Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner
– nicht unumstrittene – Beauftragungsgesetz hatte vorgesehen, dass auch nicht ordinierten kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Auftrag zum Predigtdienst und zur Sakramentsverwaltung für einem bestimmten Dienstbereich erteilt werden könne. Heute ist dieser Bereich geregelt im Prädikantengesetz (RS 545). Erwähnenswert ist dabei, dass nun nicht mehr wie früher von einer „Beauftragung“ die Rede ist, sondern von einer Berufung zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Dies entspricht dem Sinn der Art. 12 ff. KVerf. Auch die 2012 erfolgte grundsätzliche Neuordnung der Berufung zum Prädikantendienst stellte einen Schritt dar auf dem Weg zu einem einheitlichen Verständnis des ordinierenden Handelns der Kirche.
Der Rest des dritten Abschnitts enthält überwiegend Vorschriften dienstrechtlicher Art, die in den einschlägigen Gesetzen näher entfaltet werden. Von dem Grundsatz des Art. 17 KVerf, dass Pfarrer und Pfarrerinnen in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zur ELKB stehen, lässt Absatz 3 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1, 108 ff. PfDG.EKD (RS 500) dahingehend Ausnahmen zu, dass in begründeten Einzelfällen die Beschäftigung von Pfarrern und Pfarrerinnen auch in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis, also auf Dienstvertrag, zulässig ist.
c)Der vierte Abschnitt über die Kirchengemeinde (Art. 20–26) enthält die grundlegenden Aussagen über die Kirchengemeinde, ihr Wesen und ihre Aufgaben (Art. 20), ihre Leitung, bei der Pfarrer bzw. Pfarrerinnen und Kirchenvorsteher bzw. Kirchenvorsteherinnen im Kirchenvorstand zusammenwirken (Art. 21), über die Zusammensetzung des Kirchenvorstands (Art. 22) und die Festlegung über dessen Vorsitz (Art. 23). Diese Regelungen waren bereits in der neuen KGO von 1964 enthalten, auf die die KVerf in Art. 25 bezüglich weiterer Einzelheiten auch verweist.
Das Pfarrstellenbesetzungsrecht wurde seinerzeit parallel zur Kirchenverfassung beraten. Der wichtigste Grundsatz, das damals neu eingeführte alternierende Verfahren und die einzelnen Schritte des Besetzungsverfahrens, sind in der KVerf selbst in Art. 26 festgehalten. Näher entfaltet wurde dies in der damaligen Stellenbesetzungsordnung von 1971. Diese ist inzwischen, unter Beibehaltung ihrer wesentlichen Grundsätze, durch die Pfarrstellenbesetzungsordnung von 1980, in der Fassung des letzten Änderungsgesetzes von 2005 abgelöst worden (PfStBO – RS 510).
d)Der fünfte Abschnitt über den Dekanatsbezirk und den Dekan/die Dekanin (Art. 27–36) konnte ebenfalls auf eine außerhalb der eigentlichen Verfassungsberatungen erarbeitete neue Regelung des Rechts des Dekanatsbezirks zurückgreifen und deren Grundsätze in die Verfassung übernehmen. Ziel dieser Neuregelung war, dem Dekanatsbezirk als Mittelsstufenverband, einerseits Zusammenschluss von Kirchengemeinden in Form einer eigenen Selbstverwaltungskörperschaft, andererseits Aufsichts- und Verwaltungsbezirk der ELKB, stärkeres Profil zu geben. Die Organe des Dekanatsbezirks – Dekanatssynode, Dekanatsausschuss und Dekan/Dekanin – erhalten gegenüber der alten Verfassung von 1920 klarere Konturen. Insbesondere dem Dekanatsausschuss sind gegenüber dem früheren Bezirkssynodalausschuss erheblich mehr Kompetenzen, auch Entscheidungskompetenzen, zugewachsen. Weiteres Gremium innerhalb des Dekanatsbezirks ist das Pfarrkapitel, dem zwar keine eigene Organstellung zukommt, dessen Bedeutung in der Praxis aber ziemlich groß ist. Nähere Regelungen über den Dekanatsbezirk enthält die DBO (RS 310), auf die in Art. 36 verwiesen ist.
e)Der sechste, 2010 neu gefasste Abschnitt über besondere Gemeindeformen, anerkannte Gemeinschaften, Einrichtungen und Dienste (ursprünglich: besondere Arbeitsbereiche und Arbeitsformen – Art. 37–40 KVerf) ist gegenüber der alten Verfassung von 1920 neu. Damit wurde die Folgerung aus der Erkenntnis gezogen, dass die Gemeinde Jesu Christi sich nicht ausschließlich in der Kirchengemeinde, sondern auch in besonderen Gemeindeformen, Gemeinschaften besonderer Frömmigkeitsprägung, Kommunitäten sowie Einrichtungen und Diensten verwirklicht (Art. 37). Dabei werden die besondere Verantwortung für die Weltmission und Diakonie, aber auch für die Dienste an verschiedenen Gruppen der Gesellschaft sowie im Bereich der Erziehung, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit hervorgehoben (Art. 38). Diese besonderen Arbeitsbereiche und Arbeitsformen sind unverzichtbarer Bestandteil in der Erfüllung des kirchlichen Auftrags. Auch wenn sie ihrem besonderen Auftrag entsprechend gegenüber der verfassten Kirche zum Teil als selbstständige Werke und Dienste organisiert sind (wie z. B. in der Diakonie), so stehen sie doch unter dem Schutz und der Fürsorge der ELKB und sind deren Leitungsorganen verantwortlich (Art. 40). Sie sind damit der Kirche in bestimmter Weise zugeordnet und haben teil an dem Selbstbestimmungsrecht und der Autonomie der Kirche.67
f)Der siebte Abschnitt über die Leitung der ELKB ist am umfangreichsten (Art. 41–71). Er enthält eingehende und überwiegend auch abschließende, d. h. nicht durch spezielle Einzelgesetze68 näher entfaltete Regelungen über die kirchenleitenden Organe und ihre Aufgaben. Die entscheidende Grundaussage ist Art. 41 Abs. 1: Die Leitung der ELKB besteht aus vier Organen: Landessynode, Landessynodalausschuss, Landesbischof bzw. Landesbischöfin und Landeskirchenrat. Diese leiten die ELKB in „arbeitsteiliger Gemeinschaft und gegenseitiger Verantwortung“. Es besteht also kein oberstes Leitungsorgan, alle vier Organe wirken vielmehr gleichberechtigt in der Leitung zusammen, haben jedoch je ihren eigenen Funktionskreis („arbeitsteilige Gemeinschaft“) entsprechend der in der Verfassung vorgenommenen Aufgabenzuweisung. Diesen nehmen sie eigenverantwortlich wahr, stehen daher aber wiederum in „gegenseitiger Verantwortung“ gegenüber den anderen kirchenleitenden Organen. Dies erfordert ein stetes Bemühen um gegenseitige Information, Kooperation und Koordination. Dies kann nur in einer Gemeinschaft des Gesprächs und des Vertrauens erfolgen;69 dem dient z.B. die wechselseitige Teilnahme eines Mitglieds des Präsidiums der Landessynode an den Sitzungen des Landeskirchenrates und umgekehrt eines Mitglieds des Landeskirchenrates an den Sitzungen des Landessynodalausschusses.
In diesem Zusammenwirken der vier Organe erfolgt die Leitung der Kirche. Die Aufteilung der einzelnen Aufgaben der Kirchenleitung auf verschiedene Organe entspricht traditionellem lutherischem Verständnis von Kirchenleitung. Sie ist Ausfluss des Trennungsprinzips (im Gegensatz zum Einheitsprinzip, bei dem einem Organ – meist der Synode – die oberste Leitungsgewalt zukommt). Der Landesbischof/die Landesbischöfin verkörpert in diesem System der Kirchenleitung in arbeitsteiliger Gemeinschaft und gegenseitiger Verantwortung das episkopale Element, Landessynode und Landessynodalausschuss das synodal-presbyteriale und der Landeskirchenrat das konsistoriale Element.70
g)Der achte Abschnitt befasst sich mit der kirchlichen Rechtsetzung (Art. 72–77). Er bringt zunächst den üblichen Katalog der Gegenstände, die nur durch Kirchengesetz geregelt werden können (Art. 72) und legt dann die einzelnen Schritte des Gesetzgebungsverfahrens fest (Gesetzesinitiative, Zuleitung an ein anderes kirchenleitendes Organ zur Stellungnahme, Beschlussfassung in der Landessynode, Ausfertigung durch den Landesbischof und Verkündung im Amtsblatt, Art. 74, 75). Wichtig ist die Bestimmung, dass das Bekenntnis nicht Gegenstand der Rechtsetzung sein kann (Art. 73); im Falle einer Ergänzung oder Änderung der der Gesetzgebung vorgegebenen Bekenntnisgrundlagen bedarf es vielmehr eines umfassenden Konsenses in der Kirche (magnus consus), den die Landessynode lediglich feststellen kann. Im Übrigen liegt das Recht der kirchlichen Gesetzgebung bei der Landessynode (Art. 43 Abs. 2 Nr. 1), Verordnungen erlässt dagegen der Landeskirchenrat mit Zustimmung des Landessynodalausschusses (Art. 77 Abs. 1).71
h)Im neunten Abschnitt sind die grundlegenden Bestimmungen über den Rechtsschutz in der ELKB niedergelegt (Art. 79 und 80). Dabei regelt Art. 79 Abs. 1, in welchen Bereich zwingend kirchlicher Rechtsschutz vorzusehen ist. Die ELKB hat bisher davon abgesehen, in Verfassungsstreitigkeiten einen eigenen Spruchkörper einzusetzen. Verfassungsstreitigkeiten sind vielmehr gemäß Art. 14 EGKVerf (RS 2) dem Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD (RS 950) zugewiesen.