Stoner McTavish - Grauer Zauber. Sarah Dreher
»Hat noch jemand Lust auf eine letzte Partie Bridge?«
»Großmutter«, begann Gwen.
»Warum machst du uns nicht ein wenig Eistee, Gwyneth? Sonst werden wir alle noch vergehen in dieser Hitze.«
»Mrs. Burton …«, sagte Stoner.
Mrs. Burton lachte. »Aber das ist natürlich nichts im Vergleich zu den Sommern in Georgia.«
Tante Hermione legte ihre Häkelarbeit nieder. »Ich weiß, dass Gwen deswegen mehr als eine Nacht wachgelegen hat, Eleanor. Bringen Sie doch wenigstens den Anstand auf, zu bestätigen, dass Sie es vernommen haben.«
Eleanor Burton wandte sich ihr zu. »Vielleicht, Hermione, können Sie mir ja erklären«, sagte sie im perfekten Konversationston, »warum meine Enkelin versucht mich umzubringen.«
»Oh Scheiße«, flüsterte Gwen.
»Ich weiß, dass ich nicht vollkommen bin«, fuhr Mrs. Burton fort, »aber ich habe weiß Gott versucht, sie gut zu behandeln, so weit es meine begrenzten Kräfte zuließen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ich getan habe, dass sie mir einen solch grausamen, grausamen Streich spielt.«
»Das ist kein Streich«, sagte Gwen.
Mrs. Burton faltete die Hände im Schoß. »Zu meiner Zeit«, sagte sie zu Tante Hermione, »haben Damen über so etwas nicht gesprochen.«
»Das vielleicht nicht«, sagte Tante Hermione, »aber sie haben es getan.«
Mrs. Burtons Rücken versteifte sich. Die Haut an ihrem Hals spannte sich an. Sie öffnete das Fotoalbum und begann, die Seiten schnell und wahllos umzublättern. »Sehen Sie sich das nur an«, sagte sie zu niemand Bestimmten. »Sehen Sie nur, was für ein schönes Kind sie war. Alle sagten, dass sie ein schönes Kind war.«
»Allerliebst«, sagte Tante Hermione. »Obwohl, was das mit irgendetwas zu tun hat, ist mir schleierhaft.«
»Wer würde jemals auf die Idee kommen, bei diesem süßen Kindergesicht …«
Tante Hermione begann wieder zu häkeln. »Eleanor, nun seien Sie keine Idiotin.«
»Großmutter …«, begann Gwen. Sie schien vergessen zu haben, dass sie Stoners Hand hielt. Ihre Haut fühlte sich wie kaltes Wachs an, so als ob alles Leben in ihr zu einem kleinen harten Klumpen irgendwo tief in ihrem Innersten zusammengeschrumpft wäre.
»Ich gebe ja zu, dass sie von Männern nicht gut behandelt worden ist«, fuhr Mrs. Burton ernsthaft fort. »Gute Güte, wer ist das schon? Erst ihr Vater, dann diese grauenhafte Kreatur Bryan Oxnard, den sie unbedingt heiraten musste. Aber das ist doch kein Grund, sie völlig aufzugeben.«
»Hört sich für mich wie ein sehr guter Grund an«, sagte Tante Hermione und überprüfte ihr Muster.
»Es hat überhaupt nichts mit Männern zu tun«, sagte Gwen. »Ich liebe Stoner.« Ihre Stimme war klar und kräftig. Ihre Hand zitterte.
Mrs. Burton schaute vage in ihre Richtung. »Du stehst in ihrer Schuld, natürlich. Wir beide tun das. Aber diese alberne Vernarrtheit wird sich geben.«
»Großmutter.«
»Ihre Enkelin ist lesbisch«, sagte Tante Hermione gelassen. »Sie können sich ebenso gut daran gewöhnen.«
Mrs. Burton schnaubte. »Wir würden niemals«, sagte sie mit leicht erhobener Stimme, »jemanden von … von diesen Leuten in meiner Familie dulden.«
»Warum nicht?« Tante Hermione blinzelte auf ihr Häkelzeug hinunter. »Kindesmisshandler haben Sie doch schon.«
»Und hätte ich die Wahl, würde ich Kindesmisshandler vorziehen.«
Tante Hermione seufzte. »Eleanor, machen Sie sich nicht noch mehr zur Närrin, als Sie es schon getan haben.«
»Nun«, sagte Mrs Burton, während sie ein wenig wacklig aufstand, »in meinem Haus werde ich das nicht dulden.«
»Gut«, sagte Gwen, »in einer halben Stunde kann ich fertig gepackt haben.«
Stoner schaute sie an. Gwens Gesicht war grau, ihre Augen brannten. Sie bricht gleich zusammen, dachte sie und legte ihr stützend einen Arm um die Schultern.
»Würden Sie freundlicherweise«, sagte Mrs. Burton mit vor Entrüstung zitternder Stimme, »Ihre dreckigen Hände von ihr nehmen?«
Bestürzt trat Stoner unbewusst einen Schritt zurück. »Was?«
»Was Sie bei sich zu Hause tun, ist Ihre Sache. Darüber will ich gar nichts wissen. Aber solange Sie in diesem Haus sind …«
»Einen Moment mal«, sagte Gwen, »ich bezahle die Hälfte der Miete.«
Mrs. Burton wandte sich ihr zu. »Das gibt dir nicht das Recht, dein Gesindel hierher zu bringen.«
»Verdammt noch mal«, sagte Gwen scharf. »Stoner hat mir das Leben gerettet. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte Bryan mich umgebracht.«
Das Gesicht der alten Frau war steinhart. »Ich wünschte, er hätte es getan.«
»Bei Gott«, sagte Tante Hermione in die schockierte Stille. »Ich habe in den letzten fünf Minuten genug Albernheiten für den Rest meines Lebens gehört.«
Mrs. Burton drehte sich ihr zu. »Ihre Meinung ist nicht gefragt, Hermione. Sie und Ihr Haus voller Perverser.«
»Haus voller Perverser?« Tante Hermione zog eine Augenbraue hoch. »Stoner, hast du irgendetwas vor, von dem du mir noch nichts erzählt hast?«
Sie zwang sich, den Kopf zu schütteln.
»Zu schade«, sagte Tante Hermione und wandte sich wieder ihrem Häkelzeug zu. »Wär vielleicht was Einträgliches gewesen.«
»Ich vermute«, sagte Mrs. Burton zu Tante Hermione, »Sie denken gerne darüber nach, wie Ihre Nichte andere Frauen befummelt.«
»Ich habe anderes im Kopf, Eleanor, und das sollten Sie auch. Wenn Sie Ihre Phantasie nicht beherrschen können …«
Mrs. Burton wandte sich wieder an Gwen. »Versprich mir, dass du sie nie wiedersiehst, und wir vergessen das alles.«
»Ich beabsichtige sehr wohl, sie wiederzusehen«, sagte Gwen mit tödlicher Stimme, »und ich werde nichts hiervon vergessen.«
Wir machen das ganz falsch, dachte Stoner. Wir sollten uns hinsetzen und in Ruhe darüber sprechen. Jede bekommt fünf Minuten Redezeit, um zu sagen, wie ihr zumute ist, keine Beschimpfungen, beim Thema bleiben, keine Drohungen, und wenn wir nicht weiterkommen, gibt es eine Abkühlrunde. Nicht die einfachste Sache der Welt, aber kein Chaos. Das hier ist ein Chaos.
»Seht mal«, sagte sie, »vielleicht, wenn wir alle … ich meine, schauen wir uns das doch mal an … und, na ja, was will eigentlich jede hier?«
»Ich werde Ihnen sagen, was ich will«, kreischte Mrs. Burton. »Ich will, dass Sie aus dem Leben meiner Enkelin verschwinden.«
»Das ist das Letzte, was du kriegen wirst«, sagte Gwen kalt. »Wo ich hingehe, da geht auch Stoner hin.«
»Mir scheint, Eleanor«, warf Tante Hermione ein, »Sie haben hier das meiste zu verlieren.«
Das schien Mrs. Burton den Schwung zu nehmen. Sie lehnte sich zurück und zupfte an ihren Ärmeln. Sie sah alt aus, und müde.
»Du musst das verstehen«, sagte sie schließlich. »So wie ich erzogen wurde … wir hätten nie …« Sie schaute hilflos zu Gwen auf.
»So wie ich erzogen wurde«, unterbrach Tante Hermione, »würden wir nie einen anderen Menschen grausam behandeln. Sie sollten Ihren glücklichen Sternen danken, dass Gwen sich in Stoner verliebt hat. Wenigstens hat sie bei Frauen einen besseren Geschmack als bei Männern.«
Mrs. Burton wandte sich ihr zu. »Ich habe ihr ein anständiges Leben geboten. Das Mindeste, das sie tun kann, ist ein anständiger Mensch zu sein.«
»Sie