferne kündigte Timothys Kommen an.

      Als Tante Hester an diesem Abend in dem hinteren Schlafzimmer, das früher Tante Juleys gewesen, bevor Tante Juley das von Tante Ann bekommen hatte, eben eingeschlafen war, öffnete sich ihre Tür, und Mrs. Small in einer rosenroten Nachtmütze trat mit einer Kerze in der Hand herein.

      »Hester!« rief sie, »Hester!«

      Tante Hesters Betttücher raschelten leise.

      »Hester,« wiederholte Tante Juley, um ganz sicher zu sein, daß sie wach war. »Ich bin sehr besorgt um den armen alten Jolyon. Was,« Tante Juley betonte das Wort, »meinst du, könnte man tun?«

      Tante Hesters Betttücher raschelten wieder und man hörte ihre Stimme leise abwehrend: »Tun? Wie soll ich das wissen?«

      Tante Juley ging beruhigt wieder hinaus und schloß in der Furcht, Tante Hester zu stören, die Tür mit ganz besonderer Vorsicht, um sie nicht aus den Fingern gleiten und mit einem ›Krach‹ zufallen zu lassen.

      Hinten in ihrem eigenen Schlafzimmer stellte sie sich ans Fenster und schaute durch eine Spalte der Muslinvorhänge, die fest zugezogen waren, damit niemand es sehen könne, auf den Mond


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