Stoner McTavish - Grauer Zauber. Sarah Dreher
du so tust, als ob du mich nicht hörst, dann bist du eindeutig nicht einverstanden.«
»Ich hab’ eigentlich nicht direkt was dagegen …« Sie attackierte die Pflanze wie ein Macho-Polizist mit Wasserwerfer bei einer Anti-Atomkraft-Demo. »Ich denke nur, es ist vielleicht einfach kein günstiger Zeitpunkt.«
»Warum?«
»Weil wir die heißeste Nacht dieses Sommers haben, weil deine Klimaanlage den Geist aufgegeben hat und weil Tante Hermione und ich euch beide gerade dreimal gnadenlos beim Bridge über den Tisch gezogen haben.«
Gwen zuckte mit den Achseln. »Das macht mir nichts aus.«
»Schön, aber ihr macht es was aus. Junge, und wie ihr das was ausmacht.« Sie stellte die Veilchen auf die Fensterbank und starrte hinaus auf die im Dunst erstickende Bostoner Skyline.
Gwen fuhr mit dem Finger über den Rand ihres Glases Bourbon mit Ginger Ale. »Ich muss es tun, Stoner. Hier zu leben, ohne dass sie es weiß … Ich halte diese Heimlichtuerei nicht mehr aus.«
Sie konnte Gwen nicht anschauen. Sie wusste, wie sie aussehen würde, ihre Augen dunkel und sanft und furchtsam. Sie wusste, wenn sie sie anschaute, wäre alle Vernunft dahin. Sie drehte ihr den Rücken zu und zielte auf den Philodendron – und besprühte die Pflanze, die Fensterbank, das Fliegengitter und die rückwärtige Veranda der Parterrewohnung. »Wenn ich so ein Händchen für Pflanzen hätte wie deine Großmutter«, sagte sie, »würde ich mein Talent nicht an einen Philodendron verschwenden.«
»Ich kann warten, bis ihr weg seid …«
Sie fühlte sich in die Enge getrieben. Sie hob den Efeu hoch und setzte die Unterseite der Blätter unter Wasser. »Nein, das machst du nicht alleine durch.«
»Vielleicht nimmt sie es ja gut auf.«
Stoner lachte freudlos. »Ich kenne Eleanor Burton. Es wird schrecklich werden.«
Sie brach ein verwelktes Blatt ab.
»Tante Hermione hat ein Tarot gelegt. Die Ergebniskarte war der Gehängte.«
»Das ist doch gut, oder? Bewusstseinswandel?«
»Er lag verkehrt herum. Arroganz, Dominanz des Egos, vergebliche Anstrengung …«
»Deine Tante glaubt nicht an Umkehrungen«, sagte Gwen.
»Ich aber.«
»Du glaubst nicht ans Tarot.«
»Wenn ich es aber täte, würde ich an Umkehrungen glauben.« Sie stellte den Efeu auf seinen Untersatz zurück.
»Wenn du an meiner Stelle wärst«, beharrte Gwen, »würdest du es ihr sagen wollen, oder?«
»Sie sagt, sie zieht nach Florida«, warf Stoner hoffnungsvoll ein. »Du könntest warten und ihr dann einen Brief schreiben oder so.«
»Sie zieht nicht nach Florida«, sagte Gwen. »Sie redet jedes Jahr davon, aber sie wird es nie tun.«
»Vielleicht hat sie es diesmal ernst gemeint.«
Gwen seufzte. »Hat sie nicht. Sie hasst den Süden. Sie konnte Georgia nicht ausstehen. Nach dem Begräbnis meiner Eltern hat sie mich so schnell aus Jefferson weggeschafft, dass man meinen konnte, die Sieben Ägyptischen Plagen kämen mit dem 2 Uhr 49-Zug an.«
»Tjaa.« Stoner griff nach ihrem Manhattan. »Das Problem ist, in ihren Augen sind Lesben eine der Sieben Ägyptischen Plagen.«
»Sie hasst dich nicht.«
»Sie duldet mich. Das muss sie ja wohl. Ich hab dir das Leben gerettet.«
Mit gerunzelter Stirn blickte Gwen in ihr Glas. »Ich dachte, du sagst immer, sich zu verstecken tötet die Seele.«
»Das hier ist was anderes.«
»Warum ist es was anderes?«
»Weil es um dich geht, Gwen. Weil ich dich liebe«, und weil sie dir wehtun wird und ich es nicht ertragen kann … »Ich hab bloß ein komisches Gefühl, das ist alles.«
»Stoner …«
Sie drehte mit einem Ruck den Wasserhahn auf und schrubbte sich wie wild die Hände. »Hast du eine Ahnung, wie schlimm das werden kann?«
»Aber was soll ich machen?«, fragte Gwen. »Lügen? So tun, als ob ich mit jedem Mann flirte, der in meine Richtung schaut? Mich herumdrücken, als ob wir etwas Schmutziges tun? Ich liebe dich, Stoner. Ich will, dass die ganze Welt das weiß.«
Sie blickte sich nach einem Geschirrtuch um, fand keins und wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab. »Ich hab mehr als ein Coming-out erlebt. Es ist nicht immer furchtbar, aber es macht selten Spaß.« Sie warf dem Afrikanischen Veilchen einen finsteren Blick zu. »Ich glaub, du hast Spinnmilben.«
Gwen knallte ihren Drink auf den Tisch, marschierte zum Kühlschrank und zerrte an den Eiswürfelbehältern.
»Du solltest das Ding mal abtauen«, sagte Stoner.
»Kann ich nicht. Mein Fön ist kaputt.«
»Himmeldonner. Du hast Blattläuse und Spinnmilben, deine ganzen Haushaltsgeräte fallen auseinander, und du denkst, dies ist der angemessene Zeitpunkt, um deiner Großmutter zu sagen, dass du lesbisch bist?«
»Okay«, sagte Gwen verärgert, »vergiss es. Ich mach es, wenn du nicht hier bist. Aber ich werde es tun, Stoner, ob es dir gefällt oder nicht.«
Stoner streckte ihre Hände aus. »Bitte, Gwen, lass uns nicht streiten.«
»Ich streite mich nicht. Du streitest.«
Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Schau, es tut mir leid. Ich weiß, dass du recht hast, aber …«
»Du hast Angst«, sagte Gwen mit leisem Staunen.
»Da kannst du drauf wetten.«
»Ich glaub es nicht. Du hast Angst.«
»Ich hab Angst.«
Gwen schüttelte den Kopf. »Stoner, du hast meinen Mann getötet. Du hast ganz allein ein Nest von Betrügern in einer spukenden Nervenheilanstalt hochgehen lassen. Und du hast Angst vor meiner Großmutter?«
»Deine Großmutter«, sagte Stoner, »ist eine Klasse für sich.«
»Sie ist immer sehr höflich zu dir.«
»Sicher doch. Höflich. Weißt du, wie ich mich bei dieser Art von Höflichkeit fühle? Wie Bill Cosby, während er die Tischrede auf dem Jahrestreffen des Ku-Klux-Clan hält.«
Gwen lachte. »Schon gut, ich verstehe, was du meinst.« Sie schaffte es, einen Eiswürfelbehälter von der Kühlschrankwand zu lösen, und trug ihn zum Waschbecken. »Was würdest du also an meiner Stelle tun?«
Stoner dachte ernsthaft darüber nach. »Es ihr sagen. Aber vorher packen.«
Gwen drehte sich um, legte ihre Arme auf Stoners Schultern und sah ihr feierlich in die Augen. »Ich liebe dich, Stoner Mc Tavish.«
Schmetterlinge flatterten durch ihren Magen und ihre Knie wurden zu Götterspeise. Diese Frau liebt mich, dachte sie und fühlte, wie die Erde um ihre Achse schwankte. Sie schüttelte den Kopf in hilfloser Resignation. »Okay, wenn du es nicht schaffst, die heißeste Nacht des Jahres zu überstehen, ohne deine Großmutter in eine rasende Furie zu verwandeln … packen wir’s an.«
»Schick schon mal ein Stoßgebet ab.« Als sie sich wegdrehte, steckte Gwen ihr einen Eiswürfel in den Kragen.
***
Tante Hermione und Eleanor Burton saßen nebeneinander auf dem chintzbezogenen Polstersofa, ein großes Fotoalbum aus Florentinerleder vor sich auf den Knien.
Na Klasse, dachte Stoner trocken. Der ideale Zeitpunkt, um sich in Nostalgie zu suhlen.
Mrs. Burtonschauteauf. »Stoner, haben Sie dieses anbetungswürdige Bild von Gwyneth und ihrem Bruder schon gesehen?«