Stoner McTavish - Grauer Zauber. Sarah Dreher

Stoner McTavish - Grauer Zauber - Sarah Dreher


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Wir …«

      »War das nicht der Ausflug zum Kentucky Lake?«, brabbelte Mrs. Burton weiter. »Damals, als Donnie aus dem Boot fiel und du hinterhergesprungen bist?« Sie neigte sich Tante Hermione zu. »Er wollte die Steine auf dem Grund berühren, stellen Sie sich das mal vor, und hat sich dabei völlig übernommen.«

      Tante Hermione, die Familienalben verabscheute, lächelte und unterdrückte ein Gähnen.

      Stoner fragte sich, ob der Eiswürfel, der an ihrer Taille hängen geblieben war, verdunsten würde, bevor er ihr Bein herunterlaufen und sie blamieren konnte. Sie bezweifelte es.

      »Die kleine Gwyneth flog geradezu aus dem Boot hinter ihm her«, sprudelte Mrs. Burton. »Nicht mal die Tatsache, dass er schwimmen konnte und sie nicht, vermochte sie aufzuhalten. Ist das nicht niedlich?«

      Stoner konnte sich an dieses spezielle Bild nicht erinnern. Neugierig geworden ging sie hinter das Sofa und schaute Tante Hermione über die Schulter.

      Es war ein typisches, unscharfes Familienfoto, lange vor der Erfindung der Automatik-Kamera geschossen. Gwen mit langen Armen und Beinen und einem gezwungenen, schmerzlichen Lächeln. Ihr Bruder mit einer Grimasse im Gesicht, sich blöd stellend.

      »Sie hatten so viel Spaß auf diesem Ausflug«, gurrte Mrs. Burton.

      Stoner zuckte zusammen. Sie hatte alles über diesen Urlaub gehört, über die panische Angst, in einem fahrenden Auto zu sitzen, weit weg von zu Hause, mit einem Vater, dessen einzige Antwort auf Frust ein paar Schläge ins Gesicht waren, und einem Bruder, der auf Spannung mit Provokation reagierte. Ein ganz durchschnittlicher, spaßiger, richtig amerikanischer Kleinfamilienurlaub.

      »Großmutter«, sagte Gwen, »du solltest dir die nicht ohne deine Brille anschauen.«

      »Ach je.« Mrs. Burton schreckte hoch, ihre Augen schossen durch den Raum, als hätte ihr gerade jemand gesagt, dass ein bengalischer Tiger in der Küche herumschlich. »Ich weiß genau, dass ich sie beim Kartenspiel noch hatte. Schau doch mal, ob du sie finden kannst, Gwyneth, Liebes.«

      Stoner nahm die Brille vom Spieltisch und gab sie Mrs. Burton.

      »Gute Güte«, sagte Mrs. Burton. »Die ganze Zeit hat sie da gelegen! Wie töricht von mir. Ich bin so vergesslich.«

      »Ein einfaches ›Danke‹ würde völlig ausreichen, Eleanor«, sagte Tante Hermione.

      Mrs. Burton zog die Brillenbügel über ihre Ohren und blickte wieder auf das Album. »Aber das ist ja gar nicht am Kentucky Lake. Es sieht aus wie … ja, es sieht aus wie der Ausflug nach North Carolina, in dem Sommer bevor deine Eltern starben. Oder war das zwei Sommer vorher?«

      »Das macht keinen Unterschied«, sagte Gwen. »Sie waren sowieso alle gleich.«

      Stoner blickte Mrs. Burton an und ihr wurde klar, dass sie sie nicht mehr besonders gut leiden konnte. Der Gedanke überraschte sie. Als sie sie letztes Jahr kennengelernt hatte, hatte sie sie gemocht – zumindest Mitgefühl für sie empfunden. Aber wenn sie sich jetzt in ihrer Nähe aufhielt, fühlte sie sich wie eine Katze in einem elektrisch aufgeladenen Raum. Vage Befürchtungen umschwirrten diese Frau wie Mücken. Der kleinste unerwartete Laut ließ sie vor lauter dunklen Vorahnungen fast aufjaulen. Sie hörte Geräusche, die sonst niemand wahrnahm. Wenn ein Streichholz im Aschenbecher vor sich hin schwelte, dann war sie der festen Überzeugung, dass ganz Cambridge – oder zumindest ihr Haus – kurz davor stand, sich in ein flammendes Inferno zu verwandeln. Wenn sie einen Luftzug spürte, dann kletterte gerade jemand, der Übles im Sinn hatte, durch das Schlafzimmerfenster. Öffentliche Verkehrsmittel konnte sie nicht mehr benutzen, denn man wusste schließlich nie, was unter der Erde alles passieren konnte. Saß sie in einem Auto, dann klammerte sie sich am Türgriff fest und stemmte den Fuß auf den Boden, wenn die Fahrerin die Bremse auch nur berührte. Sie weigerte sich, das Haus nach Sonnenuntergang oder während eines Regenschauers zu verlassen. Wenn Gwen nach elf noch unterwegs war, brannte im Schlafzimmer ihrer Großmutter so lange Licht, bis sie zurückkam. Wenn Gwen bei Stoner übernachtete, musste sie vor dem Schlafengehen anrufen und Bescheid sagen. Und so wie Mrs. Burton sich dann aufführte, war es oft leichter, nach Hause zu gehen.

      Es konnte natürlich an ihrem Alter liegen, wie sie behauptete. Aber Tante Hermione, die zwei Jahre älter war, sagte, es sei weniger das Alter als vielmehr die Einstellung.

      Gwen sagte, es sei bloß Abhängigkeit, und wenn sie erst mal wieder unterrichtete und Mrs. Burton allein zurechtkommen musste, dann würde sie die Kurve schon wieder kriegen. Vielleicht.

      Stoner war schon gelegentlich der Gedanke durch den Kopf gegangen – einmal, als sie übers Wochenende nach Hampton Beach fahren wollten, um im Kitsch zu schwelgen, und ihre Pläne hatten aufgeben müssen, weil Mrs. Burton von einer undefinierbaren Sommer-Unpässlichkeit befallen worden war – und einmal, als Gwen und sie die Wohnung verlassen und sie sich plötzlich umgedreht und auf Mrs. Burtons Gesicht einen Schimmer von etwas erhascht hatte, das ganz entschieden nach Eifersucht aussah …

      Ihr war der Gedanke durch den Kopf gegangen, dass Mrs. Burton sich über das, was wirklich hinter ihrer sorgfältig errichteten »Einfach gute Freundinnen«-Fassade vor sich ging, womöglich gar nicht so im Unklaren war. Und dass sie wohl nicht gerade beglückt darüber war.

      Ihr war auch durch den Kopf gegangen, dass hier ein kleiner unfreundlicher Konkurrenzkampf im Gange war und dass Mrs. Burton erkannt hatte, dass in diesem Fall Schwäche vielleicht Stärke war. Und damit konnte sie durchaus richtig liegen.

      Was auch immer davon der Wahrheit entsprechen mochte, es schien Stoner, als bewegten sie sich auf eine gefährliche Schlechtwetterfront zu.

      »Großmutter«, sagte Gwen vorsichtig.

      Mrs. Burton legte einen Finger zwischen die Seiten und schloss das Album. »Ja, Liebes?«

      »Da ist etwas, das wir … das ich dir sagen muss.«

      »Es sind Blattläuse, nicht wahr?«, sagte Eleanor Burton mit einem Seufzer. »Ich habe dem Blumenhändler gesagt, dass das Veilchen ungesund aussieht, aber du weißt ja, wie die sind. Lassen sich von niemandem was sagen. Genau wie im Eisenwarenladen. Wenn die nicht haben, was man braucht, behaupten sie einfach, so etwas gäbe es gar nicht oder dass man sowieso nicht wüsste, wovon man spricht. Das ist wirklich eine Unverschämtheit.«

      Gwen räusperte sich. »Das ist jetzt nicht wichtig. Ich muss …«

      »Natürlich ist das wichtig«, unterbrach Mrs. Burton sie. »Komm erst mal in mein Alter, dann wirst du schon begreifen, was es heißt, mit einem winzigen Körnchen Respekt behandelt zu werden.«

      »Genau darum geht es«, sagte Gwen. »Ich … Wir respektieren dich, und deshalb möchten wir, dass du weißt …«

      »Kann das nicht warten, Liebes?« Mrs. Burton fächelte sich mit ihrem Taschentuch hektisch Luft zu. »Es ist eine furchtbar heiße Nacht, und du siehst so ernst aus.«

      »Es ist ernst«, sagte Gwen. Sie sah hilflos zu Stoner.

      Stoner durchquerte den Raum und nahm Gwens Hand. Gwen drückte ihre Finger. Ihr Spiegelbild im Fenster gegenüber sah aus wie die Figuren auf einer Hochzeitstorte.

      Gwen holte tief Luft und versuchte es noch mal. »Ich weiß nicht, wie du es aufnehmen wirst, aber mich macht es sehr glücklich.«

      »Das ist alles, was ich will, Liebes«, sagte ihre Großmutter. »Dein Glück.« Ihre Augen glitten hinunter zu ihren ineinander verschlungenen Fingern.

      »Stoner und ich …« Gwen hielt Stoners Hand noch fester. »Wir … ähm … wir …«

      »Was sie gerade zu sagen versucht«, schaltete sich Tante Hermione ein, während sie in ihrer riesigen bunten Tasche herumwühlte und ein Wollknäuel und eine Häkelnadel hervorzog, »ist, dass Ihre Enkelin und meine Nichte ein Liebespaar sind.«

      Mrs. Burton schaute Gwen an.

      Gwen sah zu Boden.

      Mrs. Burton schaute Stoner an.

      Stoner erwiderte ihren Blick.

      Mrs.


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