Stoner McTavish - Grauer Zauber. Sarah Dreher

Stoner McTavish - Grauer Zauber - Sarah Dreher


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herunter, um die sich trotz der Klimaanlage sofort stauende Hitze herauszulassen.

      Das ist also Arizona. Puebloland. Viehland. Goldland. Indianerland. Kaktusland.

      Die einzigen Pueblos, die sie sehen konnte, waren fünfzehnstöckige Wohnhäuser. Es gab kein Vieh, das zum Markt getrieben wurde, nur teure Autos mit angeberischen Spezialnummernschildern. Die einzigen Indianer waren zwei kleine Kinder in Faschingsmontur. Und anstelle von Kakteen gab es Palmen, die so künstlich aussahen wie Requisiten für ein Zwanziger-Jahre-Musical.

      Sie beobachtete die Leute, die vor dem Lieferwagen die Straße überquerten. Beliebige Leute in einer beliebigen Stadt – ein bisschen abgestumpft, als wollten sie lieber nicht zu viel sehen oder hören oder denken. Als hätten sie es irgendwie geschafft, sich selbst zu löschen. Auf einer Typische-Großstadt-Skala von eins bis zehn würde sie Phoenix eine Sieben geben.

      Das ist provinziell, wies sie sich zurecht. Es gibt Tausende, vielleicht Millionen von Menschen, die Großstädte wirklich mögen. Die es genießen, oder zumindest nichts dagegen haben, Schlange zu stehen. Die in Lärm und Hektik aufblühen. Deren Vorstellung von der Hölle ein kleines Kaff ohne 24-Stunden-Supermärkte ist.

      »Stoner«, sagte Gwen, »du knirschst mit den Zähnen.«

      »’tschuldigung.«

      »Wird dir schlecht?«

      »Ich hoffe nicht.«

      »Willst du noch ein Dramamin?«

      Sie schüttelte den Kopf. Zu wenig Schlaf, sie konnte kaum noch klar denken. Zum Teufel mit Marylou. Kein normaler Mensch würde freiwillig um vier aus dem Bett stolpern, sich um fünf mit dem Logan Airport anlegen, dann den halben Kontinent und drei Zeitzonen überfliegen, um sich von Flugzeugmahlzeiten und der Mittagsstunde in Phoenix drangsalieren zu lassen – und dabei noch versuchen, die Landschaft zu genießen. ›Nimm den Tag noch mit‹, also wirklich. Wenn mal wieder ein Tag mitzunehmen war, konnte Marylou Kesselbaum ihn gerne selbst aufsammeln.

      »Was gibt’s Neues in Boston?«, fragte Stell, als sie durch einen Vorort Richtung Norden fuhren. Spanische Adobeziegelhäuser mit roten Dächern, rasensprengergrünen Vorgärten, wartenden Grillstellen und Kühlschränken voll eiskaltem Weißwein.

      »Tante Hermione ist in die Hexenrunde aufgenommen worden. Sie haben ihr den Nachweis in Kräuterheilkunde schließlich erlassen. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie schafft sie es nicht, die Kräuter auseinanderzuhalten.«

      »Sie hat aber niemanden vergiftet, oder?«

      »Noch nicht«, sagte Gwen.

      »Na, das ist doch mal ’ne gute Nachricht.«

      »Im Reisebüro herrscht Saure-Gurken-Zeit. Marylou ist jetzt in einer Selbsthilfegruppe gegen Diskriminierung von Dicken.«

      »Marylou ist eine Inspiration für uns alle«, sagte Stell.

      »Jetzt führen wir eine Liste von Unterkünften, in denen Dicke diskriminiert werden, und buchen dort prinzipiell nicht mehr.« Sie lachte. »Mit Marylous und meinen politischen Überzeugungen zusammengenommen katapultieren wir uns irgendwann einfach aus dem Geschäft.«

      »Also«, sagte Stell, »solltest du feststellen, dass ich in Timberline irgendwas falsch mache, wäre ich dankbar für einen Hinweis.«

      »Glaub mir«, sagte Stoner, »an deiner Küche ist nichts Unterdrückerisches.«

      »Bis auf den Salat«, sagte Gwen, »du dürftest wohl den jämmerlichsten Salat der Welt servieren.«

      Stell brummte. »Sag das unserem Lieferanten. Ich versuche seit Jahren, ihn zu fassen zu kriegen. Ich werde den Verdacht nicht los, dass sie das Zeug in Laramie auf ein Nebengleis schieben und ein, zwei Wochen rumliegen lassen. Hab schon überlegt, selbst welchen anzubauen, aber irgendwie liegt mir Gärtnern nicht.«

      Sie überquerten ein trockenes Flussbett und waren plötzlich in der Wüste. Hier und da klammerte sich etwas Grünholz oder ein Kreosotbusch am steinigen Boden fest. Saguaro-Kakteen ragten hoch wie dornige Telefonmasten. Gelblich braune Felsblöcke, verwittert vom Wind und bar jeder Vegetation, reckten sich einem endlosen Himmel entgegen.

      »Dies ist die Salt River-Indianerreservation«, sagte Stell. »Pima und Maricopa. Die Pima waren ein wilder Stamm. Jetzt leben sie Tür an Tür mit dem reichen weißen Gesindel, und es gibt kein bisschen Ärger. Das zeigt, wie man ihnen den Schneid abgekauft hat.« Sie wies auf das trockene Flussbett. »Dieser verdorrte Schutt hier war mal der Salt River, bevor die Anglos ihn gestaut haben. Wenn hier irgendwann doch mal ’ne Revolte losgeht, sollten sie als Erstes die Dämme in die Luft jagen. Das Wasser hier in der Gegend hat Befreiung echt nötig.«

      Sie blickte zu ihnen rüber. »Hört euch das an, ich stänkere schon wieder rum. Jedes Mal, wenn ich nach Phoenix komme, gehe ich durch die Decke. Es macht mich so verdammt wütend, und ich schäme mich. Aber ich sollte nicht wütend werden, jetzt, wo ich meine Mädchen wieder bei mir habe.«

      »Danke, Stell«, sagte Gwen ernsthaft, »mir wird rundherum warm, wenn du das sagst.«

      »Das letzte Mal, als mir rundherum warm wurde«, sagte Stell, »war es eine Hitzewallung.« Sie schob sich mit dem Zeigefinger den Hut hoch. »Mist, ich weiß auch nicht, warum es mir so schwerfällt, zu sagen, was ich sagen will. Ihr zwei habt mir gefehlt, und das ist ’ne Tatsache. Auch wenn ihr mich letzten Sommer fast umgebracht habt vor Sorge.«

      »Das tut mir wirklich leid«, sagte Gwen. »Ich –«

      Stell unterbrach sie. »Ich will keine Entschuldigungen. Hoffe nur, dass ihr nicht vorhabt, mich dieses Jahr wieder solche Ängste ausstehen zu lassen.«

      »Ich werd versuchen, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen«, sagte Gwen.

      »Um dich bin ich gar nicht so besorgt.«

      Stoner sah sie an. »Ich?«

      »Ja, du.«

      »In was für Schwierigkeiten könnte ich hier draußen schon kommen?«

      Stell schüttelte den Kopf. »Du wirst schon was finden. Ich traue dir viel zu.«

      Das Land stieg sanft an. In der Ferne schmiegte sich eine Bergkette dicht an die Erde. Kleine, graugrüne Büsche standen verstreut wie grasende Schafe. Der Himmel war von einem blassen, verwaschenen Blau.

      Es ist schön, dachte Stoner.

      Schön und grausam.

      ***

      Großmutter Adlerin schwebte hoch über dem Colorado-Plateau und ließ sich vom Wind tragen. Ihre Zeit war nah. Seit Tagen schon hörte sie Masaus sanfte Stimme, die sie zu ihren Ahnen heimrief. Die Sonne tat ihren müden Knochen gut, diesen Knochen, in denen die Winterkälte saß und sie selbst an brüllend heißen Sommertagen nicht verließ. Sie hatte ihr letztes Niman Kachina erlebt, mit den Tänzen, den Zeremonien und der Heimkehr der Hopi-Geister zu den Heiligen Bergen. Bald würde auch sie sich zur Ruhe legen und wieder mit den Geistern ihrer abgeschlachteten Jungen vereint sein. Ihre Knochen würden zu Pfeifen werden, auf denen ein Dineh-Kind spielen würde. Ihre Federn, ihre langen, schönen Federn, die das Lied des Windes sangen, würde man sammeln für Gebetsstäbe, um die Bitten des Stammes über die Regenbogenbrücke zu den Ohren der Geister zu tragen. Der Gedanke gefiel ihr.

      Nun nahm sie Abschied. Abschied von den weiten Schluchten und Hügeln und Mesas ihrer irdischen Heimat. Abschied von den tiefen Felseinschnitten, in denen während der Frühlingsregenfälle schokoladenbraune Wassermassen schäumten. Abschied von den hohen Sandsteingipfeln, den windumbrausten Bergen, in denen sie ihre Nester gebaut und ihre Jungen aufgezogen und sich mit ihrem faulen, übellaunigen Gefährten gezankt hatte.

      Sie lächelte vor sich hin, als sie an den Alten Adler dachte, ihre Streitigkeiten und ihre Paarungen, ihre Jagdflüge, das Leuchten des Sonnenlichts zwischen seinen Flügelspitzen, seine starke Gegenwart in den Stunden der Dunkelheit. Aber sie erinnerte sich auch an das weißblaue Aufblitzen aus dem Gewehr des Wilderers, das den schönen Körper zerschmetterte, und daran, wie seine Federn durch die


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