Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner
an der Gemeinschaft mit anderen lutherischen Kirchen, von denen einige nicht das ganze Konkordienbuch von 1580 als Bekenntnisgrundlage akzeptieren, alle sich aber an die beispielhaft genannten Bekenntnisschriften gebunden wissen, spielte hierbei eine Rolle. Die Begründung hebt weiter hervor, dass die beispielhafte – also insoweit nicht abschließende – Nennung der CA und des Kleinen Katechismus nicht bedeutet, dass die ELKB „ihre Verankerung nicht auch in den übrigen Teilen des Konkordienbuches sähe“.48 Der besondere Hinweis auf die Lehre von der Rechtfertigung am Ende von Abs. 2 geht wesentlich zurück auf ein Votum der Erlanger Theologischen Fakultät.
Auf die Theologische Erklärung der Barmer Bekenntnissynode ist in der Kirchenverfassung ursprünglich nicht eigens verwiesen worden, wie dies z. B. in manchen anderen Verfassungen bereits der Fall war und auch für die Verfassung der ELKB erwogen worden war, weil sowohl in Art. 2 der Verfassung der VELKD als auch in Art. 1 Abs. 3 der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland hierauf Bezug genommen war. Diese Aussagen hatten damit auch für die ELKB als deren Gliedkirche (vgl. Art. 6 Abs. 2 und 3) Verbindlichkeit. Im Übrigen war auch ohne ausdrückliche Bezugnahme davon auszugehen, dass die grundlegenden Entscheidungen sich dem Geist von Barmen verpflichtet wissen.49 Im Ergebnis eines eingehenden Beratungs- und Beteiligungsprozesses, in den die Kirchengemeinden, Einrichtungen und Dienste und die Theologischen Fakultäten im Bereich der EKB und die VELKD einbezogen waren, ist jedoch durch Verfassungsänderung vom 30. März 201750 die Barmer Theologische Erklärung als Glaubenszeugnis, in dem „die befreiende und verbindliche Kraft des Evangeliums Jesu Christi aufs Neue bekannt“ geworden ist, im Grundartikel nun auch ausdrücklich verankert worden.51 Dafür war die Erkenntnis leitend, dass die Barmer Theologische Erklärung ganz im Sinne und in der Tradition des reformatorischen „solus Christus“ Jesus Christus wieder neu ins Zentrum kirchlichen Denkens, Glaubens und Handelns gestellt hat.52 Das im Jahr 2017 ganz besonders auch als großes Christusfest gefeierte Reformationsjubiläum erschien vor diesem Hintergrund als ein besonders passender Zeitpunkt für eine entsprechende Ergänzung des Grundartikels. Die ausdrückliche Verankerung der Barmer Theologischen Erklärung in der Kirchenverfassung genau zu diesem Zeitpunkt sollte aber auch als Richtungsweisung für den von den kirchenleitenden Organen angestoßenen Kirchenentwicklungsprozess „Profil und Konzentration kirchlicher Arbeit in den nächsten Jahren“53 verstanden werden.54
Der Bekenntnisstand war und ist dem Verfassungsgesetzgeber vorgegeben und steht außerhalb seiner Disposition. Er konnte ihn daher nur (deklaratorisch) feststellen, da – und dies versteht sich von selbst – der Inhalt des Bekenntnisses nicht Gegenstand kirchlicher Rechtsetzung sein kann (Art. 72).55
Eine Änderung oder Fortentwicklung des Bekenntnisses ist dadurch nicht ausgeschlossen. Hierfür bedarf es jedoch einer entsprechenden gesamtkirchlichen Meinungsbildung und Überzeugung im Sinne des magnus consensus (Art. 1 CA), den die Landessynode als kirchliches Gesetzgebungsorgan – aber nicht alleiniger Trägerin des Konsenses – nach einem sorgfältigen Prozess der Konsensbildung nur deklaratorisch feststellen kann. Wie der magnus consensus im Einzelnen zu ermitteln ist, ist nicht abschließend geklärt. Erforderlich ist jedenfalls die übereinstimmende Überzeugung aller kirchenleitenden Organe und die Beteiligung der Kirchengemeinden, in denen sich das geistliche Leben der Kirche unmittelbar verwirklicht und für die deshalb die Möglichkeit bestehen muss, Bedenken vorzubringen und zur Diskussion zu stellen.56 Aufgrund ihrer Teilhabe an der Erfüllung des kirchlichen Auftrags sollten aber auch die landeskirchlichen Einrichtungen und Dienste und aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz die Theologischen Fakultäten im Bereich der Landeskirche in die Konsensbildung einbezogen werden. Entsprechendes gilt für die gliedkirchlichen Zusammenschlüsse, denen die ELKB angehört (VELKD, EKD). In Bezug auf die VELKD ist dies bereits aus Art. 6 Abs. 3 Verf VELKD (RS 60) abzuleiten; denn wenn der VELKD unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Einheit in der VELKD schon zu Gesetzesänderungen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, dann muss dies erst recht in Angelegenheit der Fortentwicklung des gemeinsamen lutherischen Bekenntnisses gelten.
Absatz 3 des Grundartikels führt nochmals über die ecclesia particularis hinaus und verweist auf die Gemeinschaft der ganzen Christenheit und den dieser aufgegebenen Auftrag, „Gottes Heil in Jesus Christus in der Welt zu bezeugen“, also mit Wort und Tat. Mit dem Zeugnis in der Welt ist zugleich der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche angesprochen, also das Wirken der Kirche in der Öffentlichkeit und gegenüber der Öffentlichkeit.
4.Die allgemeinen Bestimmungen (Art. 1 bis 8)
Neben dem Grundartikel enthält auch der erste Abschnitt allgemeine Bestimmungen von besonderer Bedeutung, die den folgenden Abschnitten vorgeordnet sind und sowohl rechtliche als auch theologische Grundsatzaussagen enthalten.
a)Art. 1 stellt nochmals den schon im Grundartikel angesprochenen Auftrag der Kirche in den Vordergrund. Ihr Dienst am Evangelium in Wort und Sakrament (CA VII) wird ergänzt, näher entfaltet und untrennbar verbunden mit der Gemeinschaft im Gebet und in der Nachfolge Jesu Christi, mit der Ausrichtung des Missionsauftrages, dem Zeugnis in der Öffentlichkeit, im Dienst der helfenden Liebe und der christlichen Erziehung und Unterweisung (Art. 1 Abs. 1; vgl. bereits Grundartikel Abs. 3, wo vom Auftrag, Gottes Heil zu bezeugen, nicht nur zu verkündigen, die Rede ist). Nicht nur den kirchlichen Rechtsträgern, sondern – als Ausfluss des allgemeinen Priestertums der Getauften – allen Kirchengliedern kommt dabei die Verantwortung für die rechte Lehre und für die zeit- und sachgemäße Erfüllung dieses kirchlichen Auftrages zu (Abs. 2; vgl. daneben die besondere Verantwortung von Pfarrern und Pfarrerinnen (Art. 16), der kirchenleitenden Organe (Art. 41 Abs. 2) und – noch einmal besonders erwähnt – des Landesbischofs/der Landesbischöfin (Art. 61 Abs. 1 Nr.1) und der Oberkirchenräte und Oberkirchenrätinnen in den Kirchenkreisen (Art. 64 Abs. 3 Nr. 1).
b)Art. 2 enthält die „Bausteine“, die organisatorische und strukturelle Gliederung der ELKB. Hier wird die ELKB näher entfaltet: Sie besteht nicht nur aus den Kirchengemeinden, Gesamtkirchengemeinden und Dekanatsbezirken, auch ihre sonstigen Körperschaften, ihre Anstalten und Stiftungen, ihre Ämter, Werke und Dienste bilden einen integrativen Bestandteil der ELKB. Sie alle stellen eine innere und äußere Einheit dar, sind die „verfasste Kirche“. In dieser Einheit haben sie die „zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben notwendige Eigenverantwortung und Freiheit, die durch die kirchlichen Ordnungen gesichert und begrenzt werden“ (Art. 2 S. 2).57 Die einzelnen Rechtsträger sind also Partner in Freiheit untereinander und gegenüber die Landeskirche. Zum anderen sind alle auch Teile eines als Einheit sich darstellenden Ganzen und damit den gemeinsamen Ordnungen unterworfen.58 Den neben den Kirchengemeinden, den Gesamtkirchengemeinden und Dekanatsbezirken bestehenden sonstigen „Gliederungen“, wie die landeskirchlichen Einrichtungen und Dienste kommt in manchen Fällen eine eigene Rechtspersönlichkeit zu, überwiegend jedoch nicht (vgl. hierzu auch Art. 8 und Art. 38 ff. KVerf). Eine besondere Systematik besteht in dieser Beziehung nicht.59
c)Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche ist in Art. 3 ausgedrückt. Im staatlichen Recht ist dieses Recht anerkannt und garantiert in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs.