Stoner McTavish - Grauer Zauber. Sarah Dreher

Stoner McTavish - Grauer Zauber - Sarah Dreher


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schon gut, Liebes. Du entwickelst dich, wie wir alle.«

      »Nun«, sagte Mrs. Burton, »Sie können sich geradewegs aus meinem Haus hinausentwickeln.« Sie wandte sich an Gwen. »Was dich betrifft, dich würde ich lieber tot sehen.«

      »Gwen«, sagte Stoner leise, »möchtest du, dass ich jetzt gehe?«

      Gwen schüttelte den Kopf. »Großmutter, ich will erklären …«

      »Erklären?« Mrs. Burton stieß ein raues Lachen aus. »Diese … diese Krankheit erklären?«

      Es ist immer dasselbe, dachte Stoner müde, als sie zum Fenster ging und sich gegen die Fensterbank lehnte. Vorwürfe, Wut, Beschimpfungen, Schuld, Zurückweisung – das alles, weil wir die falschen Menschen lieben. Die falschen Menschen lieben. In einer Welt, in der Schulspeisungen zugunsten von Nuklearsprengköpfen abgeschafft werden und man von der Luft Lungenembolien bekommt, und vom Wasser Krebs. In der das Gesundheitsamt eine »zulässige Höchstmenge von Rattenfäkalien« pro Dose Thunfisch festsetzt. In der Vergewaltiger frei herumlaufen, entlassen auf Bewährung, und in der man eine Münze in einen Schlitz werfen kann, um einen Film zu sehen, in dem eine lebensechte Frau lebensecht zu Tode geprügelt wird, nur um des Nervenkitzels und des Profits willen. In der wir endlich eine Frau als Vizepräsidentin nominiert hatten, das harmloseste Amt des Landes, und all die Frauenhasser unter ihren Steinen hervorgekrochen kamen, um auf ihrem Sarg zu tanzen, und manche der Frauenhasser waren Frauen, und was sagt uns das darüber, wie wir gelehrt werden, uns selbst zu sehen? Es hätte das Signal sein sollen, die Revolution zu beginnen, aber wir hatten die Revolution vergessen, und jetzt haben wir Yuppie-Lesben in Designer-Klamotten, die einen Magister im Versteckspielen erwerben, und ehe wir uns versehen, ist es wieder 1950 und uns ist nichts geblieben als Der Quell der Einsamkeit und Infam1, und wir werden eines Morgens aufwachen und glauben, das Beste, was du tun kannst, wenn du lesbisch bist, ist, dich umzubringen.

      »Was machen wir hier eigentlich?«, hörte sie sich selbst in die Stille hinein sagen, die sich zog wie ein Gummiband. »Wir sollten auf der Straße sein und uns die Lunge aus dem Leib schreien.«

      Alle sahen sie an.

      »Stoner ist ganz außer sich seit der Wahl von ’84«, erklärte Tante Hermione. »Sie denkt, es wäre alles anders ausgegangen, wenn sie nur etwas getan hätte, aber sie hat noch nicht herausbekommen, was dieses Etwas ist.«

      »Ich meine nur«, sagte Stoner, »es gibt wichtigere Dinge, über die man sich aufregen sollte.«

      Mrs. Burton schniefte. »Natürlich sagen Sie das.«

      »Großmutter«, sagte Gwen leise.

      Mrs. Burton wandte den Kopf ab.

      Tante Hermiones Augen trafen Stoners, und sie zuckte mit den Schultern. »Da werd eine schlau draus.«

      Gwen stand vor ihrer Großmutter, die Fäuste geballt, ihr Gesicht kurz davor, sich aufzulösen. »Bitte«, sagte sie, »ich liebe sie, und ich liebe dich. Bitte versuch doch zu …«

      Mrs. Burtons Augen waren wie glühende Kohlen. »Liebe? Du nennst das Liebe? Diese abstoßende … widerwärtige … Besessenheit?«

      Stoner fühlte, wie etwas in ihr zerbrach. »Gott verdammt noch mal«, bellte sie. »Das reicht!«

      Mrs. Burton drehte ihr den Rücken zu. »Ich bin an nichts interessiert, was Sie zu sagen haben.«

      »Das ist mir scheißegal!« Die Worte platzten aus ihr heraus. »Sie sind eine ignorante, selbstgefällige Frau. Haben Sie irgendeine Ahnung, was es heißt, lesbisch zu sein?«

      »Das habe ich nicht«, sagte Mrs. Burton. »Und ich will es auch gar nicht.«

      Stoner ging mit großen Schritten quer durchs Zimmer. »Wir machen die Drecksarbeit in dieser Welt. Wir gründen Frauenhäuser, um euch rechtschaffene, verklemmte ›normale‹ Frauen vor euren prügelnden Ehemännern zu schützen. Wir kämpfen für eure Krankenversicherung und Sozialhilfe. Wir schieben eure Rollstühle und wischen euren Urin auf, wenn ihr zu alt und zu schwach seid, um es selbst zu tun. Wir machen all die Arbeit, für die ihr zu ›damenhaft‹ seid. Und dafür werden wir beschimpft und aus Jobs gefeuert, die keiner will. Wenn wir in öffentliche Toiletten gehen, sehen wir Hass auf den Wänden, hingeschmiert von Leuten, die zu ungebildet sind, um unsere Namen richtig zu schreiben, die sich aber das Recht herausnehmen, über uns zu urteilen. Wenn wir eine Zeitung aufschlagen, sehen wir Briefe von bibelzitierenden Schwachköpfen, die uns sagen, dass unsere schwulen Brüder an AIDS sterben, weil Gott uns verabscheut für das, was wir sind. Aber wir leben weiter, Mrs. Burton, weil wir uns das Recht dazu verdienen. Wir leben in einer Welt des Hasses, und doch schaffen wir es zu lieben. Sie leben in einer Welt der Liebe, aber Sie hassen. Ich verstehe das nicht. Ich versteh es einfach nicht.«

      Mrs. Burton funkelte sie an. »Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?«

      »Ich liebe Gwen. Ich würde mein Leben für sie geben. Wenn sie mich verlassen würde für einen dieser ›reizenden jungen Männer‹, auf die Sie so große Stücke halten, würde ich sie immer noch lieben. Wenn er grausam zu ihr wäre, würde ich sie aufnehmen und sie trösten und mein Möglichstes versuchen, um sie zu beschützen. Wenn sie zu ihm zurückgehen würde, würde ich sie weiterlieben. Und ich würde niemals, niemals so etwas zu ihr sagen wie Sie heute Abend. Wenn das Ihre Vorstellung von Liebe ist, dann will ich nichts damit zu tun haben.«

      Sie zwang sich, abzubrechen, und ging zum Fenster. Die Straße war grau und leer. Alte Zeitungen lagen schlaff im Rinnstein. Die Luft über der Stadt war von öligem Gelb. Ihr war schlecht.

      Die Stille hinter ihr wog schwer. Sie versuchte sich vorzustellen, was sie dachten, aber schaffte es nicht.

      Ich hoffe, Gwen versteht es. Ich hoffe, ich habe ihr nicht alles kaputtgemacht.

      Sie fühlte eine Hand an ihrem Gesicht.

      »He«, sagte Gwen.

      »Tut mir leid, Gwen. Ich konnte mich nicht mehr …«

      »Ist schon gut. Ich liebe dich.«

      »Nun gut«, sagte Tante Hermione, während sie ihr Garn aufrollte. »Ich denke, wir haben so ungefähr alles abgehandelt. Es war ein unterhaltsamer und erhellender Abend, aber ich habe eine frühe Sitzung mit einer Jungfrau, und ihr wisst ja, wie die sind. Kommst du, Stoner?«

      »Ich lasse Gwen nicht allein«, sagte sie.

      Mrs. Burtons Gesicht war weiß vor Wut.

      Stoner wich nicht zurück.

      »Ich gehe mit euch«, sagte Gwen. »Ich fühle mich hier nicht willkommen.«

      »Wenn du dieses Haus heute Abend verlässt«, schnappte Mrs. Burton, »komm nicht zurück.«

      Gwen wandte sich ihr zu. »Ich bin einunddreißig Jahre alt, Großmutter. Ich möchte gern, dass du verstehst, was Stoner mir bedeutet, aber ich habe nicht vor, darum zu betteln.«

      Eleanor Burton war steif vor rechtschaffener Empörung. »Das wirst du bereuen, Gwyneth.«

      »Wahrscheinlich werde ich das. Aber wenn ich bleibe, werde ich das auch bereuen. Also kann ich ebenso gut dorthin gehen, wo ich erwünscht bin. Es tut mir leid, dass es so sein muss, aber ich werde lieben, wen ich liebe, und ich beabsichtige nicht, mich deswegen schuldig zu fühlen.«

      »Nun, erwarte aber nicht, dass ich –«

      »Ich erwarte überhaupt nichts«, sagte Gwen. »Sobald ich eine Wohnung finde, lasse ich dich wissen, wo ich bin. Wenn du mich erreichen musst, kannst du das über Marylou im Reisebüro.«

      »An deiner Stelle würde ich nicht darauf warten«, sagte Mrs. Burton.

      Gwen verließ wortlos den Raum.

      »Eleanor, Eleanor«, gluckste Tante Hermione, als sie sich ihre Tasche über die Schulter hängte, »an Ihrer Stelle würde ich mal ernsthaft in mich gehen und nachdenken.« Sie schüttelte liebevoll Mrs. Burtons Handgelenk. »Ich weiß ja, dass Sie Löwe sind, aber versuchen Sie doch mal, nicht auch noch


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